Zusammenfassung
In unserer Untersuchungsreihe von 15 Kranken, die wir nicht nach besonderen Gesichtspunkten ausgewählt, sondern in den Monaten Juni, Juli, August 1958 nacheinander in der Klinik untersucht und behandelt haben, ist besonders bemerkenswert, daß die situativen Ereignisse des Wohnungswechsels und der Entbindung auffallend häufig mit dem Beginn einer endogenen depressiven Phase zusammentreffen. Bei dem Ereignis der Entbindung ist an Hand dieser Beispiele besonders hervorzuheben, daß die endogene Depression keineswegs stets im Anschluß an das Wochenbett, sondern meist erst Wochen oder Monate nach der Entbindung bei einer zusätzlichen Belastung auftritt. Neben den Ereignissen des Wohnungswechsels und der Entbindung konnten wir sonst — wie oben bereits vermerkt — die Verlobung bzw. Heirat der Kinder oder das Fortgehen der Kinder aus dem Elternhaus auffallend häufig bei endogen depressiven Frauen als auslösendes situatives Ereignis antreffen, wenn auch dieses Ereignis in unserer Untersuchungsreihe nur einmal Erwähnung findet. Bei diesen drei Gruppen von auslösenden situativen Momenten dürfte neben der Häufigkeit des Zusammentreffens mit dem Beginn endogener depressiver Phasen auch die Art der Ereignisse einen inneren Zusammenhang mit der Schwermut im Sinne der Auslösung wahrscheinlich machen. Es handelt sich hier um Ereignisse, die meist nicht in erster Linie Anlaß zu einer depressiven Erlebnisreaktion bilden, sondern die in besonderem Maße eine innere Umstellung und Anpassung an eine neue Situation notwendig machen. Es ist auch in vielen Fällen im Beginn situativ ausgelöster endogener depressiver Phasen zunächst keine reaktive depressive Verstimmung zu beobachten, sondern die endogene depressive Verstimmung scheint unmittelbar ausgelöst bzw. provoziert zu werden, und der Zusammenhang zwischen auslösendem Ereignis und endogener depressiver Phase dürfte meist wesentlich anders sein als der Zusammenhang zwischen situativem Ereignis und depressiver Erlebnisreaktion. Das auslösende situative Ereignis ist in keinem Falle als Hauptursache für das Auftreten der endogenen Depression, sondern stets nur als eine mehr oder weniger wesentliche Bedingung für den Zeitpunkt des Auftretens der endogenen depressiven Phase anzusehen. Zur weiteren Klärung dieser Probleme ist es wohl notwendig, einmal bei allen endogen depressiven Kranken die Situation zur Zeit des Auftretens der endogenen depressiven Phase genau zu untersuchen.
Literatur
Pauleikhoff, B.: Über die Bedeutung situativer Einflüsse bei der Auslösung endogener depressiver Phasen. Arch. Psychiat. Nervenkr. 197, 669 (1958).
Bumke, O.: Lehrbuch der Geisteskrankheiten. 7. Aufl.. München: J. F. Bergmann 1948.
Kornhuber, H.: Die Auslösung cyclothymer Depressionen durch seelische Erschütterungen. Arch. Psychiat. Nervenkr. 193, 391 (1955).
Lange, J.: Über Melancholie. Z. Neurol. 101, 293 (1926).
Reiss, E.: Konstitutionelle Verstimmung und manisch-depressives Irresein. Klinische Untersuchungen über den Zusammenhang von Veranlagung und Psychose. Z. Neurol. 2, 347 (1910).
Wyrsch, J.: Die Bedeutung der exogenen Faktoren für die Entstehung und den Verlauf des manisch-depressiven Irreseins und der genuinen Epilepsie. Schweiz. Arch. Neurol. Psychiat. 43, 187 (1939).
Author information
Authors and Affiliations
Additional information
Nach einem am 23. 10. 1958 auf der XI. Gütersloher Fortbildungswoche gehaltenen Vortrag.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Pauleikhoff, B. Über die Auslösung endogener depressiver Phasen durch situative Einflüsse. Archiv Fü Psychiatrie und Zeitschrift f. d. ges Neurologie 198, 456–470 (1959). https://doi.org/10.1007/BF00357892
Received:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF00357892