Zusammenfassung
Bei 100 Kranken wurde die Thematik während der — meist abklingenden — körperlich begründbaren Psychose verfolgt und der jeweilige Störungsgrad mit einer psychopathometrischen Testserie festgelegt. Die an anderer Stelle beschriebenen Ergebnisse werden am Beispiel einer traumatischen Psychose erläutert. Die Themenanalyse in der Bewußtseinstrübung und im schweren Durchgangs-Syndrom ergibt folgendes:
-
1.
Neben den fragebezogenen Antworten lassen sich vor allem „freie“ Äußerungen nachweisen. Deren Thematik ist entweder von der gesamtsituativen Präsenz oder von der lebenssituativen Relevanz bestimmt.
-
2.
Die Relevanzthematik wird im kasuistischen Bericht über eine Kontusionspsychose analysiert.
-
3.
Es wird gezeigt, daß die Relevanzdynamik in den schweren Psychosestufen völlig erloschen ist. Die aktuelle Lebenssituation — etwa des Verletztseins — kann erst in den Durchgangs-Syndromen wirksam werden. Bei plötzlich oder doch schnell einsetzenden Psychosen bestimmen die bis zum Erkrankungsbeginn entwickelten Relevanzen die Thematik.
-
4.
Im Aufbau des Relevanzgefüges lassen sich die Kern- von den Randrelevanzen unterscheiden. Während der Bewußtseinstrübung und im schweren Durchgangs-Syndrom prägen vor allem Kernrelevanzen die Inhalte freier Äußerungen.
-
5.
Unter den Situationsformen sind „aktive“ Eigenrelevanzen, „passive“ Feldrelevanzen und Binnenrelevanzen gleichermaßen wichtig.
-
6.
Der Ausgriff der Relevanzen ist in den schweren Psychosestadien aufgehoben oder hochgradig gemindert.
-
7.
Nach der Bezogenheit können vier Einzelformen unterschieden werden: die Interrelevanzen, die zwischenmenschliche Beziehungen einschließen, die mitmenschlichen oder Korelevanzen, die auf die eigene Person gerichteten Ichrelevanzen und schließlich die Reflexivrelevanzen, die auf die Geltung im zwischen- und mitmenschlichen Bereich abzielen. Alle vier Formen können die Thematik in freien Äußerungen der schwer psychotischen Kranken bestimmen.
Literatur
Böcker, F.: Eine Methode zur genaueren Erfassung von Bewußtseinstrübungen und Durchgangs-Syndromen. Schweiz. Arch. Neurol. Psychiat. 88, 332–338 (1961).
Bonhoeffer, K.: Die exogenen Reaktionstypen. Arch. Psychiat. Nervenkr. 58, 58–70 (1917).
Conrad, K.: Zur Psychopathologie des amnestischen Symptomenkomplexes. Gestaltanalyse einer Korsakowschen Psychose. Dtsch. Z. Nervenheilk. 170, 35–60 (1953).
—: Die symptomatischen Psychosen. In: Psychiatrie der Gegenwart. II: Klinische Psychiatrie. Berlin, Göttingen, Heidelberg: Springer 1960.
Esser, J. H.: Systematische Untersuchungen über die klinischen Erscheinungsformen der Bewußtseinstrübung des Durchgangs-Syndroms. Dissertation, Köln 1965.
Haase, H.-J.: Amnestische Psychosyndrome im mittleren und höheren Lebensalter. Berlin, Göttingen, Heidelberg: Springer 1959.
Jaspers, K.: Allgemeine Psychopathologie, 7. Aufl. Berlin, Göttingen, Heidelberg: Springer 1957.
Korsakoff, S.: Eine psychische Störung combiniert mit multipler Neuritis (Psychosis polyneuritica seu Cerebropathia psychica toxaemica). Allg. Z. Psychiat. 46, 475–485 (1890).
Korsakow, S. S.: Über eine besondere Form psychischer Störung, combiniert mit multipler Neuritis. Arch. Psychiat. Nervenkr. 21, 669–704 (1890).
—: Erinnerungstäuschungen (Pseudoreminiscenzen) bei polyneuritischer Psychose. Allg. Z. Psychiat. 47, 390–410 (1891).
Kranz, H.: Das Thema des Wahns im Wandel der Zeit. Fortschr. Neurol. Psyohiat. 23, 58–72 (1955).
Mauz, F.: Das ärztliche Gespräch. Therapiewoche 1960, 311–316.
Pauleikhoff, B.: Über Seinsweise (Form) und Thema (Inhalt) bei der abnormen Erlebnisreaktion. Mschr. Psychiat. Neurol. 125, 641–654 (1953).
—: Über Veränderungen des Situationsgefüges bei dementen Erscheinungsbildern. Nervenarzt 26, 510–515 (1955).
—: Über Veränderungen des Situationsgefüges bei paranoid-halluzinatorischen Erscheinungsbildern. Arch. Psychiat. Nervenkr. 193, 277–294 (1955).
—: Der Tageslauf. Schweiz. Arch. Neurol. Psychiat. 86, 273–291 (1960).
—: Die Tageslaufanalyse als Methode zur Untersuchung der Persönlichkeit in ihrer Situation. Z. Psychother. med. Psychol. 10, 140–157 (1960).
Philipps, K.: Systematische Untersuchungen über die Thematik bei 100 Kranken mit einer reversiblen körperlich begründbaren Psychose. Dissertation, Köln. (In Vorbereitung.)
Ribot, Th.: Les maladies de la mémoire. Paris: Alcan 1881.
—: Das Gedächtnis und seine Störungen. Hamburg u. Leipzig: Voss 1882.
Scheid, W.: Die psychischen Störungen bei Infektions- und Tropenkrankheiten. In: Psychiatrie der Gegenwart. II. Klinische Psychiatrie. Berlin, Göttingen, Heidelberg: Springer 1960.
Schneider, Kurt: Klinische Gedanken über die Sinngesetzlichkeit. Mschr. Psychiat. Neurol. 125, 666–670 (1953).
—: Klinische Psychopathologie, 6. Aufl. Stuttgart: G. Thieme 1962.
Weitbrecht, H. J.: Zur Frage der Demenz. In: Psychopathologie heute. Stuttgart: G. Thieme 1962.
—: Psychiatrie im Grundriß. Berlin, Göttingen, Heidelberg: Springer 1963.
Wieck, H. H.: Zur Psychologie und Psychopathologie der Erinnerungen. Stuttgart: G. Thieme 1955.
—: Zur Klinik der sogenannten symptomatischen Psychosen. Dtsch. med. Wschr. 81, 1345–1349 (1956).
—: Zur allgemeinen Psychopathologie. Fortschr. Neurol. Psychiat. 25, 2–40 (1957).
—: Zur Psychopathologie des traumatischen Hirnschadens. Dtsch. med. Wschr. 87, 1140–1143 (1962).
—, u. K. Stäcker: Zur Dynamik des „amnestischen“ Durchgangs-Syndroms. Arch. Psychiat. Nervenkr. 205, 479–512 (1964).
Zeh, W.: Die Amnesien. Stuttgart: G. Thieme 1961.
Author information
Authors and Affiliations
Additional information
Herrn Prof. Dr. Friedrich Mauz zum 65. Geburtstag gewidmet.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Wieck, H.H., Philipps, K. Relevanzanalysen bei Kranken in der Bewußtseinstrübung und im schweren Durcngangs-Syndrom. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift f. d. ges. Neurologie 207, 221–233 (1965). https://doi.org/10.1007/BF00342905
Received:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF00342905