Zusammenfassung
Beim Lesen unter erzwungener monocularer Dominanz durch künstliche Anisometropie kommt es zu eigentümlichen Ermüdungserscheinungen des dominierenden Auges, die sich in einem Abblassen der Farben und des Schwarz-Weiß-Kontrastes äußern.
Diese Ermüdung ist in besonders starkem Maße nachweisbar, wenn eine “Äugigkeit” besteht und das normalerweise dominierende Auge exkludiert wird. Dominiert dagegen im Versuch das Auge, welches auch normalerweise dominiert, so sind die Ermüdungserscheinungen schwerer nachweisbar.
Quantitative Untersuchungen über diese Ermüdung wurden vorgenommen mittels eines für binoculare Untersuchungen abgeänderten Autenrieth-Kolorimeters, eines helligkeitsgleichen Sättigungsgefälles am Farbkreisel sowie mit Hilfe eines Graugefälles am Farbkreisel. Sie zeigen, daß die Erscheinung in unmittelbarem Anschluß an das Lesen am stärksten ist, um innerhalb von etwa 3 min abzuklingen. Die Stärke der Erscheinung ist abhängig von der Stärke des die Anisometropie erzeugenden Glases, von der Dauer des vorangegangenen Lesens und von einer etwaigen Äugigkeit.
Bei der erzwungenen monocularen Dominanz kommt das Bild des gehemmten Auges nicht zum Bewußtsein, beeinflußt aber das resultierende Bild in maßgeblicher Weise.
Durch Untersuchung der Flimmeradaptation sowie des Pulfrich-Phänomens läßt sich zeigen, daß den geschilderten Ermüdungserscheinungen keine Unterschiede der Empfindungszeit entsprechen. Die mögliche Bedeutung der monocularen Dominanz bei Amblyopie und Anisometropie als begünstigendem Faktor für verschiedene Erkrankungen des Augeninnern wird an Hand eigener Beobachtungen sowie von Mitteilungen aus der Literatur erörtert.
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Siebeck, R., Klemm, O. Ermüdungserscheinungen bei erzwungener monocularer Dominanz im binocularen Sehakt. Albrecht v. Graefes Arch. Ophthal. 155, 413–432 (1954). https://doi.org/10.1007/BF00684371
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