Zusammenfassung
Von den bisher wenig beachteten depressiven Verstimmungen bei Schizophrenen werden diejenigen als schizophrene Depression bezeichnet, die keine paranoiden, halluzinatorischen, hebephrenen oder katatonen Symptome aufweisen und in denen die depressive Verstimmung Leitsymptom ist.
Sie kommen im Verlauf prognostisch ungünstiger Schizophrenien vor, nie am Anfang, meist bei bereits eingetretenem Defekt, der sich nach der schizophrenen Depression vertieft. Familiär besteht keine Belastung mit endogenen Depressionen, wohl mit Schizophrenien. Körperbaulich sind es fast nie pyknische Patienten, prämorbid entweder schizoide oder undifferenzierte Charaktere ohne besondere Neigung zu depressiver Verstimmung. Reaktiv situative Faktoren sind anscheinend pathogenetisch unbedeutend.
Psychopathologisch unterscheidet sich die schizophrene Depression deutlich von der cyclothymen Depression: die Traurigkeit ist nie vital; Wahninhalte (auch depressiver Art) fehlen, ableitbare Schuldgefühle sind selten; häufig sind Hilf- und Ratlosigkeit bei alltäglichen Problemen und ängstliche Sorge um die Zukunft. Bei der schizophrenen Depression sind Verstimmung und Hemmung ausgesprochen umweltlabil, durch therapeutische Milieugestaltung günstig, durch Belastungen ungünstig beeinflußbar; es besteht kein Tagesrhythmus, sondern ein rascher, unregelmäßiger, oft stündlicher Wechsel.
Denkstörungen sind regelmäßig und werden stark empfunden, bei der Leistungsprüfung sind sie stets zu objektivieren. Im Formdeutverfahren (Z-Test) finden sich schizophrene Symptome, keine Parallelen zur cyclothymen, wohl aber zur neurotischen Depression.
Mat Fortschreiten des Defektes wird die schizophrene Depression starrer.
Die Behandlung ist schwierig und langwierig. Die bei cyclothymen Depressionen bewährten Methoden (Krampfbehandlung, Tofranil, Monoaminooxydasehemmer) versagen. Phenothiazine in höheren Dosen und Hypoglykämien helfen in einem Teil der Fälle.
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Tölle, R. Zur Psychopathologie depressiver Verstimmungen bei Schizophrenen. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift f. d. ges. Neurologie 202, 440–450 (1961). https://doi.org/10.1007/BF00353571
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