Zusammenfassung
Bei einem früher unauffälligen Mann hatte sich im Laufe einer seit 10 Jahren bestehenden Epilepsie mit vorwiegend temporalen Anfällen eine deutliche Wesensveränderung und beginnende Demenz entwickelt. Ursache der Epilepsie war ein langsam wachsender, klinisch sonst symptomloser Tumor (Oligodendrogliom) des rechten Schläfenlappens. Im Alter von 40 Jahren verübte er, nachdem sein Betrieb niedergebrannt war, innerhalb eines Jahres 80–100 immer in der gleichen Weise durchgeführte Trickdiebstähle in Uhrmacherläden; er versteckte die im Werte unterschiedlichen Gegenstände zu Hause als „Kapitalanlage zum Wiederaufbau des Betriebes”.
Unter Berücksichtigung von 2 weiteren Beobachtungen rechtsbrecherischen Verhaltens bei Kranken mit Temporallappen-Epilepsie wird die Frage des Bewußtseinszustandes außerhalb der Anfälle und seiner Beziehung zur epileptischen Wesensveränderung diskutiert.
Die mitgeteilten Beobachtungen zeigen: Epileptische Kranke können in bewußtseinsverändertem Zustand Delikte begehen, die alle Kennzeichen einer geplanten Unternehmung tragen. Die zeitliche, örtliche undgrob situative Orientierung kann bei leichteren Bewußtseinsveränderungen, Einschränkungen der Besinnung durchaus erhalten sein. Zeigen sich im Elektroencephalogramm wiederholt deutliche Allgemeinveränderungen oder Krampfentladungen, so weist dies auf eine — nicht an das Anfallsgeschehen gebundene — anhaltende Bewußtseinsveränderung hin.
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Meyer, JE. Zur forensischen Bedeutung der Temporallappen-Epilepsie. Dtsch. Z. ges. gerichtl. Med. 46, 212–225 (1957). https://doi.org/10.1007/BF00666394
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