Zusammenfassung
Durch die Darstellung der Abwandlung der Gesamtpersönlichkeit im Alter wird die Vieldeutigkeit mancher Einzelsymptome des Alterns aufzuhellen versucht. Die Einzelbefunde werden als Gliedzüge der Abwandlung der Person gefaßt, die sich ihrerseits vornehmlich in Form allgemeiner Antriebsminderung manifestiert. Die Antriebsminderung begünstigt eine zunehmende Introversion der Persönlichkeit, deren Reaktionsweisen eine Einbuße an Stärke und Intensität erleiden. Kompensiert wird dieser Vorgang durch zunehmende Entfaltung in der Tiefendimension, die mit jener der Intensität in polarem Verhältnis steht. So pflegen die vitalen Seiten des Denkens, vor allem der Einfallsreichtum abzunehmen. Andererseits werden nicht nur die Gefahren des vitalen Denkens, die der Oberflächlichkeit und sprunghaften Diskontinuität geringer, sondern es kommt bei differenzierten Personen auch zu einer Zunahme der Tiefgründigkeit des Denkens, der Fähigkeit zur Erfassung des Essentiellen und Wesentlichen. Vergleichbare Verschiebungen in der Polarität Intensität-Tiefe werden auch an anderen Persönlichkeitsbereichen aufgezeigt.
Der Antriebsverlust pflegt sich auf die Persönlichkeit in einer ersten Phase dahingehend auszuwirken, daß diese ihr Modulationsvermögen einbüßt und die habituellen Züge überdeutlich in Erscheinung treten. In einer zweiten Phase kann die Erstarrung unter Umständen zu einer Abnahme an zentrierendem Vermögen der Persönlichkeit führen, so daß einzelne Funktionsbereiche nun zunehmend autonom reagieren. Das Verhalten büßt vieles an individueller Bestimmtheit ein, die Persönlichkeitszüge erscheinen jetzt diffus und verwaschen.
Aus dem Nebeneinander beider Stufen lassen sich manche paradox anmutende Reaktionsweisen begreifen, es können z. B. unbeugsamer Starrsinn einerseits und willenlose Suggestibilität andererseits kontrastreich abwechseln. Im Zuge der Erstarrung und Umstellerschwerung kann dem Alternden die Anbahnung neuer, tiefbegründeter Bindungen versagt bleiben, die Kontrolle über die affektive Reagibilität ihm aber der Insuffizienz der zentralen Steuerung wegen entgleiten. Mit der Auflockerung des personalen Gefüges können auch andere typische Phänomene, beispielsweise die motorischen Drangund Entladungszustände, sodann die loquacitas senilis und die Neigung mancher Greise zum Fabulieren gedeutet werden.
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Nach einem am 10. 5. 57 vor der Medizinischen Gesellschaft Mainz gehaltenen Vortrag.
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Petrilowitsch, N. Der Granzheitsaspekt in der Alternsforschung. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift f. d. ges. Neurologie 196, 337–348 (1957). https://doi.org/10.1007/BF00625748
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