Zusammenfassung
Die Arbeit geht von der Voraussetzung aus, daß in jeder Blickstörung ein hyperkinetisch-nystagmischer und ein hypokinetisch-paretischer Anteil zu finden ist; eine dieser beiden Komponenten pflegt allerdings im Vordergrund des klinischen Bildes zu stehen. Die elektrooculographische Methode ermöglicht es, im Rahmen einer Gesichtssinnprüfung in Funktionsstufen verschiedene Bewegungsabläufe wie optokinetischen Nystagmus, Fixationsverhalten, Einstellbewegungen und Zählbewegungen in einem Untersuchungsgang zusammenhängend zu analysieren und hyper- und hypokinetische Abweichungen zu registrieren. Zunächst werden 6 Fälle vorwiegend hypokinetischer Form erworbener Blickstörung dargestellt: Es handelt sich teils um mehr akute Ophthalmoplegien, teils um langzeitig ablaufende Prozesse. Die Konstellation der am peripheren Organ feststellbaren Bewegungsfälle läßt sich am besten als Abbau eines funktionellen Systems verstehen. Ähnliches gilt für eine 2. Gruppe erworbener, vorwiegend hiperkinetischer Blickstörungen (5 Fälle), die auf labyrinthäre oder cerebrale Schädigungen zu beziehen waren; die krankhaften Vorgänge sind nach neueren Anschauungen in verschiedene Schichten der zentralnervöwen Steuerung zu lokalisieren. Kennzeichnend ist eine bestimmte, relativ günstige “Zwangshaltung”, die durch das starre Überwiegen eines niederen Automatismus zustande kommt; oft handelt es sich um eine asymmetrische Gleichgewichtslage. Zwei weitere Gruppen werden aus Patienten mit angeborenen Blickstörungen gebildet, die eine mit solchen mehr hypokinetischen, die andere mit solchen mehr hyperkinetischen Charakters (4 bzw. 8 Fälle). Aus den klinischen Befunden, aber auch aus den elektrooculographischen Ableitungen werden einfache senso-motorische Verhaltensweisen sichtbar, die im Sinne einer phylogenetisch primitiven Raumorientierung in sich harmonisch sind; von einem Leistungsversagen kann erst gesprochen werden, wenn höhere Anforderungen an das — bei den Primaten in der Ontogenese höchst individuell ausdifferenzierte —Sehorgan gestellt werden. Nystagmus oder Parese als Möglichkeiten senso-motorischer Unfreiheit können allein die höheren aktiven Leistungen oder schon die Stufen der einfachen Orientierung betreffen.
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Piper, H.F., Holland, G. Klinisch und elektro-okulographisch gewonnene Gesichtspunkte für die Beurteilung von Blicklähmung und Nystagmus. Albrecht v. Graefes Arch. Ophthal. 162, 137–165 (1960). https://doi.org/10.1007/BF00682418
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DOI: https://doi.org/10.1007/BF00682418