Zusammenfassung
Bei der Beurteilung der ursächlichen Bedeutung einer Verkalkung der Carotis interna für Funktionsstörungen des Auges ist der Röntgenbefund einer Kalkimprägnation dieses Gefäßes unerheblich und nicht als Beweis einer Kompression des Sehnerven zu werten.
Die Untersuchung einer größeren Anzahl älterer Personen ergibt einen hohen, dem Lebensalter etwa parallelen Hundertsatz „positiver“ Röntgenbilder. Eine Verkalkung der Hirnbasisgefäße ist also ganz allgemein, wie auch bei allen möglichen Erkrankungen des Auges, darunter am häufigsten natürlich bei ateriosklerotischen Netzhaut- und Aderhautleiden nachweisbar. Es ist nicht angängig, von dem Zufallsbefunde einer Carotisverkalkung in Fällen, deren Erscheinungsbild ätiologisch unklar ist und daher erst zu einer Röntgenuntersuchung ad hoc Veranlassung gibt, ohne weiteres auf kausale Abhängigkeiten zu schließen.
Die Auswertung eines größeren Materials läßt erkennen, daß eine nachweisbare Atheromatose der großen cerebralen Gefäßstämme ohne gleichzeitige Sklerosierung der Zentralgefäße der Retina selten ist, unbeschadet der Tatsache einer meist geringen Proportionalität zwischen dem Schweregrad der zentralen und der peripheren Arteriosklerose.
Diese Feststellung berechtigt — besonders auch mit Rücksicht auf autoptische und histologische Erfahrungen — zu der Annahme, daß Funktionsstörungen der Sehbahn überwiegend durch arteriolosklerotische oder encephalomalazische Ernährungsstörungen bedingt werden, nicht durch örtlich begrenzte Kompression. Das gilt insonderheit für die einfache descendierende Opticusatrophie.
In diesem Zusammenhange sind arteriographische Befunde einer (thrombotischen) Obliteration der Carotis interna ohne pathologische Veränderungen des Sehnerven bemerkenswert, ebenso zahlreiche röntgenologisch sichergestellte Carotisverkalkungen ohne irgendwie entsprechende Krankheitserscheinungen. Nur in ganz vereinzelten Fällen konnten „charakteristische“ Funktionsstörungen festgestellt und zum Teil (Gesichtsfelddefekte) auf eine Leitungsunterbrechung der peripheren Sehbahn durch Kompression bezogen werden.
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Vortrag, gehalten auf der 15. Tagung der nordwestdeutschen augenärztlichen Gesellschaft am 28. Mai 1938 in Braunschweig.
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Siegert, P. Die ursächliche Bedeutung einer Verkalkung oder Thrombose der Carotis interna für Funktionsstörungen des Auges. Graefes Arhiv für Ophthalmologie 138, 798–844 (1938). https://doi.org/10.1007/BF01855810
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