Schlußbetrachtungen
Philosophisch betrachtet ist das Leben durch willkürliche Änderungen im Zeitordinat der Reaktionsprozessegekennzeichnet. Theoretisch besteht also die Möglichkeit, daß die willkürlichen Änderungen so langsam vor sich gehen, daß ihr willkürlicher Charakter uns ganz entgeht. Wer will sagen, daß die Kräfte, die die ganze nicht lebende Natur aufgebaut haben, nicht dieselben sind wie diejenigen, die sich in den bekannten lebendigen Organismen als willkürlicher Z-Faktor herausstellen?
Die Kolloidchemie hat schon so vielen Erscheinungen, die bis heute das Monopol des Lebens zu sein schienen, nachgeahmt, so daß man heute mehr denn je berechtigt ist, den hierarchischen Aufbau der ganzen Natur von der graduellen Offenbarung einer unbekannten Kraft herzuleiten, die man „Leben“ nennen darf, und den prinzipiellen Unterschied zwischen lebend und nichtlebend fallen zu lassen !
Von diesem Standpunkte aus ist es meines Erachtens zu verstehen, daß der Bakteriophage lebend oder nicht lebend sein kann, je nach dem Grade seiner Aktivität. Der Moment seines Kontaktes mit sensiblen Bakterien ist ein Moment von „Generatio spontanea“, aber nicht in dem Sinne des vorigen Jahrhunderts, nach dem das Lebendige aus der „toten“ Materie entsteht, denn nach der obenstehenden Betrachtungsweise gibtes keine tote Materie, sondern nur Stufen gradueller Lebensoffenbarung. Man braucht dieser Betrachtungsweise nicht beizustimmen, jedoch muß man zustimmen, daß der Bakteriophage ein zentrales Problem in der gesamten Biologie darstellt.
Author information
Authors and Affiliations
Additional information
Deutch bearbeitet von H. Erbring (Leipzig).
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Schuurmann, C.J. Der Bakteriophage, ein zentrales biologisches Problem. Kolloid-Zeitschrift 53, 231–239 (1930). https://doi.org/10.1007/BF01428564
Received:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF01428564