Zusammenfassung
1. Die Vögel besitzen Empfindungen für alle vier Geschmacksqualitäten: salzig, sauer, bitter, süfs.
2. Die untere Reizschwelle der (äufserlich feststellbaren) Geschmacksempfindungen liegt fastähnlich wie beim Menschen, also viel tiefer, als die geringe Zahl der Geschmacksknospen vermuten läfst.
3. Innerhalb der Familien sind die Grenzwerte der Empfindungen sehr ähnlich.
4. Die Geschmacksempfindlichkeit ist bei Vögeln im allgemeinen nicht der Zahl und Differenzierung der Geschmacksknospen parallel. Tauben mit besonders geringer Zahl von Geschmacksknospen sind nicht viel weniger geschmacksempfindlich als die Papageien, welche die höchsten Zahlen von Geschmacksknospen aufweisen.
5. Zwischen der systematischen Stellung eines Vogels und seiner Geschmacksempfindlichkeit besteht ebenfalls keine direkte Beziehung.
6. Die Ernährungsweise scheint dagegen die Geschmacksempfindungen wesentlich zu beeinflussen. So ist die Unterempfindlichkeit der meisten Vögel für Bittergeschmack wohl auf die Gewöhnung an bitter schmeckende Nahrung (viele Sämereien, Insektensekrete) zurückzuführen.
7. Die Geschmacksqualität süfs ist allgemein im Vogelreich mit positiver Gefühlsbetonung verbunden. Diese Parallelität zu den Säugetieren widerlegt die Annahme, dafs die positive Gefühlsbetonung durch den süfsen Geschmack der Muttermilch entstanden sei.
Literaturverzeiohnis
B. Rensch, Experimentelle Untersuchungen über den Geschmackssinn der Vögel. Journ. f. Ornith., Bd. 73, 1925, p. 1–8.
W. Liebmann, Die Schutzeinrichtung der Samen und Früchte gegen unbefugten Vogelfrafs. Jenaische Zeitschrift f. Naturwiss., Bd. 46, 1910, p. 445–510.
Vergl. Th. Ziehen, Vorlesungen über Aesthetik, I. Teil, p. 136, Halle 1923.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Rensch, B., Neunzig, R. Experimentelle Untersuchungen über den Geschmackssinn der Vögel II. J. Ornithol 73, 633–646 (1925). https://doi.org/10.1007/BF01906226
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF01906226