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Goodmans Schein-Rätsel

Über die Widersprüchlichkeit und Erfahrungswidrigkeit des sog. “new riddle of induction”

  • Diskussion
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Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Das Folgende stellt den Versuch dar, die Goodman'sche Wahrscheinlichkeitsparadoxie in einer „transzendentalen“ Reflexion auf das Wesen der Induktion und auf die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung aufzulösen. Die Zulassung Goodman'scher Prädikate, die durch die entscheidende Bezugnahme auf den je gegenwärtigen Zeitpunkt definiert sind, müßte zur Aufhebung aller Induktion führen und damit zugleich auch auf die Aufhebung aller Erfahrung hinauslaufen, die wesentlich durch mehr oder weniger bestimmte, durch vergangene Erfahrungen motivierte, aber natürlich enttäuschbare Antizipationen des in der jeweiligen Gegenwart noch nicht Gegebenen gekennzeichnet ist. Die Goodman'sche Paradoxie beruht auf einer Verkennung dieses antizipatorisch-induktorischen Grundzuges aller Erfahrung. Sie ist darüber hinaus widersprüchlich, insofern sie bei stillschweigender Aufhebung der Voraussetzung der Induktion bestimmte Prädikate dennoch einem Induktionsversuch unterwirft; sie ist mindestens jedoch zirkulär, da sie die ihr zugrundeliegende Negation des Induktionsprinzips nachträglich nur expliziert. Es folgt, daß entgegen Kutschera Goodman'sche Prädikate auch in anderen als den uns vertrauten Sprachen nicht induzierbar sein können.

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Literaturverzeichnis

  1. Vgl. F. v. Kutschera, Wissenschaftstheorie I. Grundzüge der allgemeinen Methodologie der empirischen Wissenschaften, München 1972, S. 139 ff.

  2. v. Kutschera, a.a.O., S. 159–60.

  3. v. Kutschera, a.a.O., S. 159.

  4. v. Kutschera, a.a.O., S. 160–1.

  5. v. Kutschera, a.a.O., S. 162; vgl. auch Sprachphilosophie, München 1971, S. 280ff., 325ff.

  6. v. Kutschera, Wissenschaftstheorie I, S. 161.

  7. Vgl. v. Kutschera, a.a.O., S. 144–56.

  8. In der bisherigen Diskussion der Paradoxie ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß Goodman'sche Prädikate durch Bezugnahme auf Raum- oder Zeitstellen definiert seien, so daß durch die Goodman'sche Paradoxie schließlich die Induzierbarkeit höchstens von „qualitativen“ oder „nicht-positionalen“ Prädikaten erwiesen wäre (v. Kutschera, a.a.O., S. 145). Natürlich trifft das nicht zu, denn auch „nicht-qualitative“ Prädikate wie „irdisch“ oder „arktisch“ sind induzierbar (v. Kutschera, a.a.O., S. 146). Die Bezugnahme auf denje gegenwärtigen Zeitpunkt, d.h. auf ein Element der subjektivekstatischen Zeit, die wesentlich durch das Vorkommen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gekennzeichnet ist, hat aber mit der Bezugnahme auf beliebige Zeitstellen nichts zu tun; bei diesen Zeitstellen handelt es sich um Elemente der objektiven Zeit, deren Punkte zwar in Früher-Später-Relationen zueinander stehen, die aber gerade nicht als vergangen, gegenwärtig oder zukünftig qualifiziert sind.

  9. Vgl. z.B. An Enquiry concerning human understanding, ed. L. A. Selby-Bigge, Oxford 1957, S. 44f. (sect. 4, part 1): “Custom, then, is the great guide of human life... Without the influence of custom, we should be entirely ignorant of every matter of fact beyond what is immediately present to the memory and senses. We should never know how to adjust means to ends, or to employ our natural powers in the production of any effect. There would be an end at once of all actions, as well as of the chief part of speculation”.

  10. E. Husserl, Erste Philosophie (1923/24). Erster Teil: Kritische Ideengeschichte, hg. von R. Boehm, Haag 1956 (Hua. VII), S. 57.

  11. Vgl. etwa Analysen zur passiven Synthesis, hg. von M. Fleischer, Haag 1966 (Hua. XI), S. 3ff.; Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logik, red. und hg. von L. Landgrebe, 4. Aufl., Hamburg 1972, S. 26ff.

  12. Vgl. dazu vom Verf., Möglichkeit der Erfahrung und Einheit des Selbstbewußtseins bei Kant, in: Akten des 4. Internationalen Kant-Kongresses Mainz, 6.–10. April 1974, Teil II. 1, Berlin und New York 1974, S. 277ff., sowie: Kants Antwort auf Hume, in: Kant-Studien 62 (1971), S. 335ff.

  13. Daß es sich hier nicht bloß um ausgedachte Möglichkeiten handelt, ergibt sich daraus, daß eine solche Beziehungslosigkeit von Vorstellungen als Ursache für Derealisationen und Wirklichkeitsverlust z.B. beim Einschlafen tatsächlich auftritt; vgl. C. Schneider, Die Psychologie der Schizophrenen und ihre Bedeutung für die Klinik der Schizophrenie, Leipzig 1930, S. 10–24, und I. Oswald, Sleeping and Waking. Physiology and Psychology, Amsterdam und New York 1962, S. 112ff.

  14. Das ist der Fall z.B. in pathologischen Verläufen und Zuständen, in denen dieser Sinnzusammenhang streckenweise abgebaut ist (vgl. K. Conrad, Die beginnende Schizophrenie. Versuch einer Gestaltanalyse des Wahns, 3. unv. Aufl., Stuttgart 1971, S. 111), aber z.B. auch dann, wenn man ein einzelnes Wort gleichsam bis zur Besinnungslosigkeit wiederholt (vgl. E. Rausch, Das Eigenschaftsproblem in der Gestalttheorie der Wahrnehmung, in: Handbuch der Psychologie, 1. Band: Allgemeine Psychologie, 1. Halbband: Wahrnehmung und Bewußtsein, hg. von W. Metzger, Göttingen 1966, S. 939 Anm. 52). Umgekehrt fehlt unseren Vorstellungen die Gegenstandsbeziehung auch dann, wenn dieser Sinnzusammenhang z.B. auf frühen Stufen der kindlichen Intelligenzentwicklung noch nicht erarbeitet ist; vgl. J. Piaget, Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde, Stuttgart 1969 und La construction du réel chez l'enfant, 5e ed., Neuchâtel 1973.

  15. Husserl sagt sehr treffend, daß einzelne Anblicke, die man von einem Gegenstand hat, „Erscheinungen—von nur durch die von ihnen nicht abtrennbaren intentionalen Horizonte“ sind (Analysen zur passiven Synthesis, S. 6).

  16. Mit dem Ausdruck „wirkliche Erfahrung“ kennzeichnet Kant (Kritik der reinen Vernunft, A 766 / B. 794) die Hume'schen Bemühungen im Gegensatz zu seiner eigenen transzendentalphilosophischen Untersuchung der „Möglichkeit“ der Erfahrung.

  17. Vgl. Husserl, Erfahrung und Urteil, S. 28.

  18. v. Kutschera, a.a.O., S. 160.

  19. Das zeigt ausführlich Hans G. Furth, Denkprozesse ohne Sprache, Düsseldorf 1972.

  20. Vgl. J. Piaget, Einführung in die genetische Erkenntnistheorie, Frankfurt/M. 1973, S. 56.

  21. Vgl. dazu G. H. Mead, Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus, hg. von Ch. W. Morris, Frankfurt/M. 1968, der diesen Aspekt einer wesentlich gesellschaftlichen Vermitteltheit alles Denkens herausarbeitet, sowie K. O. Apel, der die Berücksichtigung des „Umstands, daß nicht ‘einer allein und nur einmal’ einer Regel folgen kann, daß vielmehr Handlungen, Weltinterpretationen und Sprachgebrauch im Sprachspiel als Bestandteile einer sozialen Lebensform ‘verwoben’ sein müssen“, geradezu als den „Angelpunkt“ der neueren Philosophie bezeichnet (Transformationen der Philosophie. Band II: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, Frankfurt/M. 1973, S. 247).

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Hoppe, H. Goodmans Schein-Rätsel. Zeitschrift für Allgemeine Wissenschaftstheorie 6, 331–339 (1975). https://doi.org/10.1007/BF01800793

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