Zusammenfassung
An Hand eigener Beispiele (2 Fälle von Hypophysenadenomen, 1 Fall von tuberöser Sklerose) und analoger kasuistischer Mitteilungen anderer Autoren werden die Kausalfaktoren untersucht, die in paranoid-halluzinatorischen Syndromen ohne Bewußtseinstrübung bei raumfordernden intrakranialen Prozessen wirksam werden. Wir fanden, daß die organische cerebrale Läsion zusammen mit der konstitutionellen Bereitschaft zu sensitiven Erlebnisweisen und den emotionalen Auswirkungen unbewältigter Konflikte eine Bedingungstrias bildet, die in den besprochenen und in den ihnen zuzuordnenden Fällen für das Auftreten eines paranoidhalluzinatorischen Syndroms verantwortlich zu machen ist. Für den Zeitpunkt des Manifestwerdens der Psychose können sowohl somatische wie auch psychische Faktoren ausschlaggebend sein, die zur Dekompensation eines vorher möglicherweise gerade noch aufrechterhaltenen psycho-biologischen Gleichgewichtes führen. Das bei Hypophysenadenomen nicht seltene, in unseren Fällen jedoch bezeichnenderweise fehlende endokrine Psychosyndrom und das paranoid-halluzinatorische Syndrom schließen einander in ihrer vollen Ausprägung aus. Paranoide und halluzinatorische Symptomatik setzt eine emotionale Reagibilität voraus, die beim endokrinen Psychosyndrom nicht gegeben ist. In vergleichbarer Weise scheint eine wesentliche Wirkungskomponente der medikamentösen Neurolepsie in einer Senkung des affektiven Energiepotentials zu bestehen. Die therapeutische Wirkung neuroleptischer Substanzen bei symptomatischen paranoid-halluzinatorischen Psychosen verschiedener Ätiologie wird auf die medikamentöse Beeinflussung einer den jeweiligen organischen Läsionen gemeinsamen Endstrecke gestörter cerebraler Funktion zurückgeführt. Die Unspezifität der organischcerebralen Noxe im Rahmen der zur Manifestation paranoid-halluzinatorischer Syndrome führenden Bedingungstrias wird betont.
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Heinrich, K., Korn, W. Zur Frage der paranoid-halluzinatorischen Psychosen bei raumfordernden intrakranialen Prozessen. Arch. F. Psychiatr. U. Z. Neur. 200, 492–508 (1960). https://doi.org/10.1007/BF00418562
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