Zusammenfassung
Es wird berichtet über 2 Gewebsmißbildungen des Nervensystems von ungewöhnlicher bisher im Schrifttum nicht verzeichneter Ausbildung. Im 1. Fall bestehen außerdem Beziehungen zur Geschwulstbildung. Bei einem 17jährigen hypoblastischen jungen Mann findet sich ein Paragangliom des Ganglion ciliare, eine isoliert über den Filum terminale gelegene Hamartie des Neuroektoderm mit gut ausdifferenzierten Ganglienzellen und eine Thymushyperplasie. An Sympathicus-hüllzellen erinnernde Zellelemente in der derben bindegewebigen Kapsel der in der Cauda equina gelegenen Gewebsabsprengung veranschaulichen eine Störung in der Abwanderung sympathischer Zellelemente, die ebenso die Sympathicogonienhaufen in dem reichlich angelegten Mark der Nebennieren verdeutlichen. Kranial hat die gleiche Störung mit reichlich Bildungsmaterial die Anlage für das Paragangliom geschaffen, das jetzt durch unbekannte Auslösung blastomatöses Wachstum erlangt hat. Eine Betrachtung des Gesamtbefundes vom Standpunkt einer Korrelationspathologie reiht die Thymushyperplasie als koordinierte Systemfehlbildung in die Störung des Parasympathicus ein und führt zum Verständnis des vielgestaltigen Krankheitsgeschehens.
Die 2. Beobachtung behandelt das Operationspräparat eines 1jährigen Jungen, der mit einer nahezu kindskopfgroßen Cysteam Steiß geboren wurde. Reichliches Bildungsmaterial der Rumpfschwanzknospe hat zu einer eigenartigen Ausbildung des caudalen Medullarrohrabschnittes geführt, die in der normalen Entwicklung angedeutet, aber beim 4–5 Monate alten Keimling zurückgebildet wird. Der caudale Rückenmarksabschnitt ist als doppelt kanalisiertes Rohr mit mächtiger Schwanzblase (jetzt Umfang 29 cm) erhalten geblieben. In den Wandabschnitten ist zentralnervöses Gewebe mit Makro-,Mikroglia, Ganglienzellen, Neurofibrillennetzen, Plexusplatten und Ventrikel zur Ausbildung gekommen. Reichliche gefäßführende Bindegewebszüge durchsetzen von der Subcutis her einstrahlend das Nervengewebe. Man erkennt Aufsplitterung desselben mit Abbau und Organisation abgetrennter Gliastückchen durch einsprossende Capillaren. Wir sehen in dieser Mesenchymation die Rückbildungsvorgänge des Organismus an dem angelegten Material der Rumpfschwanzknospe. Den gleichen Prozeß der Einsprossung gefäßführenden Mesenchyms haben wir in der Hamartie über dem Filum terminale (Fall 1) und in einem Filum terminale eines 32 cm langen Anencephalus mit Rachischisis gefunden. Der Nachweis von Ganglienzellen mit Nervenfasern noch. 5 cm unterhalb des Conus terminalis im Filum terminale des Anencephalus und das versprengte, gut ausdifferenzierte Neuroektoderm in Fall 1 sowie das ausdifferenzierte Material der tiefen Medullarrohrabschnitte in Fall 2 widerlegt die Annahme, daß unterhalb des Conus keine Nervenzellen angelegt werden. Je nach Anlage des Rumpfschwanzknospenmaterials und den Rückbildungsvorgängen kann das bereitgestellte Gewebe Zeit zur Differenzierung haben und Nervenzellen ausbilden.
Größe und Differenzierungsgrad unserer Gewebsmißbildung in Fall 2 erlauben es, die Beobachtung als „Gehirn am Steiß“ zu bezeichnen.
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Diezel, P. Gewebsmißbildungen am kranialen und caudalen Neuroporus mit Beziehungen zur Geschwulstbildung. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift Neurologie 182, 229–248 (1949). https://doi.org/10.1007/BF00352766
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