Resümee
Schlagen wir den Bogen zurück zu den ideengeschichtlichen Eingangsüberlegungen, so fällt auf, daß der theoretisch differenzierteste and politisch folgenreichste sozialwissenschaftliche Ansatz zur Ortsbestimmung der Relation zwischen Mensch and Natur, das Marxsche Paradigma, in der deutschen sozialwissenschaftlich-humanökologischen Forschung nicht mehr existiert.
Marx hat die Austauschbeziehungen zwischen Gesellschaft und natürlicher Umwelt mit dem der Physiologie entlehnten Terminus Stoffwechsel" bezeichnet. Der naturwissenschaftliche Anklang darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Stoffwechselprozeß sehr wohl auch eine gesellschaftlich-historische Sinnkomponente hat. Stoffwechsel wird vollzogen durch den Arbeitsprozeß zwischen Mensch and Natur, Arbeit ist die Bedingung dieses Prozesses. Zweck der Arbeit schließlich ist ihr Produkt, die Verdnderung eines Gegenstandes zum Gebrauchswert.
Weiter kann Marx' Theorie hier nicht verfolgt werden. Humanokologisch bedeutsam erscheint zweierlei:
-
1)
So wichtig die Bearbeitung ist, so ist sie doch bei Marx keineswegs der einzige Ursprung der Nützlich-keit der Dinge, des Gebrauchswertes, wie bisweilen fälschlich behauptet wird. Zieht man die Arbeit ab, äso bleibt stets ein materielles Substrat zurück, das ohne Zutun des Menschen von Natur vorhanden ist [21].
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2)
Das Verhältnis von Naturstoff and Arbeit wird sozialwissenschaftlich bearbeitet. Thema sind gesellschaftlich organisierte Produktionsprozesse, sei es industriell, sei es landwirtschaftlich. Dabei werden außer den gesellschaftlich erwünschten Produkten, Gütern oder Dienstleistungen auch unerwünschte Produkte erstellt wie Abwärme, Abgas, Abwasser, Abfall.
Damit ist die Verbindung zur amerikanischen Human-ökologie hergestellt: Marx' Ansatz ist nicht nur NEP-orientiert. Vielmehr liefert er eine Basis fur soziologische Theoriebildung, die dem NEP-Paradigma fehlt. Theoretische Defizite mögen der Grund dafür sein, warum sozialwissenschaftliche Humanökologie auch dort, wo sie erfolgreich war, an einem Ziel gescheitert ist: den soziologischen Mainstream zu verändern. Eine wesentliche Konsequenz ist zu erkennen: daß sog. Umweltkrisengesellschaftliche Krisen sind. Die Rede von einer Krise der Natur ist ein gesellschaftliches Mißverstdndnis [16]. Und wer gar glaubt, Normen zum Schutz der Umwelt aus der Natur oder aus der System-wissenschaft der Natur, sprich Ökologie, ablesen zu können, der unterliegt einem naturalistischen Fehlschluß. Wenn these theoretischen Fundamente und Konsequenzen des sozialwissenschaftlichen Umgangs mit Natur and natürlicher Umwelt allgemein Geltung erlangen, ist dennoch nicht auszuschließen, daß Humanökologie den Lauf der Wissenschaft doch noch verändert. Die Interaktion zwischen Mensch and Natur ist ein eminentsoziologisches Thema; allerdings haben dieBiologen seine Bedeutung früher erkannt. Natur- und Sozialwissenschaften untersuchen ähnliche Phänomene, deren Systematisierung wir „Humanöko-logie” nennen; die Schnittmengen sind beträchtlich.
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Glaeser, B. Humanökologie: Der sozialwissenschaftliche Ansatz. Naturwissenschaften 83, 145–152 (1996). https://doi.org/10.1007/BF01143055
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