Neuere vorstellungen über die bluthirnschranken-funktion und deren bedeutung für die pathogenese beruflicher vergiftungen

Zusammenfassung

Durch these Ausführungen sollte nicht in Frage gestellt werden, daß die Beschaffenheit der Grenzflächen zwischen Blutbahn und Gewebe für die Gestaltung toxischer Schäden im ZNS sehr wesentlich ist. Es sollte jedoch hervorgehoben werden, daß eindeutige morphologische Beweise für eine besondere, von den Grenzflächen anderer Organe grundsätzlich verschiedene Schutzeinrichtung im ZNS bislang fehlen und daß viele von den Argumenten für die Existenz einer solchen nur dem Gehirn eigentümlichen Barriere im Lichte neuerer Erkenntnisse fraglich geworden sind. Es handelt sick hier aber keineswegs um eine neue Erkenntnis. In einer grundlegenden morphologischen Studie über den Stoffaustausch zwischen dem. Zentralnervensystem und dem übrigen Körper schrieb Spatz bereits 1934: „Das Problem dieser Schranken (Blutgehirn- und Blutliquorschranke) ist nichts weiteres als ein Teil-problem des Problems der Durchlässigkeit der Capillaren überhaupt. Dem Gehirn kommt keine prinzipiell besondersartige Schranke zu.” Ein erheblicher Teil der Besonderheiten, die heute unter einer teleologischen Betrachtungsweise oft noch mit dem Hinweis auf eine vorhandene oder fehlende Schutzwirkung der Bluthirnschranke umschrieben werden, findet eine einleuchtendere Erklärung in der Wirksamkeit und im Zusammenwirken der folgenden Faktoren:

• 1. Die physikalisch-chemischen Eigenschaften eines Giftes.

• 2. Die Bindung eines Giftes an Transportsubstanzen (Serumproteine) des Blutes.

• 3. Die intracellulären Stoffwechselverhältnisse im ZNS.

• 4. Die Vascularisation.

• 5. Zusammenbruch der normalen Permeabilität durch anoxischen Schaden, a) der Gefäße, b) des Parenchyms.

• 6. Das Vorhandensein geeigneter Receptoren bei der gezielten Beeinträchtigung bestimmter Funktionssysteme.

• 7. „Indirekte” toxische Wirkung auf das ZNS.

Für diese Faktoren werden einige Beispiele aus der Arbeitstoxikologie angeführt, die einerseits die Problematik der Permeabilitätsphänomene im ZNS bei beruflichen Vergiftungen beleuchten, andererseits den großen theoretischen Wert einer pathogenetischen Analyse solcher Vergiftungen für die Hirnforschung schlechthin hervorheben sollten.