Zusammenfassung
Die Kenntnisse über die Psychosomatik extrapyramidaler Motilitätsstörungen, die Kliniker bes. seit der Encephalitis lethargica-Epidemie sammelten und die wir gemeinsam mit A. Gross beim (vorwiegend) postencephalitisch bedingten Parkinsonsyndrom experimentell stützten, wurden auf die Chlorpromazin- und Reserpintherapie übertragen. Es wurde dabei von klinischen und experimentellen (feinmotorischen) Untersuchungen bei Chlorpromazin- und Reserpinkuren ausgegangen, über die wir ab 1954 mehrmals berichteten und die zeigten, daß beide Medikamente bei nicht zu niedriger Dosierung regelmäßig eine extrapyramidale Antriebsminderung und Motilitätseinengung im Sinne eines mehr oder weniger typischen Parkinsonsyndroms auslösen. Auf eine therapeutisch günstige aktivierende Sonderstellung des Reserpin bei kleinen Dosen (etwa 3 mal 1 bis 3 mal 2 mg tgl.) wurde hingewiesen.
Aus der „Eigenwirkung“ (im Sinne von Baeyers) dieses abortiv parkinsonistischen Syndroms wurde weitgehend der „klinische Effekt“ der Wirkung beider Medikamente abgeleitet. Damit ergibt sich die therapeutische Sonderstellung von Chlorpromazin und Reserpin, die dort hemmend angreifen, wo Antriebe ihre erste Umschaltung in Motilität erfahren.
In Anlehnung an die Untersuchungen der Neurophysiologen wurde die Hypothese einer Hemmung im reticulär-corticostriären Funktionskreis durch beide Stoffe aufgestellt. Dabei sind fakultative, therapeutisch nachteilige und unerwünschte Symptome: Tremor, Rigor, Unruhezustände (= Akathisie), paroxysmale Dyskinesien und zu starke Hemmungen der Grobmotorik, wie sie bes. durch Reserpin, seltener und in geringerem Grade durch Chlorpromazin, ausgelöst werden. Obligat und therapeutisch erwünscht dagegen ist ein Maximum an Antriebsminderung mit einem Minimum ihres extrapyramidalen motorischen Korrelates.
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Auf Anregung von Herrn Prof. Dr. N. S. Kline (New York) zusammengestellt.
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Haase, H.J. Vorteile und Nachteile der extrapyramidalen Symptomatik bei der Behandlung mit Chlorpromazin und Reserpin. Archiv f. Psychiatrie und Zeitschrift f. d. ges. Neurologie 197, 367–376 (1958). https://doi.org/10.1007/BF00345844
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