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Beiträge zur Biologie und Populationsdynamik der Türkentaube(Streptopelia d. decaocto)

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Zusammenfassung

Vorliegende Arbeit befaßt sich mit einer Großpopulation der Türkentaube von über 600 Individuen innerhalb der Stadt Herford und einigen kleineren Ansiedlungen in deren Umgebung. Ein umfangreiches Beobachtungsmaterial wird in Vergleich gesetzt vor allem mit den grundlegenden UntersuchungenHofstetters. Mit Hilfe von Farbringen konnten in drei Jahren mehr als 700 Tauben individuell gekennzeichnet werden.

Die Türkentaube hat sich 1950 in Herford angesiedelt. Ihre allmähliche Verbreitung über die Stadt erfolgte nicht von einem Ursprungszentrum aus radiär (vgl.Hofstetter), sondern entlang dem Wall, welcher rings um die Innenstadt führt. Der Kreis aneinanderliegender Brutreviere hat sich bis 1960 geschlossen.

Es wird noch einmal zusammenfassend der Geselligkeitstrieb der Türkentaube unterstrichen, der sich in alle Bereiche natürlicher Lebensbedürfnisse erstreckt: gemeinsame Nahrungssuche, gemeinsamer Aufenthalt am Rastplatz, gemeinsames Schlafen, dabei enger Anschluß an menschliche Siedlung und daraus resultierender Schutz für die Tiere.

Für den vonHofstetter geprägten Begriff „Gemeinschaftsgebiet“ schlägt Verfasser den indifferenten Ausdruck Sammelgebiet vor. Es folgt eine Skizzierung der fünf „Türkentauben-Gebiete“ innerhalb der Stadt. Dabei ergibt sich, daß ein solches im allgemeinen Futter-, Rast- und Schlafplatz umschließt, daß aber auch einer dieser Faktoren fehlen kann. Eines der Sammelgebiete weist innerhalb seiner Grenzen Ansätze zur Koloniebrut auf, was schon insofern überrascht, als es sich um einen brutneutralen Raum zu handeln pflegt. Der Fortfall jeglicher Revierverteidigung ist die „zwangsläufige“ Folge. Typische Verhaltungsweisen im Sammelgebiet sind u. a. gemeinsame Sonnenbäder und ein „Bad“ auf feuchtem Rasen. Die Einhaltung einer Individualdistanz findet allgemein Beachtung.

Die Erhaltung einer Population scheint an eine Mindestzahl von Individuen gebunden zu sein. Es wird ein Beispiel für die bekannte Tatsache des möglichen Zusammenbruchs von Populationen genannt.

Der Versuch einer künstlichen Populationsgründung in einer Streusiedlung gelingt teilweise. Durch Volierenvögel werden fremde, offenbar zufällig vorüberfliegende Tauben angelockt. Im Winterhalbjahr auftauchende Tiere bleiben trotz Schreckerlebnis (Fang u. Beringung), durchziehende (?) Frühjahrsgäste verschwinden wieder.

In der Stadt Herford gefangene Tauben werden verfrachtet nach Dünne (17 km entfernt) und dort nachts in den Schlafbäumen der „gegründeten Population“ ausgesetzt. Fast alle 28 Tiere halten sich zunächst im Gebiet, fallen aber im Gegensatz zu den „freiwilligen“ Ansiedlern, die primär scheu sind, einem Sperberweibchen teilweise zum Opfer.

Dem bekannten Vorgang einer Populationsentwicklung parallel läuft die Entstehung eines Sammelgebietes, — bei Vervielfältigung des letzteren innerhalb einer Großpopulation spielt die frühe Ansammlung der selbständig werdenden Jungvögel eine wesentliche Rolle. Alttiere halten Beziehungen aufrecht zum eigenen alten Sammelgebiet, auch wenn dieses vom derzeitigen Brutrevier weit entfernt liegt.

Zu den bisher genannten Schlafbaumarten treten hinzu: Kiefer, Lärche, Weißdorn und Buche. Die beiden letzteren werden als Laubbäume auch im Winter bezogen. Schlafgesellschaften wurden nicht nur bis April und wieder von August an (Stresemann u.Nowak), sondern auch während der Hauptbrutzeit beobachtet. — Einzelne Tiere nächtigen auch als Brutvögel nicht in Nestnähe, sondern im Schlafbaum ihres Sammelgebietes. — Allgemein treffen die Tiere früh am Schlafplatz ein, besonders im Winter. — In einem Sammelgebiet war von seiten großer Starenflüge eine hartnäckige „Schlafplatzfolge“ zu beobachten, welcher die Tauben auswichen.

Bei vergleichenden Beobachtungen an 28 verschiedenen Futterplätzen zeigten die Tauben eine individuelle Vorliebe für bestimmtes Futter, was sich bei Wahlversuchen bestätigte. — Das Verhalten am Futterplatz ist, zum Teil in Abhängigkeit von der Individuenzahl, sehr verschieden. — Es bestehen eindeutig Rangverhältnisse — vor allem an kleineren Futterstellen. Zum Despoten kann dort auch ein Jungvogel werden.

Eine Methode des „Massenfangs“ wird beschrieben und skizziert. Neben vielen Wiederfängen im Beobachtungsbereich liegen bisher 27 Ringfunde vor, davon 11 Fernfunde aus allen Himmelsrichtungen, womit das grundsätzliche Fehlen einer Richtungstendenz bei der Ausbreitung vonStreptopelia decaocto erneut dokumentiert wird. Die bedeutsamsten Rückmeldungen erfolgten aus Norddänemark (572 km), Terschelling (255 km) und Westengland (980 km). Ein Ringfund auf Helgoland (22. April 61) liegt jahreszeitlich sehr früh. In Stuttgart (354 km) wurde eine Taube wiedergefunden, die 4 Wochen zuvor noch mit einer Brut beschäftigt war und diese aufgab (ein Jungvogel im Nest gestorben).

Revierverteidigende Verhaltensweisen wurden den ganzen Winter über beobachtet. Es bestehen geschlechtliche Beziehungen untereinander auch außerhalb der Brutzeit; für zwei Paare betrug die Ehedauer mindestens zwei Jahre. — Nicht nur zum Revier behält vor allem das Männchen enge Beziehung, sondern auch zum vorjährigen Nest oder Nistplatz.

Den Nestbau übernimmt allein das Weibchen. Als Niststoff brachen Männchen Kiefernnadeln ab. — Nur eines von 166 inspizierten Nestern bestand ausschließlich aus Draht, etwa 1/5 der Gesamtzahl enthielt Draht als sekundären Baustoff. — In zwei Fällen brachen Tauben ihr altes Nest für den Neubau ab. Die Vermutung eines „quantitativ gesteuerten“ Nestbaus (Piechocki) fand keine Bestätigung. — Die Haltbarkeit der Türkentaubennester ist groß. Unglücksfälle mit besetzten Nestern wurden nicht beobachtet. Es fielen gelegentlich Eier herab, niemals aber Junge.

Als Neststandort waren in Herford 22 verschiedene Baumarten, an der Spitze Linde und Birke, benutzt worden, dazu kamen Hausgiebel und Futterhäuschen. Unbelaubte Bäume wurden im Frühjahr ebenso gewählt wie Nadelbäume. — Die Höhe der Neststandorte schwankte zwischen 2,40 und 18 m. — In Lage/Lippe wurden in einer Population von ca. 200 Individuen allein 9 Bruten an Gebäuden festgestellt.

Die Jahre 1961 und 1962 erwiesen sich als außerordentlich günstig für eine explosionsartige Vermehrung der Türkentaube. Bereits im Winter 1960/61 wurden erfolgreiche Bruten gemeldet. Frühbruten (vor dem 15. April begonnen) brachten 1960 21, 1961 56 Junge.

Anschlußbruten im gleichen Nest waren keine Seltenheit. In einem Falle wurde 6mal hintereinander im gleichen Nest gebrütet. Fünf Bruten davon verliefen erfolgreich. Der Abstand zwischen Bruten im gleichen Nest lag im Durchschnitt höher als bei Nestwechselbruten, was auf die übliche Ineinanderschachtelung letzterer zurückgeführt werden kann.

Die Vermehrung der Türkentaube in Herford lag für den untersuchten Zeitraum höher als in Soest (Hofstetter); bei fünf angenommenen Bruten im Jahr wurde sie mit 313 % errechnet.

Bei Auseinandersetzungen zwischen Türkentauben lassen sich unterscheiden: der echte Rivalenkampf (z. B. zwischen Revierbesitzern) mit Einhalten eines Kampfcomments, ein Überlegenheitskampf mit bekanntem Ausgang (z. B. bei unberechtigtem Einfall in ein Revier) und das „Abdrängen“ (Hofstetter). — Es können sich auch Weibchen aktiv an der Revierverteidigung beteiligen.

Das „Flügellahmstellen“ wurde mehrfach und nur bei hudernden Altvögeln beobachtet, wobei das Alter der Jungen keine Rolle spielte. — Es fanden sich Ansätze zu einer aktiven Nestverteidigung. Gleichzeitige Reaktionen beider Brutpartner, d. h. gemeinsames Erscheinen am Nest bei Gefahr, war die Ausnahme. — Die Nesttreue eines Weibchens erwies sich als so groß, daß das Tier selbst nach Fang mit einem Netzkorb sieben Tage später im gleichen Nest mit einer Brut begann.

Die Nesthockzeit junger Türkentauben lag zwischen 14 und 21 Tagen. Schon vom dritten Tag an haben Altvögel ihre Jungen für Minuten allein gelassen, vom siebten Tag an kaum noch als Ausnahme.

Der Größenunterschied der Jungen, wie er zu Anfang infolge eines Schlüpfabstandes von rund 24 Stunden besteht, ist bei gleichgeschlechtlichen Nestgeschwistern in 6–8 Tagen ausgeglichen, beträgt aber bei verschiedenem Geschlecht derselben zum Zeitpunkt des Flüggewerdens maximal 40 Gramm. — Bereits mit 110–130 g Gewicht und unvollständig entwickeltem Großgefieder können junge Türkentauben voll flugfähig sein. — Die Gewichtszunahme beträgt bis zum Flüggewerden täglich 7–9 Gramm, danach bis zum Alter von 4 Wochen nur noch ca. 4 Gramm. Höchstgewichte werden im Herbst gemessen, bei ♂ bis zu 250 g, bei ♀ maximal 234 g, die niedrigsten Werte zu Beginn der Brutzeit. ♂ ad. wiegt 20–40 g mehr als ♀ ad.

Junge wurden vom ♀ ausnahmsweise bis zum 26. Lebenstag gefüttert, vom ♂ dagegen weit über den 44. Tag hinaus (Hofstetter) betreut.

Die erste stimmliche Äußerung (unvollkommener Revierruf) eines jungen Männchens wurde mit ca. 11 Wochen registriert.

Erkrankungen: Frostschäden an den Füßen nur 8mal. Schwere Brustverletzungen durch Anfliegen an Telegraphendraht, defektverheilte Knochenfrakturen u. a. wurden gut kompensiert. Angeborene Mißbildung: eine Taube hatte nur ein Bein. — Bei einem gut einjährigen Tier mit einer Schulterverletzung war die Iris rein braun gefärbt.

Ein Bastard zwischen Türken- und Lachtaube trat am Futterplatz als Despot auf.

Gegenüber den in Herford häufigen Dohlen setzt sich die Türkentaube ohne weiteres durch. — Als natürlicher Feind tritt der Sperber gelegentlich in Erscheinung, sehr selten auch Katze und Wiesel. — Von Kleinvögeln wird die Türkentaube häufig attackiert, durchaus nicht nur während der Brutzeit. — Dichtes gemeinsames Brüten mit Amseln im gleichen Baum führte zwar zu heftigen Auseinandersetzungen, aber nicht zum Mißerfolg einer der Bruten.

Die Vermutung, daß durch die Ansiedlung vonStreptopelia decaocto die stark verstädterte Ringeltaube lokal verdrängt werden könnte, fand in Herford keine Bestätigung.

Mit Deutungsversuchen hinsichtlich Biotopwahl und künftiger Ausbreitung in Westeuropa bleibt Verf. zurückhaltend. Fortpflanzung von Wildfängen in der Gefangenschaft und vor allem erfolgreiche Winterbruten beweisen die Plastizität und „klimatische Härte“ dieses Vogels.

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Erweiterte Fassung eines auf der 74. Jahrestagung der DOG in Braunschweig (1961) gehaltenen Referats.

Herrn Professor Dr.Rolf Dircksen gewidmet

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Lachner, R. Beiträge zur Biologie und Populationsdynamik der Türkentaube(Streptopelia d. decaocto) . J Ornithol 104, 305–356 (1963). https://doi.org/10.1007/BF01671052

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