Zusammenfassung
Wir glauben durch unsere Ausführungen gezeigt zu haben, daß es sich bei der Psychose Kubins — wie überhaupt bei dem oneiroiden Syndrom — um einen außerordentlich komplexen Vorgang handelt, dem man nur durch eine mehrdimensionale Betrachtungsweise gerecht werden kann.
Zunächst ist ein (wohl aus Stoffwechselstörungen stammender) toxischer Faktor nach Art der Bonhoefferschen Reaktionstypen zu vermuten: die Verwandtschaft des oneiroiden Syndroms nach dieser Richtung liegt vor allem in der Neigung zur Bewußtseinsveränderung und in dem massenhaften Hereinbrechen plastischer optischer Halluzinationen. Aber auch der konstitutionelle Hintergrund, auf den diese toxischen Reizwirkungen fallen, ist noch kompliziert.
Das Krankheitsgeschehen spielt sich zwischen den beiden großen Formenkreisen der zirkulären und schizophrenen Psychosen ab, zwischen dem zyklothymen und schizothymen Konstitutionskreis, so daß sich eigentümliche Überschneidungen, wie bei Mischpsychosen auch sonst, ergeben.
Es scheinen beim Oneiroid aber immer ganz bestimmte Konstellationen vorzuliegen: Das rasche Ablaufstempo mit ideenfluchtartigem Bildwechsel, die Mannigfaltigkeit und Reichhaltigkeit, die Anschaulichkeit und szenische Gestaltung der Innenerlebnisse entstammen wohl mehr dem zyklothymen (zirkulären) Formenkreis, ebenso wie die meist auf der diathetischen Skala (traurig-heiter) hin und her schwankende Affektivität während des psychotischen Erlebens und die Periodik der Verläufe. Dem schizothymen (schizophrenen) Formenkreis dagegen sind gewöhnlich die Inhalte entliehen (Einkleidung in eine magische Atmosphäre, umschriebene magische Fernwirkungen, schizophrenieartige Wahnideen); bisweilen trifft man auch auf einen ekstatischen Gefühlsüberschwang, wie man ihn von bestimmten schizophrenen Bildern kennt.
Die Analyse der präpsychotischen Persönlichkeit ergibt im allgemeinen Konstitutionslegierungen, deren Aufbau für den Verlauf und die Ausgestaltung der Psychose von großer Bedeutung ist. Bei Kubin überwiegen die schizothymen Elemente, seine Psychose steht der Schizophrenie nahe; die Verlaufskurve zeigt deutlich eine prozeßhafte Temperamentsverschiebung mit Gemütsverödung und typisch schizophrene Depersonalisationserlebnisse. Man könnte hier von einer „oneiroiden Schizophrenie“ sprechen.
Psychoanalytisch läßt sich bei Kubin eine seit früher Kindheit bestehende neurotische Fehlhaltung feststellen, die sich vor allem in einer abnormen Protesthaltung („Ödipuskomplex“, Vaterprotest in der Pubertät, Menschenhaß) und in sexuellen Anomalien (quälerische Tendenzen) kundtut. Die Fehlhaltung dürfte eng mit seiner schizoiden Charakterstruktur (Autismus) verbunden sein, sie führt bei ihm zu der charakteristischen Konfliktsituation des Schizoiden (Pubertätskrise). — Die neurotischen Komplexe gehen zum Teil in das psychotische Erleben mit ein.
Voraussetzung für das Zustandekommen des oneiroiden Syndroms ist offenbar eine schon präpsychotisch vorhandene Neigung zur Phantastik. Bei allen gründlicher analysierten Fällen konnte sie bisher nachgewiesen werden, so auch bei Kubin.
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Winkler, W. Das Oneiroid. Archiv f. Psychiatrie 181, 136–167 (1948). https://doi.org/10.1007/BF00353813
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