Zusammenfassung
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1.
Drei, in früher Jugend beider Großhirnhemisphären beraubte Katzen wurden 5 bzw. 6 Monate hindurch beobachtet, und zwar besonders bezüglich ihrer Fähigkeit, auf optische Reize zu reagieren.
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2.
Im Gegensatz zu der herrschenden Ansicht, nach der höhere Säugetiere ohne Großhirn durch Lichtreize in ihrem Verhalten nicht zu beeinflussen sind, waren bei unseren Versuchstieren folgende optomotorische Reaktionen auslösbar: a) abnormes Heben der Vorderbeine und verlangsamter Gang bei Helligkeitswechsel (z. B. im Dunkelzimmer beim Durchschreiten eines Lichtkegels); b) Ausweichen vor (mit der Umgebung kontrastierenden) Hindernissen; c) Zuwendungsbewegungen zu einer Lichtquelle bzw. einem Lichtfleck oder zu sich bewegenden Objekten, die sich vom Untergrund optisch stark abhoben.
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3.
Das Leben chronisch-großhirnloser Katzen stellt nicht einen statischen, sondern einen dynamischen Zustand dar, der bedingt ist durch die verschieden rasche (und verschieden vollkommene) Rückkehr der einzelnen Sinnesfunktionen und den mit der Zeit immer stärker werdenden Einfluß, den innere Reize und die wiedererwachte Affektivität auf das Verhalten der Tiere ausüben.
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4.
Von den sensorischen Funktionen stellte sich zuerst der Geruchssinn wieder her, danach das Gehör und zuletzt (in dem oben beschriebenen Umfange) der Gesichtssinn. Infolgedessen orientierten sich die Tiere anfangs rein olfactorisch, danach in zunehmendem Maße akustisch und schließlich auch optisch. Dabei wurde ein Stadium extremer Geräuschbeachtung durchlaufen (Anlaufen, Anspringenjeder akustischen Reizquelle).
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5.
Die Anschauung, daß großhirnlose Tiere nur „negative“ (ablehnende) Affektäußerungen zeigen, wird nicht bestätigt: alle 3 Katzen schnurrten sowohl spontan wie auf Kraulen; ebenso lösten kleinste Morphingaben regelmäßig langdauerndes Schnurren aus.
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6.
Bei den beiden männlichen Tieren wurden während der Frühjahrsmonate in etwa 3wöchigen Intervallen wiederkehrende Brunsterscheinungen beobachtet.
Literaturverzeichnis
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Girndt, O., Lempke, H. Über optomotorische Reaktionen von Katzen ohne Neocortex. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 239, 544–565 (1938). https://doi.org/10.1007/BF01755023
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