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Cytologische Analyse eines Camptochironomus-Artbastards

I. Kreuzungsergebnisse und die Evolution des Karyotypus

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Zusammenfassung

  1. 1.

    Die symparischen Arten Chironomus (Camptochironomus) tentans und C. pallidivittatus lassen sich im Laboratorium kreuzen. Gegenüber intraspezifischen Paarungen ist die Kopulationsbereitschaft herabgesetzt. Unterschiede im Bau des Genitalapparats erschweren das Zustandekommen normaler Kopulae; Sperma wird meist nicht oder nur in geringer Menge übertragen. In beiden Kreuzungsrichtungen erhält man von höchstens 10% der Paare eine Nachkommenschaft. In diesen Fällen ist aber stets nur ein Teil der Eier entwickelt; der Rest muß seinem Verhalten nach als unbefruchtet bzw. unbesamt angesehen werden. In der Natur wurde 1 Bastardindividuum gefunden.

  2. 2.

    F1-Zygoten beiderlei Geschlechts entwickeln sich normal. Die Bastarde sind morphologisch intermediär. Ihre Vitalität ist eher erhöht als vermindert. F1-♂♂ und -♀♀ sind mit Partnern beider Elternarten und auch inter se frei kreuzbar und voll fertil. Die Trennung der beiden Arten in der Natur wird also allein durch sexuelle Isolation sichergestellt; entscheidend sind dabei anatomische und vermutlich auch ethologische Faktoren.

  3. 3.

    Die intra- und interspezifische Differenzierung des Karyotypus der beiden Arten beruht auf parakinetischen Inversionen. Die Unterschiede zwischen C.tentans und C.pallidivittatus und der jeweilige intraspezifische Bestand an Genanordnungen sind einzeln für jeden Chromosomenarm durch Gegenüberstellung der Chromosomenkarten veranschaulicht und im Text eingehend beschrieben. Die Darstellung gründet sich auf norddeutsches, schwedisches, englisches (Acton, persönliche Mitteilung) und österreichisches (Mainx, persönliche Mitteilung) Material von C. tentans und auf norddeutsches Material von C. pallidivittatus.

  4. 4.

    Im Chromosomenarm 1 R besitzen beide Arten die gleiche Standardanordnung. In den Armen 1L und 3L besteht der Unterschied zwischen den nächstverwandten Genanordnungen der beiden Arten in jeweils 1 Inversion, in den Armen 2R und 3R in jeweils 2 übergreifenden Inversionen. Die Chromosomen 2L und 4 sind nicht vollständig zu homologisieren; doch beruhen die Differenzen wahrscheinlich ebenfalls auf Inversionen, allerdings in größerer Anzahl. Bei Heterozygotie im Bastard ist die somatische Paarung der Homologen im allgemeinen normal, abgesehen von den erwarteten, strukturell bedingten Störungen.

  5. 5.

    Am intraspezifischen Polymorphismus haben alle Chromosomenarme Anteil, bis auf 3R bei G. pallidivittatus. Besonders zahlreiche Aberrationen zeigt Chromosom 2L. Neben einfachen Inversionen treten in den Chromosomen 2L und 3L zwei- oder mehrfache, übergreifende Inversionen auf. Vereinzelt finden sich auch kompliziertere Aberrationen, die unter anderem durch Duplikationen und mutative Veränderungen der Ausprägung der Querscheiben entstanden sein müssen. Strukturelle Kleinmutationen sind im Chromosom 4 besonders häufig.

  6. 6.

    Eine als Y-Chromosom vererbte komplexe Inversion wird neu beschrieben; sie gehört im Gegensatz zu den übrigen geschlechtsgebundenen Inversionen nicht dem Chromosom 2L, sondern dem Chromosom 1 an und kommt bei beiden Arten vor.

  7. 7.

    An den verschiedenen Fundorten von C. tentans sind nicht immer die gleichen Chromosomenarme polymorph, so 1L nicht in Stockholm oder 1R und 3L nicht in Plön; im übrigen wechseln die Häufigkeiten der verschiedenen Genanordnungen jedes einzelnen Chromosoms von Population zu Population. Endemische Inversionen treten nicht auf, von seltenen geschlechtsgebundenen Inversionen abgesehen. Am gleichen Standort zeigen nur die Genanordnungen des 4. Chromosoms von C. tentans jahreszeitliche Häufigkeitsschwankungen. Die gefundenen zygotischen Häufigkeiten stimmen mit den nach der Formel von Hardy und Weinberg berechneten Erwartungswerten überein. Einzelne Abweichungen sprechen neben anderen Beobachtungen dafür, daß Heterosis Effekte hauptsächlich während oder nach der Verpuppung wirksam werden.

  8. 8.

    C. pallidivittatus besitzt im Gegensatz zu C. tentans nur einen Nukleolus. Seine Bildungsstelle ist mit keiner der beiden Nukleolenloci von C. tentans homolog. Dieser Unterschied manifestiert sich auch heterozygot in den Kernen der Astbastarde. Vermutlich können viele Chromosomenstellen durch Mutation die Fähigkeit zur Nukleolenbildung erlangen und sie durch Rückmutation wieder verlieren.

  9. 9.

    Strukturmodifikationen der Riesen chromosomen, insbesondere die Balbiani-Ringe, entstehen unter der Voraussetzung gleicher äußerer und innerer Bedingungen bei beiden Arten in der Regel den gleichen (homologen) Chromosomenstellen.

  10. 10.

    Kreuzungsergebnisse und cytologische Beobachtungen werden mit den entsprechenden Befunden an anderen Dipteren, insbesondere Drosophila, verglichen und eingehend besprochen. Daß Vitalität und Fertilität der Chironomus-Bastarde nicht vermindert sind, kann mit dem Fehlen von Geschlechtschromosomen und mit einer Adaptation an genetische Herterozygotie zusammenhängen. Die Evolution des Karyotypus wird unter den besonderen Aspekten des Inversionspolymorphismus zu deuten versucht.

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Beermann, W. Cytologische Analyse eines Camptochironomus-Artbastards. Chromosoma 7, 198–259 (1955). https://doi.org/10.1007/BF00329725

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