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Strahlenschäden des Nervensystems

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Zusammenfassung

Die Gewebsschädigung durch ionisierende Strahlen ist letzten Endes das Resultat cellulärer Effekte. Diese gehorchen statistischen Gesetzen, sind aber vor allem durch die physikalischen Eigenschaften der Strahlung und die biologischen Eigenschaften der bestrahlten Zellen determiniert. Neben der absorbierten Energiemenge (Dosis), sind Dosisleistung und Ionisationsdichte (linear energy transfer) die wichtigsten physikalischen Größen, die die celluläre Reaktion entscheidend beeinflussen. Strahlen mit hoherIonisationsdichte, wie z. B. Neutronen, führen meistens den akuten Tod der getroffenen Zellen herbei, allerdings ist die Energieverteilung dergestalt, daß bei geringen Dosen nur vereinzelte Zellen getroffen werden, so daß der Gewebsverband unter Umständen nicht kritisch gestört wird. DieDosisleistung wirkt im wesentlichen über eine Modifizierung reparativer Zellvorgänge. Beihohen Dosen, die mit hoher Leistung eingestrahlt werden, etwa 10000 rad (10 min−1) und darüber, kommt es zum akuten und subakuten Zellschaden, vorwiegend in der Form von cellulären und subcellulären Membranstörungen. Bei der therapeutischen Bestrahlung dagegen, ist der Schaden vor allem an die Nucleoproteine gebunden und wird in der Form von somatischen Mutationen wirksam.

Die Strahlenempfindlichkeit der Zellen folgt dem Gesetz vonBergonié u.Tribondeau. Demgemäß treten im reifenden Gewebe Strahlenschäden im allgemeinen als nicht-selektive disseminierte Zellnekrosen auf. Mit Abschluß der Zellreifung kommt es zur Ausbildung spezifischer cellulärer Radiovulnerabilitäten, die überwiegendermaßen chemisch bedingt sind. Nur die Gefäßwandzellen, und in geringem Maße die Oligodendrocyten, die auch im reifen Gehirn noch der Mauserung unterworfen sind, können durch mitotisch bedingte Strahlenschäden selektiv geschädigt werden. Als weiterer modifizierender Faktor ist der lokale Sauerstoffdruck zu nennen. Dieser ist am Gefäß selbst und in dessen unmittelbarer Umgebung am höchsten, wodurch wiederum eine Selektivität begünstigt wird. Zellmauserung und Sauerstoffdruckgefälle verleihen daher den Nervenzellkörpern, mit Ausnahme der Zellen gewisser Hypothalamuskerne, eine hohe Strahlenresistenz, wogegen dieselben Faktoren die Sensibilität des Gefäßapparates und der Markscheidenglia fördern. Außergewöhnliche Belastungen des Gefäßsystems, wie z. B. beim arteriellen Hochdruck oder bei degener ativen und altersbedingten Gefäßveränderungen, verstärken die Strahlenwirkung und können daher als eine der Ursachen einer individuell erhöhten Strahlensensibilität angesehen werden.

Das typische Bild der Strahlenspätschädigung ist demnach das Resultat einer physiologisch bedingten selektiven Strahlenvulnerabilität der Gefäßwandzellen und der Markscheidenglia imreifen Gehirn, deren Schädigung eine metabolische Insuffizienz und sekundäre Beeinträchtigung der von ihnen abhängigen parenchymatösen Strukturen zur Folge hat. Umgekehrt führt die therapeutische Bestrahlung desreifenden Nervengewebes zum direkten Parenchymschaden, der allerdings regelmäßig mit einer cellulären Schädigung des Stützgewebes kombiniert ist. Die Spätschädigung kann durch Änderung des Sauerstoffdruckes und der Ionisationsdichte in gewissem Umfang modifiziert werden. Werden höhere Strahlungsenergien absorbiert, so kommt es zur akuten Schädigung von allen Zelltypen,ohne Selektivität; dieser Reaktionsmodus ist vorwiegend durch Membranstörungen an den bestrahlten Zellen bestimmt, somatische Mutationen spielen keine Rolle, und die Möglichkeiten einer Modifikation durch endogene und exogene Faktoren sind beschränkt: die akute Strahlenschädigung ist nicht selektiv. Zwischen diesen beiden Prototypen bestehen natürlich alle denkbaren Übergänge.

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Herrn Prof. Dr.W. Scholz, meinem verehrten Lehrer, in Dankbarkeit zu seinem 75. Geburtstag gewidmet.

Mit Unterstützung des U.S. P.H.S. Grant NB 02690-05.

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Zeman, W. Strahlenschäden des Nervensystems. Arch. F. Psychiatr. U. Z. Neur. 206, 185–198 (1964). https://doi.org/10.1007/BF00940747

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