Zusammenfassung
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1.
Es wird über klinische Erfahrungen mit der Gjessingschen Thyroxinbehandlung bei 65 Schizophrenen berichtet. An Hand von. Tabellen werden 50 besonders eingehend und systematisch durchgearbeitete Krankheitsfälle dargestellt.
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2.
Bei aperiodisch verlaufenden Psychosen erweist sich die Thyroxinbehandlung in Übereinstimmung mit den Beobachtungen Gjessings als erfolglos. An Hand von 18 Protokollen (Tab. 2) wird über ungünstige Erfahrungen bei aperiodisch verlaufenden Schizophrenien berichtet.
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3.
Bei periodisch verlaufenden oder schubweise remittierenden Schizophrenien erweist sich die gezielte Thyroxinbehandlung als meist erfolgreich, wie aus den 32 Protokollen der Tab. 1 hervorgeht. Wie Tab. 1 zeigt, konnten bei den periodischen Verlaufsformen durchweg befriedigende Remissionen erzielt werden, in der Mehrzahl der Fälle auch bei Patienten, die bereits mit verschiedenen anderen klinischen Behandlungsmethoden vergebens angegangen waren.
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4.
Der Zeitpunkt des Beginns des Thyroxinstoßes fällt in die Phase der beginnenden überkompensierenden Stickstoffausschwemmung. Diese Phase wird an Hand der Rest-N-Kurve ermittelt. Bei periodischem Verlauf ist es zweckmäßig, einige Perioden mit Hilfe der Rest-N-Registrierung zu verfolgen (1–2 Rest-N-Bestimmungen in der Woche). Sobald die Rest-N-Kurve ihr Minimum überwunden hat und wieder anzusteigen beginnt, d. h. wenn die Retentionsphase in die Exkretionsphase übergeht, muß mit dem Thyroxinstoß begonnen werden. Insgesamt erhält der Patient in 8 Tagen durchschnittlich. 68 mg Thyroxin. Nur ausnahmsweise wird man bei ungenügender Stoffwechselreaktion und Grundumsatzsteigerung auch mehr Thyroxin geben.
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5.
Unter der Wirkung des Thyroxins kommt es zu einer erheblichen Gewichtsabnahme, zu einer beträchtlichen Pulsbeschleunigung und Grundumsatzerhöhung und zu einer deutlichen Beschleunigung der BSG. In der Reaktion auf Thyroxin zeigen die therapie-refraktären Fälle ein ähnliches Verhalten wie jene, die auf Thyroxin eine günstige Remission zeigen.
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6.
Nach Beendigung des Thyroxinstoßes bleibt der Patient etwa 8 Tage ohne Schilddrüsenmedikation. Während dieser Tage empfiehlt sich die Anwendung einiger E-Schocks. Dann aber beginnt man mit einer Schilddrüsendauermedikation mit 3 × 0,3 g Thyreoidea siccata oder 6–9 Thyradenbohnen täglich. Diese Medikation muß monate-, unter Umständen jahrelang fortgesetzt werden.
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7.
Unter der Wirkung des Thyroxinstoßes kommt es nicht selten zunächst zu einem akuten Erregungszustand oder zu einer erheblichen Stuporvertiefung. In den meisten Fällen genügt es aber, während einer allzu starken psychomotorischen Erregung mit einigen E-Schocks evtl. kombiniert mit „Percorten“ oder Hypnotica (Luminal, Persedon) die psychomotorische Erregung aufzufangen. Gelingt dies jedoch nicht, so hat die Fortsetzung des Thyroxinstoßes keinen Zweck. Es empfiehlt sich in diesen glücklicherweise seltenen Fällen die Umstellung der Therapie auf eine Insulinkur.
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8.
Kontraindiziert ist die Thyroxinbehandlung bei sämtlichen Formen von Kreislaufinsuffizienz, bei Gestations- und Puerperalpsychosen mit periodischem Verlauf, bei reduziertem Allgemeinzustand, bei der Stauderschen tödlichen Katatonie, sowie bei aperiodischem Verlauf. Die Fortsetzung einer bereits begonnenen Thyroxinbehandlung ist ferner streng kontraindiziert, falls während der Behandlung der Puls irregulär wird.
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9.
Eine zu starke Thyroxin Wirkung, insbesondere eine zu starke Grundumsatzerhöhung und Pulsbeschleunigung (eine Pulsfrequenz von mehr als 160 pro Minute) kann meist ohne Schwierigkeit abgepuffert werden durch 25 mg „Percorten“ wasserlöslich i. v., gegebenenfalls in Kombination mit 2 oder 3 E-Schocks.
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10.
Die lege artis durchgeführte Thyroxinbehandlung halten wir bei Beachtung dieser Kautelen für nicht gefährlicher als die übrigen gebräuchlichen Behandlungsmethoden.
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11.
Die besondere Bedeutung der Thyroxinbehandlung liegt in ihrer exakten Indikationsstellung nach Stoffwechselkriterien und in ihrer relativ großen Treffsicherheit bei periodisch verlaufenden oder schubweise remittierenden Katatonien.
Literatur
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Mall, G. Beitrag zur Gjessingschen Thyroxinbehandlung der periodischen Katatonien. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift Neurologie 187, 381–403 (1952). https://doi.org/10.1007/BF00345546
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