Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit galt einer klinisch-psychopathologisch vergleichenden Untersuchung von Depersonalisationssyndromen bei hirnorganisch Kranken und bei Schizophrenen. An Hand eigener Modellfälle und unter Hinzuziehung der Literatur wurde zunächst das Depersonalisationssyndrom bei hirnorganischen Schädigungen eingehend beleuchtet. Anschließend wurden die Depersonalisationserlebnisse bei schizophrenen Patienten dargestellt, wie wir sie bei jugendlichen Ersterkrankungen und besonders häufig auch bei Spätschizophrenien beobachten konnten.
Die vergleichende Betrachtung ergab eine bemerkenswerte Ähnlichkeit der Depersonalisationserscheinungen bei hirnorganischen und schizophrenen Kranken, nicht selten sogar eine fast wörtliche Übereinstimmung der subjektiven Schilderungen. Selbst Phänomene wie Spaltung des Ich oder Betrachtung des Ich von außerhalb fanden sich noch im Rahmen hirnorganischer Erkrankungen, wobei diesen Patienten allerdings stets noch eine Stellungnahme bzw. eine Distanzierung von den erlebten Veränderungen möglich blieb. Die Depersonalisationserlebnisse unserer schizophrenen Kranken gewannen hingegen bald für die Patienten vollen Realitätswert. In dieser Identifikation schien sich uns die qualitativ andersartige schizophrene Erlebnisweise erstmals scharf abzuheben, noch bevor charakteristische schizophrene Deutungen (z. B. des Gemachtwerdens, der Beeinflussung usw.) einsetzten.
Unter hirnpathologischem Aspekt fanden sich Depersonalisationsphänomene bei den hirnorganisch Kranken ganz überwiegend bei Affektionen im Bereich des Hirnstamms und seiner thalamischen Beziehungen zur Parietalrinde.
Es wurde darauf hingewiesen, daß der Mensch erst in einem gewissen Reifezustand und bei genügender affektiver Schwingungsbreite überhaupt „depersonalisationsfähig“ ist. Als weitere wesentliche Voraussetzung für das Zustandekommen eines Depersonalisationssyndroms wurde die Bedeutung konstitutioneller Faktoren herausgestellt, wobei wir eine auffallende Ähnlichkeit der prämorbiden Persönlichkeitsstruktur bei hirnorganischen und schizophrenen Kranken nachweisen konnten.
Der am Zustandekommen von Depersonalisationsphänomen mitbeteiligte Antriebsfaktor zeigte nach unseren Untersuchungen die charakteristischen Kriterien einer vorwiegend „diencephalen Antriebsschwäche“. Zuletzt wurde noch die Bewußtseinslage gestreift. Mit Haug war somit auch vom Psychopathologischen her auf die „hervorragende Bedeutung des Stammhirns für die Psychodynamik der Entfremdungserlebnisse“ hinzuweisen.
Abschließend legten wir dar, daß in den Frühstadien schizophrener Prozesse hirnstammnahe Reaktionsweisen zum Anklingen kommen können, wie sie auch sonst im Beginn einer Schizophrenie als vegetativdiencephale Symptome (Ewald) in Erscheinung treten. Welche Faktoren diese schizophrenen Abläufe bewirken, darüber läßt eine solche vergleichende Betrachtung selbstverständlich keine Aussage erwarten. Wir können jedoch feststellen, daß auch die Psychose sich teilweise auf einem präformierten Geleise abspielt, das uns von organisch bedingten Erlebensveränderungen bekannt ist.
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Herrn Prof. Dr. Fr. Panse zum 60. Geburtstag gewidmet.
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Klages, W. Depersonalisationserscheinungen bei hirnorganisch Kranken und Schizophrenen. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift f. d. ges. Neurologie 199, 266–279 (1959). https://doi.org/10.1007/BF00356188
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