Zusammenfassung
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1.
Als congenitalen Hautsinus bezeichnen wir eine ektodermale Dysplasie, deren klinische Erscheinungsformen in Europa (England ausgenommen) bisher unbekannt blieben. In der anglo-amerikanischen Literatur wurden in den letzten Jahrzehnten die verschiedenen Krankheitsbilder mehrfach eingehend gewürdigt. Im deutschen Sprachraum konnten wir keinen kasuistischen Beitrag auffinden. Es ist anzunehmen, daß in Europa die als schwere Krankheiten imponierenden Komplikationen der Mißbildung bisher causal-diagnostisch verkannt und deshalb fehlbehandelt wurden.
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2.
Die Pathogenese wird eingehend beschrieben. Die etwa in der 4. Embryonalwoche erfolgende Trennung zwischen Hautektoderm und geschlossenem Neuralrohr bleibt an irgendeiner Stelle der dorsalen Medianlinie aus; das kann überall zwischen coccygealem und nasofrontalem Bereich geschehen. Bei dem räumlichen Auseinanderweichen zwischen Haut und Zentralnervensystem wird ein nach außen offener, dünner Schlauch in die Tiefe gezogen. Dieser Tubus kann sich an verschiedenen Stellen, vornehmlich aber an seinem inneren Ende, zu Cysten von Dermoid- oder Epidermoid-Struktur ausweiten.
Man vermag bislang nicht zu sagen, ob die Dysplasie erbbedingt oder peristatisch entsteht, oder ob beides gleichermaßen möglich ist.
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3.
Die in der Weltliteratur (46 Fälle) beschriebenen anatomischpathologischen Beobachtungen und klinischen Syndrome werden unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet und statistisch ausgewertet. Der lumbo-sacrale und der occipitale Bereich sind Prädilektionsstellen. Inmitten eines rötlichen Hautnaevus pflegt die nadelstichfeine äußere Sinusöffnung versteckt zu liegen. Der Tubus selbst ist mit mehrschichtigem Plattenepithel ausgekleidet. Die Wirbelbögen sind in seiner Nachbarschaft fast regelmäßig bifid; den Schädelknochen durchzieht er in einem kleinen, glattrandigen Loch. Der Sinus endet im Spinalkanal oder intracranial außerhalb oder innerhalb der Hüllen des ZNS., oft in einer Dermoid- oder Epidermoidcyste. Die offene Verbindung zwischen Hautoberfläche und ZNS. führt meist schon in der Kindheit zur Infektion. Schwere Meningitiden und spinale bzw. intracranielle Abscesse sind die häufigsten Komplikationen. Seltener kommt es zu reinen Kompressionssyndromen durch anwachsende sterile Cysten. Die verschiedenen klinischen Manifestationen und ihre anatomischen Zuordnungen werden beschrieben.
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4.
Die Therapie der Wahl ist stets die vollständige operative Entfernung des Sinus mit all seinen Ausläufern. Im Spinalbereich ist die Prognose bei rechtzeitigem chirurgischem Eingriff immer gut; cerebral wird sie durch Absceßbildung oder Meningitis erheblich getrübt. Auf Besonderheiten, die dem Operateur geläufig sein müssen, wird hingewiesen.
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5.
Ein eigener Fall wird mitgeteilt. Bei einem 2 1/2 jährigen Knaben bestand ein congenitaler Hautsinus in Höhe des untersten Lumbalbereichs. Es entwickelte sich ein epiduraler Absceß, der recidivierende Beschwerden verursachte. Die operative Behandlung führte zu defektloser Heilung.
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6.
Bei jeder ätiologisch unklaren Meningitis sowie bei schneller Entwicklung einer spinalen Kompression oder eines Verdrängungssyndroms der hinteren Schädelgrube sollte die dorsale Mittellinie abgesucht werden nach einem Naevus mit zentraler Fistelöffnung. Das gilt besonders für kindliche und jugendliche Patienten sowie bei recidivierenden Meningitiden. Die optimale Behandlung ist in der frühzeitigen Entfernung des Sinus, vor jeder Infektion, zu sehen. Dazu muß die Mißbildung in erster Linie den Geburtshelfern und Pädiatern geläufig sein. Dorso-medianer Naevus mit Fistelöffnung und darunterliegende knöcherne Spaltbildung sind beweisend für einen congenitalen Hautsinus.
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7.
Verschiedene, im Zusammenhang mit dem congenitalen Hautsinus mitgeteilte und auch andere Beobachtungen regen zu einigen teratogenetischen und embryologischen Überlegungen an. Wir stellen die Hypothese zur Diskussion, daß alle isolierten Dermoide und Epidermoide des Zentralnervensystems nach dem gleichen pathogenetischen Mechanismus entstehen wie der congenitale Hautsinus. Sie unterscheiden sich unseres Erachtens von ihm nur dadurch, daß sie später die schlauchartige Verbindung zur Hautoberfläche wieder verlieren. Damit wäre auch die Terminationsperiode dieser Geschwülste eng umschrieben. Diese Auffassung wird im einzelnen begründet. Sie vermag bisher Undeutbares verständlich zu machen.
Des weiteren werden einige Bemerkungen über Sitz und Verschlußstelle des Neuroporus anterior sowie über Funktionen der Neuralleiste und ihre vermutlichen Störungen beim congenitalen Hautsinus angeschlossen. Dessen enge Beziehung zu den Dysraphien wird erwähnt. Spezielle Formen des congenitalen Hautsinus und einige begleitende Auffälligkeiten werden pathogenetisch zu deuten versucht.
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Herrn Prof. Dr. Werner Villinger zum 70. Geburtstag in Verehrung gewidmet.
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Grüter, W. Der congenitale Hautsinus, eine Dysplasie als Quelle von Meningitiden und Spinal-Abscessen. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift f. d. ges. Neurologie 196, 455–481 (1957). https://doi.org/10.1007/BF00350798
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