Zusammenfassung
Die Kasuistik des Selbstmordes durch elektrischen Strom, die in der Literatur erst 10 Beobachtungen umfaßt, wird durch die Mitteilung von 12 weiteren Fällen vermehrt. Der Selbstmord durch Elektrizität erscheint somit nicht mehr in der angenommenen außerordentlichen Seltenheit und gewinnt forensisch und unfallmedizinisch erhöhte Bedeutung.
Besonders bemerkenswert ist der seltene Selbstmordversuch eines 15jährigen Knaben. Derselbe erkletterte den Gittermast einer Starkstromleitung von 45 000 Volt Spannung und erlitt, ohne mit der Leitung in direkte Berührung gekommen zu sein, einen elektrischen Schlag, wobei er hintenüber geworfen wurde, aber mit den Beinen im Gittermaste hängen blieb. Er kam mit einer vorübergehenden Bewußtseinsstörung und 12 elektrischen Verletzungen an den Extremitäten davon, die alle ohne Nachteil ausheilten. Forensisch ist der in Anbetracht der hohen Spannung geringe somatische Effekt, die vor dem Absturz rettende Verankerung im Gittermast und der pathognomonische Epidermisabklatsch an den Kleidern, klinisch das unter dem Bilde der Phlegmasia alba dolens auftretende “elektrische Ödem” des Armes, psychologisch die erbliche Belastung mit Debilität besonders hervorzuheben. Das “elektrische Ödem” wird auf thrombotische Prozesse zurückgeführt.
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Jaeger, H. Zur Kasuistik des Selbstmordes durch elektrischen Strom. Deutsche Zeitschrift f. Chirurgie 159, 33–58 (1920). https://doi.org/10.1007/BF02827460
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