Zusammenfassung
Der optimale Einsatz von Mitteln, gemessen an den wichtigsten Bedürfnissen der betroffenen nationalen oder regionalen Bevölkerungsgruppen, ist ein zentrales Gebot der Entwicklungszusammenarbeit. Dieses Prinzip ist unbestritten. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Gewichtung der Prioritäten durch Geber- und Empfängerländer ganz unterschiedlich erfolgt. Während die Stellen für technische Zusammenarbeit ihre Anstrengungen auf limitierte und überschaubare Projekte — «Schlüsselfaktoren» — konzentrieren, legen die verantwortlichen Planungsbehörden in den Ländern der dritten Welt immer mehr Wert auf eine Gesamtsicht des Entwicklungsprozesses, welche ein koordiniertes Vorgehen gleichzeitig in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen ermöglichen sollte.
In der Gewichtung dieser beiden Ansichten zeigen sich grosse Unterschiede: Das Geberland sieht die Entwicklungszusammenarbeit als einen Vorgang, welcher von der Stelle für technische Zusammenarbeit ausgeht (zentrifugal). Demgegenüber wird sie vom Empfängerland als die Gesamtheit der Anstrengungen betrachtet, welche sich auf eine Bevölkerung konzentrieren (zentripetal). Aus diesem Dilemma heraus erklären sich auch mögliche Fehlplanungen und Programme, welche den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung nicht entsprechen.
Anhand zweier Beispiele zeigt der Autor diese Schwierigkeiten auf: einerseits geht es um den Aufbau einer medizinischen Infrastruktur (ländliche Unterversorgung und gleichzeitiger Aufbau von grossen Spitälern in den Hauptstädten), anderseits um die «Bevölkerungs-explosion» und die entsprechenden Familienplanungsprogramme.
Angesichts dieser unterschiedlichen Gewichtung der Prioritäten muss vor allem davon abgekommen werden, einen bestimmten (Entwicklungs-)Weg als den einzig richtigen anzusehen. Man kann annehmen, dass alle Beteiligten an optimalen Lösungen interessiert sind. Die durch unterschiedliche soziokulturelle Standpunkte entstehenden Differenzen bezüglich möglicher Entwicklungswege sollen deshalb nicht zum Anlass genommen werden, den jeweiligen Partner von der Richtigkeit der eigenen Ansicht unbedingt zu überzeugen, sondern vielmehr zum Anlass, die Prämissen des Partners bei dessen divergierenden Entscheidungen besser zu verstehen.
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Martin, J. A propos des appréciations divergentes des priorités en coopération technique. Soz Prāventivmed 24, 126–127 (1979). https://doi.org/10.1007/BF02094144
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