Zusammenfassung
Alle folgenden Angaben beziehen sich auf Formica rufa L., die Rote Waldameise, und sind nur unter Vorbehalt auf andere Insektenarten übertragbar.
Die Ameisen benützen zur optischen Richtungsorientierung künstliche Lichtquellen, die Sonne oder den Mond.
Eine distinkte Lichtquelle kann als Orientierungsmarke durch einen diffusen Lichtschein ersetzt werden.
Mit Hilfe einer Polarisationsfolie läßt sich nachweisen, daß sich die Ameisen sowohl nach der Schwingungsrichtung des blauen Himmelslichtes als auch nach der Schwingungsrichtung des Folienlichtes orientieren können.
Die Orientierung nach Landmarken, wie Häusern und Bäumen, spielt eine große Rolle und ist bei bewölktem Himmel wahrscheinlich die einzige optische Orientierungsmöglichkeit.
Werden Himmels- und Landmarken in Konkurrenz gesetzt, dann läuft die Ameise in einer Kompromißrichtung.
Ameisen reagieren in Neststimmung vorwiegend negativ und in Exkursionsstimmung vorwiegend positiv phototaktisch.
Es wird eine Methode angegeben, mit der durch Vergleich von Dreherregungen die Stärke der phototaktischen Drehreaktionen gemessen werden kann.
Bei gleich großer Ablenkung vom orientierten Lauf sind die geotaktischen und die phototaktischen Dreherregungen (Drehtendenzen) quantitativ gleich.
Die phototaktischen Dreherregungen (Drehtendenzen) sind helligkeitsunabhängig, ändern sich jedoch mit dem Einfallswinkel des Lichtes.
Aus den experimentellen Befunden wird geschlossen, daß sich am zentralnervösen Funktionsgefüge der negativen (positiven) Phototaxis mindestens drei nervöse Instanzen (Mechanismen) beteiligen: Das Integrationszentrum, das Lagezentrum und der Koordinationsmechanismus der Beinbewegung.
Wichtige Vorgänge beim Übergang von der positiven und negativen Phototaxis zur menotaktischen Hin- und Rückwegorientierung sind orientierungsfreie Suchschleifen und Lernprozesse, die zur Ermittlung der Luftlinienrichtung führen.
Diese Lernprozesse finden sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg statt.
Die Ermittlung der Luftlinienrichtung geschieht über die Auswertung (Integration) der optischen Reizfolge, die kinästhetische Reizfolge ist dafür wahrscheinlich völlig bedeutungslos.
Mit Hilfe der „Kompensationstheorie“ werden eine Reihe von Reaktionen sich menotaktisch orientierender Ameisen kausal erklärt.
Die Ameise kann sich eine Laufrichtung in bezug auf eine Lichtquelle mindestens 5 Tage lang merken.
Die Ameise kann sich mit Hilfe von Landmarken an mindestens vier verschiedenen Plätzen im Gelände je eine bestimmte Laufrichtung merken.
Erinnerungsbilder von Himmels- und Landmarken werden im Gedächtnis der Ameisen unabhängig voneinander aufbewahrt, die Erinnerungsbilder der Himmelsmarken dagegen sind im Gedächtnis der Ameisen aneinandergekoppelt.
Die Ameisen haben die Fähigkeit, die Wanderung der Sonne bei der Richtungsorientierung mit einzuberechnen.
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Jander, R. Die optische Richtungsorientierung der Roten Waldameise (Formica rufa L.). Z. Vergl. Physiol. 40, 162–238 (1957). https://doi.org/10.1007/BF00297947
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