Vivek Chibber tritt mit dem Anspruch an, fundamentale Kritik an zentralen Annahmen der Subaltern Studies als Teilbereich der postkolonialen Theorie zu üben, die er als „diffuses und nebulöses Gedankengut“ empfindet (S. 354). Entsprechend scharf schießt der Soziologieprofessor der New York University auch und schreckt nicht vor absoluten Zurückweisungen solch renommierter Personen wie Dipesh Chakrabarty, Ranajit Guha und Partha Chaterjee zurück. Chibber nimmt seine Leserschaft von der ersten Seite an mit auf eine anspruchsvolle, intensive und an einigen Stellen voraussetzungsvolle Tour de Force durch das bisweilen undurchdringlich wirkende Dickicht aus postkolonialer Kritik und Gegenkritik, aus wissenschaftlicher Analyse und politischer Positionierung. Den seiner Ansicht nach nicht haltbaren Behauptungen und Argumenten der Subaltern Studies will Chibber zudem eine „belastbare Theorie der sozialen Handlungsfähigkeit, die unverfroren universalistisch ist“ entgegensetzen (S. 47f.).

Den Frontalangriff auf die genannte Autorengruppe nachzuvollziehen, fällt sicherlich leichter, wenn man mit deren Hauptwerken vertraut ist. Chibber bewegt sich permanent auf einer Metaebene der kritischen Dialektik. Beispielhaft wird dies etwa deutlich, wenn er ein gesamtes Kapitel Guhas vermeintlich grundlegend fehlerhafter Interpretation der Englischen und der Französischen Revolutionen (1640/1789) widmet. Da Guha bereits seine beiden Vergleichsfolien „falsch“ analysiert habe, führt Chibber „historische Belege“ an, die Guhas Argumente widerlegen sollen (S. 134): Die indische Bourgeoisie habe an keinem strukturellen Defekt gelitten und Hegemonie sei nie die Triebfeder bürgerlicher Revolutionen gewesen. Chibbers Gegenargumente sind zwar einleuchtend, aber die Absolutheit seiner Zurückweisung Guhas und die Suggestion, im Besitz einer historischen Wahrheit zu sein, ist, vorsichtig formuliert, mutig. Er unterstellt den kritisierten Autoren, fortdauernd ‚falsche‘ Interpretationen vorgenommen zu haben – offenbar im Gegensatz zu seinen richtigen – und schreckt vor vernichtenden Sätzen nicht zurück: „Auch diesem Argument liegt eine völlig falsche Soziologie zugrunde“ konstatiert Chibber beispielsweise mit Blick auf die „unvollständige Universalisierung“ der indischen Bourgeoisie (S. 138).

Chibbers Tonfall soll allerdings die Qualität seiner Schlussfolgerungen nicht schmälern. So ist etwa seine verallgemeinernde These zur Universalisierung des Kapitals in Abgrenzung zu Guha und Chakrabarty äußerst einleuchtend: „Was unter der Herrschaft des Kapitals universalisiert wird, ist nicht das Streben nach einer konsensuellen [sic] und integrierenden politischen Ordnung, sondern der Zwang der Marktabhängigkeit.“ Doch im Anschluss daran zu reklamieren, dass sich diese Abstraktionen „sehr viel besser mit der tatsächlichen historischen Erfahrung“ deckten, verrät ein schematisches Verständnis von historischer Kontingenz sowie eine Überhöhung subjektiver Interpretation (S. 166).

In Kapitel 6 wendet sich Chibber der Marx-Exegese zu: Chakrabarty und weitere postkoloniale Theoretiker_innen werden für schuldig befunden, Marx falsch interpretiert zu haben. Chibber kontert, der Kapitalismus sei auch im Zuge seiner globalen Ausbreitung mit dem Fortbestehen multipler Differenzen und sozialer, kultureller und politischer Identitäten vereinbar. Die Universalisierung des Kapitals benötige lediglich die Unterordnung der „Dimensionen der sozialen Reproduktion“, die „für sein eigenes Funktionieren wesentlich sind“ (S. 195). En passant löst Chibber dabei noch den von „Subalternisten“ hervorgehobenen Zusammenhang von Kapitalismus und Demokratie auf, deren beider Siegeszüge im Westen eben nicht auf das Wirken der Bourgeoisie zurückzuführen seien. Im Kern wirft der Autor den Subaltern Studies vor, die historische Wirkmacht subalterner Bewegungen wie der Arbeiterschaft nicht ausreichend zu berücksichtigen (S. 197).

Kapitel 7 und 8 dienen der Widerlegung der Thesen Chaterjees und Chakrabartys, die am Beispiel der Bauernbewegung beziehungsweise der Jutearbeiter im spätkolonialen Bengalen zu zeigen versuchten, dass zwischen den Arbeiterklassen Europas und Indiens kaum eine Vergleichbarkeit bestand: Indische Bäuerinnen und Arbeiter seien nie ihren individuellen Interessen gefolgt, sondern hätten ihren Antrieb im Pflichtbewusstsein gegenüber der kommunalen Gemeinschaft gefunden. Diese politische Psychologie des Ostens weist Chibber zurück und stellt damit den universalistischen Charakter von Marx’ Theoriegebäude wieder her. Auf dieser Basis kann er anschließend bilanzieren, dass die Moderne vom „unerbittlichen Expansionsdrang des Kapitals“ auf der einen und dem „unaufhörlichen Kampf“ der arbeitenden Klassen „gegen den Ansturm des Kapitals“ geprägt sei (S. 264).

Der heftigste Vorwurf Chibbers an die Subaltern Studies ist, dass sie Eurozentrismus und Orientalismus reproduzierten. Dies geschehe durch die Darstellung ‚des Westens‘ als „Hort der Vernunft, der Rationalität, des Säkularismus und der demokratischen Kultur“ als Gegenbild zum „unwandelbaren Sumpf aus Tradition, Unvernunft, Religiosität“ (S. 362). Die Theorien von Karl Marx und Leo Trotzki hätten hingegen zwar auch ihre Schwächen, aber diese könnten Europa weitaus besser provinzialisieren als die Subaltern Studies, weil letztere ‚den Osten‘ doch wieder nur essenzialisierten.

Chibber ist streitlustig und thesenstark, seine Lektüre ist ebenso anstrengend wie anregend, seine Schlussfolgerungen einleuchtend und inspirierend, aber in ihrer Absolutheit aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive mit Vorsicht zu genießen. Die Ankündigung, eine eigene Gegentheorie zu formulieren, kann er auch nicht überzeugend einlösen. Seine Publikation ist als Teil einer langanhaltenden Debatte zu sehen, die nicht zuletzt von der Lust an der Dekonstruktion getrieben scheint. Insofern fügt sich Chibber in eine lange Reihe herrschaftskritischer Theorieproduktion ein, die von mehr als nur einer Prise Empirie profitieren könnte.