Zusammenfassung
-
1.
Das Zytoplasma tierischer Zellen enthält diffus verteilte kolloide Säuren (saure Anabolite), welche sich durch besonders hohe Affinität zu basischen Anilinfarbstoffen sowohl bei lebenden wie auch in fixierten Zellen auszeichnen. Auf den fixierten Präparaten rufen sie die allbekannte diffuse Basophilie — Färbbarkeit mit konzentrierten basischen Farbstoffen — der toten Zellen hervor. Werden die Zellen noch während des Lebens mit konzentrierten Farblösungen behandelt (Supravitalfärbung), dann kommt es innerhalb der Zelle unter bestimmten Bedingungen zur gegenseitigen Ausflockung der basischen Farbstoffe und der Anabolite. Bei der Einwirkung von stark verdünnten Farblösungen (Vitalfärbung) treten beide Substanzen (Farbstoffe und Anabolite) auch hier in eine Verbindung miteinander und werden dann in allbekannten Farbgranulis abgelagert. In beiden Fällen schwindet bei nachträglicher Fixierung und histologischer Färbung die diffuse Basophilie des Zellplasmas, da alle Anabolite aus dem Grundplasma entmischt sind (Abb. 3a, b, c). Eine derartige vollständige Absonderung der Anabolite kann nicht bei allen basophilen Zellen erzielt werden. In jüngeren Zellen wird sie nicht oder doch nur selten beobachtet und in ganz jungen, stark basophilen Zellen wird überhaupt nichts entmischt.
-
2.
Die stärkste Basophilie entspricht einem bestimmten Entwicklungsstadium in der Differenzierung, der Reifung einer Zellengemeinschaft, sowohl während der Embryonalentwicklung, wie auch in stetig regenerierenden Geweben der erwachsenen Tiere. Nach diesem Stadium (oder während desselben) werden die histologischen Spezialstrukturen gebildet (Kedrowski 1937c). Mit diesem Stadium der stärksten Basophilie ist auch eine besonders mächtige Wachstumsmöglichkeit verknüpft. Im Laufe der weiteren Entwicklung vermindert sich im allgemeinen der Basophiliegrad, d. h. der Gehalt an Anaboliten, und nur in einzelnen Organen behalten die Zellen auch im reifen Zustande basophile Strukturen im Plasma („funktioneile Basophilie“ der Pankreaszellen, der Megakaryozyten usw.).
-
3.
Die meisten erwachsenen Zellen sind bekanntlich nicht basophil und enthalten somit nur sehr unbedeutende Mengen von Anaboliten. Nach langer Vitalfärbung werden auch hier basophile Zellgranula gebildet, was auf eine Neubildung der Anabolite hinweist (Chlopin). Diese Eigenschaft wird länger beibehalten als die Basophilie. Nur bei einigen hochdifferenzierten Zellarten, wie den Leukozyten, geht auch diese letztere Eigenschaft verloren.
-
4.
Die entmischten Anabolite können histochemisch und sogar chemisch analysiert werden. Die Granula zeigen sehr niedrige Werte der isoelektrischen Punkte, enthalten Phosphorsäure und lösen sich leicht in schwachen Na2CO3-Lösungen auf. Sie bestehen weder aus reinen Lipoiden noch Eiweißstoffen, sondern allem Anschein nach aus komplexen Nukleinsäureverbindungen, denn nach Caspersson und Schultz und Brachet hängt die Basophilie der Embryonalzellen von diesen Stoffen ab.
-
5.
Auch die jungen Zellen im Wurzelmeristem der höheren Pflanzen enthalten ähnliche Stoffe (Caspersson und Schultz, Truchatschewa), die sich mit basischen Farbstoffen kräftig anfärben lassen und Nukleinsäuren enthalten.
-
6.
Da der hohe Gehalt an Anaboliten vor allem den Embryonalzellen eigen ist, so spielen diese Stoffe ihre Hauptrolle offenbar in der Embryonalentwicklung, d. h. im Wachstum und in der histologischen Differenzierung. Es wird ferner im Texte diskutiert, wie man diese Rolle verstehen und wie man sie näher untersuchen könnte. Hier sei nur auf ihre besondere Teilnahme an der synthetischen, anabolischen Tätigkeit der Zelle hingewiesen (Kedrowski, Caspersson und Schultz.)
-
7.
Die Feststellung der Anabolite als Bestandteil des Zytoplasmas zeigte erstens die Möglichkeit der isolierten Analyse seiner Kolloide, erlaubte zweitens gewisse Besonderheiten im kolloiden Bestande der jungen Zellen aufzudecken und erklärte den Grund der denselben von einem gewissen Stadium an eigenen Basophilie; drittens erklärte sie den am meisten verbreiteten Typus der Vitalfärbung mit basischen Farben als Reaktion der Farbe mit einer bestimmten Gruppe der Zellkolloide.
Literaturverzeichnis
Bank, O.: Kern und Protoplast nach vitaler Kernfärbung. Protoplasma (Berl.) 25, 188 (1936).
—: Entmischung der gefärbten Vakuolenkolloide durch Farbstoffe. Protoplasma (Berl.) 27, 367 (1937).
Behrens, M.: Über die Lokalisation der Hefenukleinsäure in pflanzlichen Zellen. Hoppe-Seylers Z. 253, 185 (1938).
Bieling, W.: Die Stellen besonders starker Vitalfärbung am Mäuseembryo, ihre Bedeutung für die Formbildung. Roux' Arch. 137, 1 (1937).
Boerner-Patzelt, D.: Lage des isoelektrischen Punktes einiger Zellen unter verschiedenen Bedingungen. Z. Zellforsch. 16, 198 (1932).
Brachet, J.: La localisation des protéines sulfhydrilées pendant le developpement des Amphibiens. Bull. Acad. roy. Belg. 1938, No 6–7.
—: La détection histochimique des acides pentosenucléiques. C. r. Soc. biol. Paris 133, 88 (1940a).
—: La localisation des acides pentosenucléiques pendant le développement des amphibiens. C. r. Soc. Biol. Paris 133, 90 (1940b).
Bragg, A.: Observations upon amphibian deutoplasm and its relation to embryonic and early larval development. Biol. Bull. Mar. biol. Labor. Wood's Hole 77, 268 (1939).
Bungenberg de Jong, H. G.: La coacervation, les coacervats et leur importance en biologie. Act. Sci. et ind. Paris: Hermann 1936.
Bungenberg de Jong, H. and O. Bank: Behaviour of microscopic bodies consisting of biocolloid systems and sus pended in an aqueous medium. III. Proc. roy. nederl. Acad. Sci. 42, 3 (1939).
Carroll, M.: Tissue respiration and its relation to age and weight. Arch. exper. Zellforsch. 22, 592 (1938).
Caspersson, T.: Über den chemischen Aufbau der Strukturen des Zellkerns. Skand. Arch. Physiol. (Berl. u. Lpz.) 73 (1936).
Caspersson, T. and J. Schultz: Nucleic acid metabolism of the chromosomes in relation to gene reproduction. Nature (Lond.) 142, 294 (1938).
—: Pentose nucleotides in the cytoplasm of growing tissues. Nature (Lond.) 143, 602 (1939).
Chlopin, N. G.: Experimentelle Untersuchungen über die sekretorischen Prozesse im Zytoplasma. I. Arch. exper. Zellforsch. 4, 462 (1927).
Cohen, F.: Sur l'évolution des cellules embryonnaires du parenchyme des planaires etc. C. r. Soc. Biol. Paris 81, 1216 (1939).
Dantschakoff, V.: La folliculine dans l'histogenèse sexuelle de l'embryon des Mammifères. C. r. Acad. Sci. Paris 207, 1450 (1938).
Desclin, L.: Détection des substances pentosenucléiques dans les cellules du lobe antérieur du rat et du cobaye. C. r. Soc. Biol. Paris 133, 457 (1940).
Fischer, A.: Nature of the growth-accelerating substance of animal tissue cells. Nature (Lond.) 144, 113 (1939).
Freundlich, H. u. H. Abramson: Über die kataphoretische Wanderungsgeschwindigkeit gröberer Teilchen in Solen und Gelen. Z. physik. Chem. 128, 25 (1927).
Gawrilow, R.: Zur Lehre über die vitalfärbbare Substanz der Erythrozyten. Fol. haemat. (Lpz.) 38, 216 (1929).
Gicklhorn, J.: Beobachtungen über die vitale Farbstoffspeicherung. Kolloidchem. Beih. 28, 367 (1929).
Goldberg, D.: Die basophile Substanz der Erythrozyten. II. Bull. exper. Biol. u. Med. (russ.) 3, 166 (1937).
—: Einige Fragen der Physiologie und Pathologie der Erythrozyten. Arb. med. Inst. Tomsk (russ.) 6, 370 (1938a).
—: Die basophile Substanz der Erythrozyten. IX. Arb. med. Inst. Tomsk (russ.) 7, 292 (1938b).
Graeper, L.: Beobachtung von Wachstumsvorgängen an Reihenaufnahmen lebender Hühnerembryonen usw. Roux' Arch. 33, 313 (1911).
Grossfeld, H.: Osmotischer Druck und Vitalfärbung. Protoplasma (Berl.) 29, 261 (1937).
Ide-Rozas, A.: Die zytologischen Verhältnisse bei der Regeneration von Kaulquappenextremitäten. Roux' Arch. 135, 552 (1937).
Itami, S. u. J. Pratt: Über Veränderungen der Resistenz und der Stromata roter Blutkörperchen bei experimentellen Anämien. Biochem. Z. 18, 302 (1909).
Jakowlewa, T.: Im Druck.
Jamasaki, M.: Fixierung und Darstellung der vitalen Neutralrotgranula bei Warmblütern. Über die Argentophilie der Vitalgranula. Arb. anat. Inst. Sendai 15, 7–26 (1933). Ref. Ber. Biol. 25, 601 (1933).
Kaplansky, S.: Die Veränderungen des chemischen Bestandes des Organismus im Wachstumsprozeß. Im Sammelwerk: Das Wachstum der Tiere. Moskau-Leningrad: Biol.-med. Staatsverlag 1935.
Kedrowski, B.: Die Stoffaufnahme bei Opalina ranarum. V. Z. Zellforsch. 13, 1 (1931).
—: Über die Natur des Vakuoms. Z. Zellforsch. 15, 731 (1932).
—: Neue Probleme im Studium des Eiweißstoffwechsels der Zelle. Arch. exper. Zellforsch. 14, 533 (1933).
—: Neue Daten über die Morphologie des Eiweißstoffwechsels. C. r. Acad. Sci. URSS. 2, 314 (1934a).
—: Untersuchungen über die Kondensatoren für basische Vitalfarbstoffe. I. Protoplasma (Berl.) 20, 44 (1934b).
—: Untersuchungen über die Kondensatoren usw. II. Protoplasma (Berl.) 22, 607 (1935a).
—: Untersuchungen über die Konsensatoren usw. III. Z. Zellforsch. 22, 399 (1935b).
—: Über die sauren Kolloide des Protoplasmas. I. Z. Zellforsch. 25, 694 (1937a).
—: Über die sauren Kolloide des Protoplasmas. II. Z. Zellforsch. 25, 708 (1937b).
—: Über die sauren Kolloide des Protoplasmas. III. Z. Zellforsch. 26, 21 (1937c).
—: The colloids of developing cells (anabolites). Biol. Z. 6, 1137 (1937d), russ. mit engl. Résumé.
—: The histogenesis of white blood corpuscles as a problem of developmental physiology. J. gen. Biol. (USSR.) 1, 317 (1940), russ. mit engl. Zusammenfass.
Kelley, E.: Reactions of dyes with cell substances. IV. J. of biol. Chem. 127, 55 (1939).
—: Reactions of dyes with cell substance. V. J. of biol. Chem. 127, 73 (1939).
Kirchner, H.: Die Bedeutung der interstitiellen Zellen für den Aufbau von Cordylophora Caspia Pall. Z. Zellforsch. 22, 1 (1934).
Krjukowa, S.: Zytologische Beobachtungen über die Speicheldrüse von Chironomus. Arch. Hist. u. Embr. (russ.) 8, 25 (1929).
Ludford, R.: The vital staining of normal and malignant cells. III. Proc. roy. Soc. B. 107, 101 (1930).
Makarow, P.: Analyse der Wirkung des Kohlenoxyds und der Cyanide auf die Zelle mit Hilfe der Vitalfärbung. Protoplasma (Berl.) 20 (1934).
Mochkovski, Ch.: Quelques observations sur la coloration vitale des Leishmania. C. r. Soc. Biol. Paris 121, 1607 (1936).
Möllendorff, v. W.: Vitale Färbungen an tierischen Zellen. Erg. Physiol. 18, 157 (1920).
—: Experimentelle Vakuolenbildung in Fibrozyten der Gewebekultur und deren Färbung durch Neutralrot. Z. Zellforsch. 23, 746 (1936).
Mommsen, H.: Über die elektrostatische Ladung von Zellen des menschlichen Blutes. Fol. haemat (Lpz.) 34, 50 (1927).
Morgan, T. H., J. Schultz, C. Bridges and V. Curry: Investigations on the constitution of the germinal material in relation to heredity. Carnegie Inst. Washington, Iear Book Nr 38, p. 273. 1939.
Nagel, A.: Untersuchungen über die Vitalfärbung in vitro gezüchteter Fibrocyten erwachsener Kaninchen. II. Z. Zellforsch. 10, 744 (1930).
Nassonow, D.: Über den Einfluß der Oxydationsprozesse auf die Verteilung der Vitalfarbstoffe in der Zelle. Z. Zellforsch. 11, 179 (1930).
Pallot, G.: Variations minérales dans le pancréas éxocrine des Téléostéens. Z. Zellforsch. 29, 234 (1939).
Popowa, N.: Über die Vitalfärbung der Erythrozyten der Säugetiere. Biol. Ž. (Z. Biol.) 3, 1087 (1935), russ. mit deutsch. Zusammenfass.
Posternak, M.: Bull. Soc. Chim. biol. Paris 27, 507 (1920).
Ries, E.: Zur Histophysiologie des Mäusepankreas. Z. Zellforsch. 22, 523 (1935).
—: Untersuchungen über den Zelltod. II. Roux' Arch. 137, 327 (1938).
Schlieper, K.: Die Abhängigkeit der Atmungsintensität der Organismen vom Wassergehalt und dem kolloidalen Zustand des Protoplasmas. Biol. Zbl. 56, 87 (1936).
Schlottke, E.: Zellstudien an Hydra. Z. mikrosk.-anat. Forsch. 28, 296 (1932).
Seki, M.: Zur Kenntnis der intra- und supravitalen Färbung. VI. Z. Zellforsch. 22, 445 (1935a).
—: Zur Kenntnis der intra- und supravitalen Färbung. VII. Z. Zellforsch. 22, 707 (1935b).
Seyfarth, C.: Experimentelle und klinische Untersuchungen über die vitalfärbbaren Erythrozyten. Fol. haemat. (Lpz.) 34, 7 (1927).
Seyfarth, C. u. R. Jürgens: Untersuchungen über das Verhalten der vitalgranulierten roten Blutzellen bei Embryonen und Neugeborenen. Virchows Arch. 266, 676 (1927).
Steinberg, D.: The regulatory processes in insekt metamorphosis. II. Biol. Ž. 7, 1013 (1938), russ. mit engl. Zusammenfass.
Stockenberg, W.: Die Orte besonderer Vitalfärbbarkeit des Hühnerembryos und ihre Bedeutung für die Formbildung. Roux' Arch. 135 (1936).
Sturm, K.: Die Lage des isoelektrischen Punktes bei den Osteoblasten und Osteocyten. Z. mikrosk.-anat. Forsch. 37, 595 (1935).
Swinkina, A.: Im Druck.
Uschin, N.: Über die Reaktion einiger Gewebselemente der Kaulquappen auf die vitale Neutralrotfärbung. Arch. exper. Zellforsch. 11, 472 (1931).
Warburg, O.: Zur Biologie der roten Blutzellen. Hoppe-Seylers Z. 59, 112 (1909).
—: Beiträge zur Physiologie der Zelle. Erg. Physiol. 14, 253 (1914).
Weel, P. van: Zur Histophysiologie des Pankreas vom Reiher. Z. Zellforsch. 27, 65 (1938).
Weitzmann, W.: L'origine du tissu régénératif en relation avec le degré du developpement de l'organisme. Acad. Sci. URSS. à Acad. N. V. Nassonow 1937, p. 389, russ. mit franz. Résumé.
Whitby, L. and C. Britton: The disorders of the blood. London: Churchill 1939.
Zeiger, K.: Die Ladungsmosaik der Epidermis. Z. Zellforsch. 23, 431 (1935).
—: Kolloidhistologische Untersuchungen an Epithelien. Z. Zellforsch. 24, 11 (1936).
Zymbal, W.: Experimentell histologische Untersuchungen über das Epithelgewebe des Metanephros. Arch. exper. Zellforsch. 18, 146 (1935).
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Kedrowski, B. Über die Eigentümlichkeiten im kolloiden Bau der Embryonalzellen. Z.Zellforsch 31, 435–460 (1941). https://doi.org/10.1007/BF00369046
Received:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF00369046