Zusammenfassung
Im letzten Jahrzehnt hit eine bedeutungsvolle Erweiterung der Kinetik und Thermodynamik stattge-funden. Während sich die konventionelle Physik und physikalische Chemie definitionsmäßig auf geschlossene Systeme beschränkt, erfolgte nun eine Verallgemeinerung auf offene Systeme, d. h. solche, die im Stoffaustausch mit ihrer Umgebung stehen. In der Kinetik haben die Anforderungen einerseits der Biophysik, andererseits der industriellen Chemie zu einer derartigen Erweiterung geführt. Die moderne Thermodynamik gelangt zu einer Verallgemeinerung, in welcher nicht nur Gleichgewichtszustände, reversible Prozesse und geschlossene Systeme, sondern auch Zustände des Ungleichgewichts, irreversible Prozesse und offene Systeme behandelt werden.
Diese Entwicklungen sind von besonderer Bedeutung für die Biophysik. Alle lebenden Systeme sind wesentlich offene Systeme, die sich in ständigem Fluß ihrer Komponenten unter Ablauf irreversibler Prozesse und, insofern der entwickelte Organismus betrachtet wird, in einem Zustand des Fließgleichgewichts (steady state) erhalten. Diese Betrachtung gibt neue Gesichtspunkte sowohl für die prinzipielle Auffassung des Organismus, wie sie andererseits zur Aufstellung quantitativer Gesetzmäßigkeiten für wichtige Lebenserscheinungen führt.
Dies wird an einer Reihe von Problemen gezeigt, wie denen des „dynamischen Zustands“ der chemischen Komponenten und der Gewebe des Organismus, Fragen der Proteinsynthese, der Selbststeuerung und Organisation des Stoffwechsels, der Physiologie des Wachstums, der Auswertung von Isotopenversuchen, dem Problem von Entropie und Evolution usf.
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Vortrag auf dem Herbert-Freundlich-Gedächtnis-Kongreß in Berlin vom 5. bis 8. Mai 1954, verlesen von Prof. W. H. Westphal, Berlin.
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Bertalanffy, L.v. Das Fließgleichgewicht des Organismus. Kolloid-Zeitschrift 139, 86–91 (1954). https://doi.org/10.1007/BF01502328
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