Zusammenfassung
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1.
Es wird die Oogenese von 10 Arten der Familie Tipulidae (Nematocera, Diptera) beschrieben. Von Pales crocata, Tipula oleracea, T. caesia und T. lateralis wurden die Oogonienteilungen und Reifeteilungen im Ei; von P. scurra, P. quadristriata, T. pruinosa und T. marginata die Oogonienteilungen; von P. pratensis und T. paludosa die RT I im Ei untersucht.
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2.
Der Chromosomenbestand von Tipula caesia und T. pruinosa ist n=3; der der anderen beschriebenen Arten n=3+X(Y). Die Autosomen sind bei allen Species submediokinetisch; die Geschlechtschromosomen subtelokinetisch, bei T. lateralis submediokinetisch.
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3.
Das Verhalten der Autosomen in den Reifeteilungen aller Arten (auch von T. caesia mit achiasmatischer ♂-Meiose) weicht vom Normalschema der Meiose nicht ab. Sie sind bei allen Arten chiasmatisch gepaart. Die Zahl der Chiasmen je Bivalent ist 1–2.
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4.
Die Geschlechtschromosomen zeigen bei allen Arten ein abweichendes Verhalten. Sie sind bei P. crocata und P. pratensis in kurzen subterminalen Paarungssegmenten der langen Schenkel achiasmatisch vereinigt; bei Tipula lateralis, T. oleracea und T. paludosa in der RT I stets als Univalente vorhanden. Da die Geschlechtschromosomen dieser 5 Arten auch in der Spermatogenese stets ungepaart vorliegen, fehlt diesen Arten Faktorenaustausch der Geschlechtschromosomen in beiden Geschlechtern.
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5.
Die bei Tipula paludosa auftretenden Überzähligen werden in der Anaphase I zufallsgemäß verteilt.
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6.
Die beiden Reifeteilungen im Ei folgen direkt aufeinander, ein Interkinese-Ruhekernstadium wird nicht eingeschaltet. Die periphere Dyadengruppe teilt sich bei einigen Arten normal, bei anderen Arten unterbleibt ihre Teilung in der RT II.
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7.
Die Spindel ist bis zur Metaphase I bei allen Arten tonnenförmig. Nach anaphasischer Verlängerung lösen sich die Spindelfasern in der Metaphaseebene auf. Die Halbspindeln stellen die Spindeln der RT II dar. Bei einigen Arten entsteht durch Verbreiterung der Spindel in der Anaphase I ein rhombischer Spindelmittelkörper. Die Spindeln der RT II werden hier direkt von den Spindelhälften der RT I gebildet, bzw. partiell oder ganz neugebildet.
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8.
In den Teilungen der sekundären Oogonien treten vom 2. Teilungsschritt an feulgenpositive, extrachromosomale Körper (Nukleinkörper, NK) auf. Die Teilungen sind Differentialmitosen. Im 3. und 4. Teilungsschritt treten die NK wieder in den Zellen auf, in die sie in der vorangegangenen Telophase einbezogen wurden.
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9.
Trotz des regelmäßigen Abbaus der NK in der Interphase, der sich mit dem Neuaufbau der NK zeitlich nicht überschneidet, ist die Kontinuität der NK-Zellen aus ihrer Lage abzuleiten.
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10.
Diese Zellen, gewöhnlich 2, bei einer Art 1–4, erweisen sich nach der letzten Differentialmitose durch Bildung eines Pachytäns als Oocyten. Nur eine von ihnen wird zur definitiven Oocyte; die andere oder anderen werden zu Nährzellen.
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11.
Anzahl und Form der NK sind von Art zu Art charakteristisch verschieden. Die NK werden am Heterochromatin, entweder den Geschlechtschromosomen oder den heterochromatischen Bereichen der Autosomen, aufgebaut.
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12.
Es besteht eine Korrelation zwischen der Länge der heterochromatischen Bildungsbereiche und der Größe der NK. Ferner ist die NK-Größe von der Dauer des Interphasestadiums abhängig.
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13.
Aus dem Auftreten der NK muß auf eine von der Chromosomenreduplikation unabhängige DNS-Synthese geschlossen werden, die zugleich Ausdruck einer verschiedenen Funktion homologer Chromosomen (Schwesterchromatiden) in plasmatisch differenten Zellen ist.
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Dissertation der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Würzburg.
Mit Unterstützung der Studienstiftung des Deutschen Volkes.
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Bayreuther, K. Die Oogenese der Tipuliden. Chromosoma 7, 508–557 (1955). https://doi.org/10.1007/BF00329741
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