Zusammenfassung
Die aufrechte Haltung des Menschen ist keine starre, statische Eigenschaft der Wirbelsäule, sondern eine außerordentlich dynamische Funktion des gesamten Bewegungsapparates des Rumpfes, insbesondere der vielfältigen biomechanischen und funktionellen Möglichkeiten der Wirbelsäule. Wirbel, Zwischenwirbelscheiben, Bänder (Bewegungssegment; Junghanns, 1966), Rückenmuskulatur und die benachbarten Organsysteme müssen als eine funktionelle Einheit angesehen werden. Zu den entscheidensten Neuerwerbungen in der phylogenetischen Entwicklung des Menschen gehört der aufrechte Gang. Die Anpassung der Wirbelsäule hieran erfolgt bereits in den letzten Embryonalmonaten durch Umstellung der kleinen Lendenwirbelgelenke vom thorako-lumbalen Übergang an, wird bei vielen Menschen nicht abgeschlossen und bleibt im lumbo-sacralen Übergangsbereich stets unvollständig. Erst durch die aufrechte Haltung konnte die Freisetzung der Hände zum Werkzeuggebrauch und die damit verbundene innige Beziehung zur Höherentwicklung des Gehirns erreicht werden. Diese stammesgeschichtlich jüngste Anpassung einer besonders belasteten Region ist ein Schwachpunkt in der Konstruktion unseres Körpers, eine Hypothek, die wir für unseren aufrechten Gang zu zahlen haben, der die unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung der spezifisch menschlichen Lebensweise war, d. h. der Ausbildung von Sprache und Kultur.
Abstract
The erect posture of man is not due to a static rigidity of the vertebral column, but to an extremely dynamic function of the whole locomotor system of the trunk, especially the multiple biomechanical and functional possibilities of the vertebral column. Vertebras, intervertebral disks, ligaments (vertebral motor segment; Junghanns, 1966), back muscles, and the adjacent organ systems have to be considered as a functional unit. The erect posture is one of the most decisive acquisitions in the phylogenetic development of man. The vertebral column starts its adaption to this condition already during the last embryonal months by rearranging the small lumbar vertebral joints, beginning with the transition between thoracic and lumbar spine. In many cases this adaption is not finished and remains incomplete in the region of transition between lumbar and sacral spine. Only the erect posture has released the hands and made possible the use of tools and the evolutionary progress of the brain which is closely connected to this ability. This most recent phylogenetic adaption of a particularly loaded region has produced a weak point in the construction of our bodies. This is the price we have to pay for our erect posture which has been essential to the development of the specific human way of life, i. e. the formation of language and culture.
Literatur
Junghanns, H.: Entwicklungsgeschichte, Anatomie und Physiologie der Wirbelsäule. In: Diebold, O., H. Junghanns, L. Zukschwerdt (Hrsg.): Klinische Chirurgie für die Praxis; Bewegungsapparat und Wirbelsäule, Bd. IV. Thieme, Stuttgart 1966.
v. Lanz, T., W. Wachsmuth: In: Lang, J., W. Wachsmuth (Hrsg.): Praktische Anatomie, Rücken, Bd. 2/7. Bearbeitet von Rickenbacher, J., A. M. Landolt, K. Theiler. Springer, Berlin-Heidelberg-New York 1982.
Lindemann, K., H. Kuhlendahl: Die Erkrankungen der Wirbelsäule. Enke, Stuttgart 1953.
Platzer, W.: Funktionelle Anatomie der Wirbelsäule. In: Bauer, R. (Hrsg.): Erkrankungen der Wirbelsäule. Thieme, Stuttgart 1975.
Rauber, A., F. Kopsch: Lehrbuch und Atlas der Anatomie des Menschen, Bd. I. 20. Aufl. Thieme, Stuttgart 1968.
Schumacher, G.-H.: Embryonale Entwicklung des Menschen. 5. Aufl. Fischer, Stuttgart 1982.
Starck, D.: Embryologie. 3. Aufl. Thieme, Stuttgart 1975.
Töndury, G.: Entwicklungsgeschichte und Fehlbildungen der Wirbelsäule. In: Junghanns, H. (Hrsg.). Die Wirbelsäule in Forschung und Praxis, Bd. VII. Hippokrates, Stuttgart 1985.
Töndury, G.: Angewandte und topographische Anatomie. 5. Aufl. Thieme, Stuttgart 1981.
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Oehmke, H.J. Statik und Funktion der Wirbelsäule. Unfallchirurgie 12, 332–336 (1986). https://doi.org/10.1007/BF02585843
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF02585843