Zusammenfassung
An einer aus 15376 Fällen ausgewählten und nach dem Merkmal „Zeit nach Trink-Ende“ geordneten Stichprobe von 10076 forensischen Blutproben zur Alkoholbestimmung wird durch nahezu ideale Annäherung der Merkmalshäufigkeiten an eine logarithmische Normalverteilung der Nachweis der Zufälligkeit der Stichprobe (random sample) erbracht. Aus dem Verteilungsgesetz des Merkmals ergibt sich, daß unter den für unsere Beobachtung geltenden Bedingungen 105 min nach Trink-Ende erst 50% aller Entnahmen erfaßt werden. In den Zeitraum von 1/2 bis 6 Std fallen 90% und in den Zeitraum von 1/4–11 1/2 Std nach Trink-Ende 99% aller Entnahmen.
Da die Stichprobe logarithmisch normal verteilt, also ohne Zweifel repräsentativ ist, besteht keine Gefahr, daß bei der Schätzung weiterer Parameter systematische Fehler in die Untersuchung einfließen.
Bei Betrachtung der in Zeiten nach Trink-Ende geordneten absoluten Zahlen „klinisch eindeutig Trunkener“ zeigt sich, daß ihreVerteilung auf die Zeiten von der Höhe der Blutalkoholkonzentration nicht beeinflußt wird.
Der davon nicht berührte Einfluß der Konzentrationen auf dieAnzahl selbst läßt sich durch Erfassung der prozentualen Anteile „klinisch eindeutig Trunkener“ an der Gesamtzahl, mit welcher jede durch Zeit und Konzentration markierte Klasse besetzt ist, darstellen.
Durch lineare Mehrfachregression kann die gesetzmäßige Abhängigkeit der prozentualen Anteile „klinisch eindeutig Trunkener“ von beiden Größen, der Zeit und der Konzentration, definiert werden. Sie lautet: Unter allen Alkoholisierten mit gleichem Blutalkoholgehalt nimmt der Anteil der „klinisch eindeutig Trunkenen“ um rund 47% ab, wenn der Logarithmus der Zeit nach Trink-Ende um 1 größer wird, und unter allen zur gleichen Zeit nach Trink-Ende Untersuchten nimmt der Anteil der „klinisch eindeutig Trunkenen“ um rund 25% zu, wenn die Konzentration um 1 größer wird. Reine Konzentrationsabhängigkeit der Anteile „klinisch Trunkener“ besteht offenbar nur in der ersten Zeit nach Trink-Ende, welche der resorptiven Phase des Alkoholgeschehens entspricht. In der postresorptiven Phase ist der Zeiteinfluß beträchtlich und überwiegt den der Konzentration.
Die Bedeutung dieser Erkenntnisse für die forensische Praxis wird an Hand eines besonders eindrucksvollen Beispiels aufgezeigt und abschließend angeregt, dem Einfluß der Zeit bei der Beurteilung von Blutalkoholbefunden künftig mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
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Gerchow, J., Sachs, V. Die gesetzmäßigen Beziehungen zwischen Alkohol-konzentration, Zeit und klinisch feststellbarer Trunkenheit. Dtsch. Z. ges. gerichtl. Med. 51, 32–46 (1961). https://doi.org/10.1007/BF00574046
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