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Über Störungen des Körperbildes und über Phantomerlebnisse bei Rückenmarkverletzten

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Zusammenfassung

Der Gesunde ist sich über die Grundlagen seines Körpererlebens, seines Körperbildes, meist weitgehend im Unklaren. Auch bei gerichteter Aufmerksamkeit erlebt er an sich selbst kaum mehr, als ein unbestimmtes Gefühl für die Ausfüllung seines „Raumes“, wie er ihn durch die Vermittlung der Bewegungen einzuschätzen bzw. (aus einem anderen Gesichtswinkel betrachtet) im Rahmen der „Gestaltfunktion“ zu. empfinden gewohnt ist.

Der durch Rückenmarkverletzung eines Körperabschnitts funktionell Beraubte berichtet häufig von einer Verlust-bzw. Verstümmelungsempfindung für die ausgeschalteten Körperteile. Meist wird er sich sehr schnell aber der strukturellen Unversehrtheit des Körpers wieder bewußt, er „spürt“ wieder, daß er seine Beine noch besitzt. Die Körpereinheit, das Körperbild, ist wieder hergestellt.

Manchmal bleibt dieser Wiederaufbau des Körperbildes über längere Zeit aus: Die Verletzten empfinden sich als verstümmelt, die ausgefallenen Extremitäten sind fremd und nicht dazugehörig. Es besteht eine symptomatologische Verwandtschaft zu Körperbildstörungen bei Hirjiläsionen. Wahrscheinlich ist die „Überwachheit“, in der sich der Rückenmarkverletzte durch die Besonderheiten seiner Ausfälle und deren Pflege lange Zeit befindet, ein Hindernis für die Wiederherstellung des Körperbildes. Eine Voraussetzung dafür scheint die leptosome Anlage mit ihrem Korrelat der schizothymen Persönlichkeitsstrüktur zu sein.

Phantomerlebnisse sind im Gegensatz zum Verlust besonders eindringliche Manifestationen des Körperbildes. Sie treten bei Rückenmarkverletzten in verschiedener Gestalt auf: Scheinbare Lage- und Formänderungen, Bewegungsempfindungen, Schwebesensationen, verschiedene sensible Erlebnisse (Temperaturempfindungen, Eingeschlafensein, Ermüdung, Muskelkater) und schließlich vegetative Abläufe wie Miktion und Defäkation. Die Bewußtseinslage scheint im Sinne der Einengung oder Trübung, also umgekehrt wie bei der Verstümmelungsempfindung, als auslösendes Moment fakultativ bedeutsam werden zu können.

An die Stelle des von anderer Seite geprägten Bewegungsschemas tritt auf Grund dieser Beobachtungen das umfassendere Funktionsbild.

Es wird vorgeschlagen, als gleichberechtigt die Begriffe: Formbild oder Strukturbild einerseits und Funktionsbild andererseits einem beide umgreifenden Leibbild unterzuordnen. Es stehen sich dabei das statische und das kinetische Prinzip gegenüber: Erlebnis der Beharrung und des Ablaufs.

Auch bei der Verstümmelungsempfindung scheint das Phantom der Rückenmarkverletzten an die leptosom-schizothyme Anlage gebunden zu sein, während das Phantom der Amputierten dank seiner größeren Durchschlagskraft konstitutionell ubiquitär ist. Auf Parallelen zu dem verschiedenen Leiberleben der Schizothymen und Zyklothymen wird hingewiesen. Es wird vermutet, daß diese Konstitutionsgebundenheit des spinalen Phantoms eine Eigentümlichkeit der Leibbildmanifestation bei Läsionen der nervösen Substanz überhaupt darstellt.

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Becker, H. Über Störungen des Körperbildes und über Phantomerlebnisse bei Rückenmarkverletzten. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift Neurologie 182, 97–139 (1949). https://doi.org/10.1007/BF00352759

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