1 Einleitung

In den öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten zum Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels werden einerseits die existenzielle Notwendigkeit für ambitionierte Treibhausgasreduktionen betont. Andererseits ist die Sorge verbreitet, dass weitreichende Maßnahmen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Lebensqualität und den sozialen Zusammenhalt bedrohen. Um diesem Dilemma zu begegnen, hofft die „Nachhaltigkeitscommunity“ auf einen „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen 2011). Empirisch festzustellen sind jedoch eher Strategien einer „nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit“ (Blühdorn und Welsh 2013) und eine wachsende Unzufriedenheit mit dem politischen System (BMU und UBA 2019). In der Bundesrepublik werden häufig Expert*innenkommissionen genutzt, um Blockaden, wie sie sich aus dem skizzierten Dilemma ergeben, zu adressieren. Diese sind als „zeitlich begrenzt berufene Gremien zu verstehen, die zum Großteil der Wissenschaft und Interessengruppen entstammen, nicht aber mehrheitlich aus Parlament, Regierung und Verwaltung kommen. Sie sind damit beauftragt, fachlich fundierte Ratschläge für politische Vorhaben, Programme und Maßnahmen zu erteilen“ (Siefken 2006). In und durch Expert*innenkommissionen sollen außerdem Kompromisse zwischen Akteuren hergestellt werden, deren Positionen stark divergieren und die jeweils als Vetospieler Veränderungen politisch aufhalten können. Die Ausweitung der als relevant erachtete Expertise auf diverse gesellschaftliche Akteure stellt jedoch die Legitimität der resultierenden Entscheidungen zur Diskussion (vgl. Collins und Evans 2002): Expert*innenkommissionen haben formal lediglich eine beratende Funktion; sie sollen politische Entscheidungen vorverhandeln (Krick 2014). Wenn sie zu einem Ergebnis gelangen, entfalten die Gremien jedoch sowohl epistemische als auch politische Autorität, weil sie neben Expertise auch gesellschaftliche Repräsentation ausstrahlen und in der Regel in einem konsensualen Modus entscheiden (Krick 2012). Auch wenn Kommissionen nicht selbst politische Entscheidungen treffen, ist aufgrund ihrer politikgestaltenden Kraft nicht nur das Ergebnis, sondern auch die demokratische Legitimität ihrer Arbeit bedeutsam. Wie diese einzuschätzen sind und eingeschätzt werden, lässt sich zum Teil mit objektivierbaren Kriterien erklären. Eine besondere Bedeutung hat gerade im umweltpolitischen Bereich aber auch, dass die Mitglieder von Expert*innenkommissionen Legitimität diskursiv herstellen (Wesselink et al. 2013) und insofern Legitimitätspolitik betreiben (Nullmeier et al. 2012).

Sowohl Legitimität als auch Legitimitätspolitiken werden in diesem Aufsatz anhand der wohl bekanntesten Kommission der Legislaturperiode von 2017–2021 untersucht, der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (im Folgenden KWSB), die häufig als „Kohlekommission“ bezeichnet wurde. Ihre 28 Mitglieder haben sich Anfang 2019 bei einer Gegenstimme auf einen Vorschlag geeinigt, wie ein Strukturwandel in den deutschen Kohleregionen gestaltet werden und wie ein Ausstiegspfad aus der Kohleverstromung aussehen könnte. Von Anfang an wurde dieser Kompromiss gelobt, es gab aber auch deutliche Kritik an seinem Inhalt und Zustandekommen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kommission.

In der politikwissenschaftlichen Forschung werden Expert*innenkommissionen zum einen als Phänomen einer Verhandlungsdemokratie betrachtet. Dabei werden die Rolle des Instruments im politischen Prozess und seine Funktionen betrachtet (vgl. u. a. Krick 2010, 2012; Lamping 2006; Siefken 2007, 2016, 2019). Zum anderen wird ihre Legitimität untersucht. Dabei liegen einerseits eher pauschale Urteile zur Legitimität politischer Entscheidungen vor, die auf dem Vorschlag von Expert*innenkommissionen beruhen. Andererseits werden in vergleichenden oder Einzelfallstudien singuläre Legitimitätsaspekte untersucht. Auf die in diesen Untersuchungen gewonnen Erkenntnisse wird in den folgenden Abschnitten eingegangen. Weiterhin entwickeln wir ein umfassendes Kriteriensystem, um die Legitimität der KWSB zu untersuchen und verallgemeinerbare Rückschlüsse auf andere Kommissionen zu ziehen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Legitimitätsaspekten, die in der Forschung zu Expert*innenkommissionen bislang kaum berücksichtigt wurden, insbesondere im Bereich der Throughput-Legitimität.

Im Folgenden werden zunächst der theoretische Legitimitätsrahmen sowie die Untersuchungsmethodik vorgestellt. Anschließend wird ein Überblick über die Positionen vor Einsetzung der KWSB sowie den Verlauf und die Ergebnisse dieser gegeben. Im vierten Textteil wird die Legitimität der KWSB anhand relevanter Dokumente sowie von Interviews mit den Kommissionsmitgliedern untersucht. Dabei werden insbesondere die unklaren Verantwortlichkeiten, die mangelnde Transparenz und die ungleichen Arbeitsbedingungen für die Mitglieder herausgearbeitet sowie das Gemeinwohlverständnis problematisiert. Zum Schluss wird diskutiert, wie die Legitimität vergleichbarer Kommissionen durch eine Regulierung sowie direktdemokratische Elemente erhöht werden könnte.

2 Demokratische Legitimität – normatives Verständnis und empirischer Zugang

Kneip und Merkel (2020) unterscheiden analytisch zwischen einem empirischen Legitimitätsglauben und normativer Herrschaftsrechtfertigung. Der Fokus dieses Aufsatzes liegt auf einer normativen Beurteilung. Auf Ergebnisse aus der empirischen Legitimitätsforschung wird in den Schlussfolgerungen zurückgegriffen. Demokratische Legitimität beruht auf dem normativen Anspruch, „dass niemand Handlungen bzw. Normen unterworfen werden darf, die ihm oder ihr gegenüber als autonome und gleiche Rechtfertigungsautorität nicht gerechtfertigt werden können“ (Forst 2014). Sie setzt sich zusammen aus

  • gleichen Möglichkeiten für alle Bürger*innen sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen sowie einer Rechenschaftspflicht der Regierenden (Scharpf 1975, 1993) (Input-Legitimität),

  • einer Orientierung von Normen und Politiken an „verallgemeinerungsfähigen Interessen“ (Habermas 1992) (Output-Legitimität) sowie

  • demokratischen Verfahren zwischen Input und Output (Schmidt 2013; Easton 1965) (Throughput-Legitimität).Footnote 1

Ob eine Struktur oder ein System insgesamt als legitim bezeichnet wird, hängt auch von der Gewichtung einzelner Kriterien oder Argumente ab. Außerdem haben sich Legitimitätsvorstellungen im Zeitverlauf gewandelt und unterscheiden sich in verschiedenen Teilen der Welt. Die bisherige Forschung zu Expert*innenkommissionen hat sich auf einzelne Aspekte von Legitimität oder Spannungsfelder zwischen diesen konzentriert. Vor allem im Bereich der Throughput-Legitimität liegen bislang kaum empirische Forschungsergebnisse vor (Kneip und Merkel 2020).

Zur Beurteilung der Legitimität der KWSB wurden der Zwischen- und Abschlussbericht, sämtliche Zeitungsartikel aus dem SPIEGEL, der ZEIT, der Süddeutschen Zeitung und der Lausitzer Rundschau vom Beginn der Koalitionsverhandlungen Ende 2017 bis April 2019, die sich mit der KWSB befasst haben sowie Pressemitteilungen und Studien untersucht, die die beteiligten Organisationen seit 2015 zur Zukunft der Kohleindustrie und einem Kohleausstieg publiziert haben. Außerdem wurden 14 der 28 Mitglieder der Kommission oder ihre jeweiligen Sherpas in Expert*inneninterviews befragt. Die leitfadengestützten Interviews dauerten in der Regel zwischen 45 min und einer Stunde. Alle Interviews wurden innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss der Kommission geführt, als öffentlich debattiert wurde, was von den Vorschlägen umgesetzt werden sollte. Die Interviews wurden insbesondere genutzt, um die Legitimität der eigentlichen Kommissionsarbeit, also die Throughput-Legitimität zu beurteilen. Die Nutzung von Interviews ist bei Untersuchungen zu Legitimität von Expertengremien und zur Throughput-Legitimität im Besonderen üblich (z. B. Ebinger et al. 2019; van Dorp und ’t Hart 2019; Krick 2014), weil andere Verfahren wie teilnehmende Beobachtungen nicht möglich sind oder sehr aufwändig wären. So waren die Sitzungen der KWSB nicht öffentlich. Bei dem Umgang mit den dabei gewonnenen Daten ist jedoch Vorsicht geboten, weil die Interviewten über Deutungsmacht verfügen (Meuser und Nagel 2005) bzw. davon auszugehen ist, dass die Interviewten legitimitätspolitisch vorgehen, also Anstrengungen unternehmen „die normative Anerkennungswürdigkeit einer Ordnung, einer Entscheidung oder eines Akteurs zu erzeugen, zu sichern, zu kritisieren oder zu zerstören“ (Nullmeier et al. 2012). Um in diesem Rahmen eine möglichst hohe Qualität der Daten unter Berücksichtigung verschiedener Blickwinkel zu erreichen, wurde zusätzlich mit Vertreter*innen aus allen beteiligten Gruppen (Unternehmen, Unternehmensverbänden, Gewerkschaften, Umweltverbänden, Wissenschaft, Regionalvertretungen und Bürgerinnen aus den betroffenen Regionen) gesprochen. Die Aussagen wurden miteinander sowie mit Inhalten offizieller Dokumente und mit journalistischen Analysen der Verhandlungsprozesse abgeglichen. Soweit sie nicht ausdrücklich als Einzelmeinungen gekennzeichnet sind, beruhen die Erkenntnisse über die Verhandlungsprozesse stets auf mehreren Interviewaussagen und Dokumenten. Die Daten wurden mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel (2010) ausgewertet. Das Kategoriensystem zur Analyse der Texte und Transkripte wurde überwiegend aus der theoretischen und empirischen Literatur zu Legitimität entwickelt. Im Bereich der Throughput-Legitimität wurden die Kategorien konkretisiert und modifiziert, so dass den Schwerpunktsetzungen der Befragten gefolgt werden konnte. Das Kategoriensystem wird im Abschn. 4 vorgestellt und tabellarisch zusammengefasst.

Tab. 1 Die Legitimität der KWSB

3 Entstehen und Arbeit der „Kohlekommission“

3.1 Annäherung der Positionen vor Einsetzung der Kommission

Nachdem sie davon ausging, dass Deutschland seine Klimaziele für 2020 verfehlen würde, verstärkte die Umweltbewegung ihr Engagement für einen baldigen Ausstieg aus der Kohleverstromung, die für knapp 30 % der Treibhausgasemissionen Deutschlands verantwortlich ist (BMU 2018). Im Vergleich zu anderen Akteuren, wie z. B. Ende Gelände, stellten die in der Kommission vertretenen Umweltschutzorganisationen moderate Ausstiegsforderungen: Der Deutsche Naturschutzring verlangte einen Ausstieg bis 2035 (DNR 2017), Greenpeace forderte eine kurzfristige Stilllegung einer substantiellen Zahl von Kohlekraftwerken und einen endgültigen Ausstieg bis 2030 (Kopiske und Gerhardt 2018), der BUND argumentierte für einen Braunkohleausstieg bis spätestens 2025 (BUND 2016). Auf Gewerkschaftsseite wandte sich ver.di bis Mitte 2016 dezidiert gegen Maßnahmen, die einen beschleunigten Kohleausstieg befördert hätten. Nach einem Mitgliederprotest modifizierte ver.di seine Position und gab ein Gutachten in Auftrag, das u. a. einen Weg zu einem sozialverträglichen Kohleausstieg bis 2040 durchspielte (Enervis energy advisors GmbH 2016). Ver.di und der DGB verstärkten seither ihr Bekenntnis zu den Klimazielen, unter der Voraussetzung von Versorgungssicherheit, bezahlbaren Strompreisen und der Absicherung der Beschäftigten im Kohlesektor. Dagegen bezeichnete der IGBCE-Vorsitzende Vassiliadis Braunkohle als unverzichtbar bis 2047 (Höning 2016). Zudem wurde auf die Gefahr „ausgehender Lichter“ hingewiesen.Footnote 2 Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft betonte vor Beginn der Kommissionsarbeit ebenfalls die Bedeutung einer sicheren und bezahlbaren Stromversorgung, plädierte aber zugleich für einen raschen Kohleausstieg und die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Alternativen zur Kohleverstromung. Insgesamt schienen Energieversorger und Gewerkschaften erkannt zu haben, dass, aufgrund des Ausbaus der Erneuerbaren Energien und steigender CO2-Preise die Kohleverstromung zu Ende gehen wird und dass mit der Aushandlung eines Ausstiegsplans die Möglichkeit einer finanziellen Kompensation von Unternehmen und Beschäftigten bestünde. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hielt einen schnelleren Kohleausstieg zwar für unsinnig, da die Klimaziele durch den EU-Emissionshandel erreicht werden könnten. Er setzte sich aber nicht vehement gegen diesen ein, sondern betonte, dass steigende Strompreise und eine Gefährdung der Versorgungssicherheit zu verhindern seien (Gerbert 2018). Die betroffenen Bundesländer schlugen kein Ausstiegsdatum vor. Sie orientierten sich an Revierkonzepten, die eine Kohlegewinnung und -verstromung bis 2045 vorsahen. Insbesondere die ostdeutschen Bundesländer forderten einen über mehrere Jahrzehnte verlässlich vom Bund mitfinanzierten Strukturwandel für die betroffenen Regionen (Brandenburg und Sachsen 2017; Sachsen-Anhalt 2017). Die Bundesregierung stand aufgrund des damals zu erwartenden Verfehlens der Klimaziele national und international in der Kritik. Zugleich gab es wegen der damaligen Haushaltsüberschüsse einen relativ großen Verteilungsspielraum. Die Landtagswahlen 2019 in Brandenburg und Sachsen dürften ebenfalls dazu beigetragen haben, dass die Regierungsparteien ein Interesse an einer Konfliktlösung hatten, um ein weiteres Erstarken der AfD, die den Kohleausstieg ablehnt, zu verhindern.

Insgesamt erkannten alle an der Kommission später beteiligten Organisationen die Bedeutung von Klimaschutz, Perspektiven für die Beschäftigten und deren Absicherung, Regionalentwicklung, Versorgungssicherheit und Strompreisstabilität als relevante Dimensionen an. Sie gaben ihnen jedoch unterschiedliches Gewicht und kommunizierten, dass sie jeweils entweder durch einen früheren oder späteren Ausstieg am besten zu erreichen sein. Nur einzelne Gruppen verwiesen in ihren Veröffentlichungen auf die Relevanz der von einer Umsiedlung bedrohten Dörfer und andere auf Entschädigungsansprüche für Kraftwerksbetreiber.

3.2 Meilensteine der Kommissionsarbeit

Ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren und Entwicklungen führte zur Einsetzung der KWSB. Während der Koalitionsverhandlungen dürften weder die CDU/CSU noch die SPD davon ausgegangen sein, aus einem Kohleausstieg politisches Kapital schlagen zu können, weil ein vergleichsweise schneller Ausstieg vor allem Kritik aus sozioökonomischen und ein vergleichsweise langsamer Ausstieg aus klimapolitischen Motiven nach sich gezogen hätte. Kommissionen bieten sich in einer solchen Konstellation an, um Verantwortung abzugeben (Lehmbruch 1977) oder um Themen zu vertagen (Siefken 2019).

Die Breite an Interessen und Themen, die in der KWSB behandelt wurden, spiegelte sich auch in einer Reihe von Strukturelementen wider. So lag die KWSB in der gemeinsamen Verantwortung von Bundeswirtschafts‑, Umwelt‑, Arbeits- und Innenministerium (SPIEGEL ONLINE 11.04.2018). Während bereits frühzeitig die ehemaligen Ministerpräsidenten von Brandenburg, Matthias Platzeck (SPD) und von Sachsen, Stanislaw Tillich (CDU) als Kommissionsvorsitzende feststanden, wurden der ehemalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, der inzwischen Vorstandsmitglied bei der Deutschen Bahn ist, und die Umwelt- und Energieökonomin Barbara Praetorius erst deutlich später bestimmt. Zu den weiteren 24 stimmberechtigten Mitgliedern der Kommission zählten fünf Vertreter*innen von Wirtschaftsverbänden, zwei Unternehmensvertreterinnen, fünf Wissenschaftler*innen, drei Gewerkschafter, drei Vertreter von Umweltverbänden, zwei Lokalpolitiker*innen, zwei Bürgerinnen und zwei Vertreter*innen weiterer Verbände. Insgesamt wurden 19 Männer und neun Frauen in die Kommission berufen. Im historischen Vergleich aller Kommissionen in der Bundesrepublik war die KWSB überdurchschnittlich groß, dies liegt aber im Trend der letzten Jahre (Siefken 2016). Die Heterogenität der Mitglieder war vergleichsweise hoch (Schlandt und Siefken 2018). Die Tätigkeit in der Kommission war ein Ehrenamt; die Mitglieder erhielten eine Aufwandsentschädigung.Footnote 3 Drei Bundestagsabgeordnete der Regierungsfraktionen erhielten ein Rede-, aber kein Stimmrecht.

Aus dem Einsetzungsbeschluss der Bundesregierung vom 06.06.2018 geht hervor, dass die Kommission Vorschläge für alle Politikbereiche liefern soll, die für die verschiedenen Gruppen in der Kommission Bedeutung haben und die in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen:

Es werden insbesondere die „Schaffung einer konkreten Perspektive für neue, zukunftssichere Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen“, die „Entwicklung eines Instrumentenmixes, der wirtschaftliche Entwicklung, Strukturwandel, Sozialverträglichkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Klimaschutz zusammenbringt“, „Maßnahmen, die das 2030er Ziel für den Energiesektor [Emissionsreduktion um 61–62 % gegenüber 1990, Anm. der Autoren] zuverlässig erreichen“ und „ein Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung“ genannt. Die Kommission sollte bis Ende Oktober 2018 einen Zwischenbericht mit „Maßnahmen zur sozialen und strukturpolitischen Entwicklung der Braunkohleregionen sowie zu ihrer finanziellen Absicherung“ und bis Ende 2018 ihren Abschlussbericht vorlegen. Die Kommission wurde von einem Ausschuss mit Staatssekretären aus acht Ministerien begleitet. Es gab einen regelmäßigen Austausch zwischen Ministerpräsidenten und Bundesministern geben und eine beim BMWi angesiedelte Geschäftsstelle (BMWI 2019).Footnote 4

Tatsächlich tagte die KWSB vom 26.06.2018 bis 25.01.2019 in zehn Plenarsitzungen. Hinzu kamen drei eintägige Fahrten in die Braunkohlereviere. Die Kommission hörte insgesamt 67 Sachverständige, darunter 62 Männer und fünf Frauen. 23 Sachverständige kamen aus Unternehmen und Unternehmerverbänden, 20 aus der Wissenschaft, elf aus Regierungen und Behörden, jeweils drei waren Betriebsräte/Jugendvertreter und Vertreter von Umweltverbänden sowie insgesamt sieben Bürger*innen, Pfarrer und Vertreter von Minderheitengruppen (112–114); Zusätzlich sprachen neun Politiker auf den Revierfahrten (115 f.).

In der ersten Sitzung wurde die Geschäftsordnung beschlossen. An den Kommissionssitzungen sollten demnach auch Mitglieder der Geschäftsstelle, der vier beteiligten Ministerien sowie der Bundesländer mit Kohlestandorten (Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen (NRW), Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt) teilnehmen. Beschlüsse der Kommission sollten mit einer Zweidrittelmehrheit gefasst werden. Nachdem verschiedene Mitglieder kritisiert hatten, dass es zu keiner sachlichen Auseinandersetzung in der Gesamtgruppe käme, wurden durch die Kommissionsvorsitzenden zwei Untergruppen gebildet, die wesentliche Teile des Berichts verhandelten:

  • Eine „Friends of the chair group“ zu Energiewirtschaft und Klimazielen. Sie wurde Ende August gegründet. Ihr gehörten Stefan Körzell (DGB), Kai Niebert (DNR), Felix Matthes (Öko-Institut), Holger Lösch (BDI, Sherpa von Dieter Kempf), Stefan Kapferer (BDEW) und Katharina Reiche (VKU) an.

  • Eine Arbeitsgruppe zur Strukturentwicklung. Sie wurde Mitte November eingesetzt: Ihr gehörten Michael Vassiliadis (IGBCE), Steffen Kampeter (BDA), Gunda Röstel (Stadtentwässerung Dresden), Reiner Priggen (Landesverband Erneuerbare Energien NRW) Christine Herntier (Oberbürgermeisterin Spremberg), Michael Kreuzberg (Landrat Rhein-Erft-Kreis), Christiane Schönefeld (Bundesagentur für Arbeit) sowie die Vorsitzenden Matthias Platzeck und Stanislaw Tillich an.

Während des Kommissionsverlaufs führten mehrere Ereignisse zu Wendungen und verschiedene Mitglieder drohten mit einem Austritt:

  • Im Sommer und Herbst 2018 fand eine intensive Auseinandersetzung um den Hambacher Wald statt. Auf Demonstrationen wurden, sowohl von Kohlegegnern als auch Beschäftigten in der Kohleindustrie, vermeintliche Zwischenergebnisse der KWSB skandalisiert.

  • Mitte September wurde von einem zwischen Pofalla, einzelnen Kommissionsmitgliedern und der Bundesregierung ausgehandelten Plan für einen Kohleausstieg zwischen 2035 und 2038 berichtet (SPIEGEL 14.09.2018). Da im Plenum zu diesem Zeitpunkt noch nicht über mögliche Ausstiegsdaten und -pfade gesprochen worden war, stand ein Scheitern der Kommission im Raum. Die Wogen glätteten sich, nachdem Pofalla in der Kommission erklärte, dass er nicht mit dem SPIEGEL gesprochen habe.

  • Mitte November warfen die Ministerpräsidenten von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt der Kommission in einem Brief an die Bundeskanzlerin vor, sich zu wenig damit beschäftigt zu haben, wie „neue, gleichwertige und zukunftssichere Arbeitsplätze“ entstehen können und kritisierten, dass „Vorschläge zu Umfang und Dauer des finanziellen Engagements des Bundes“ fehlten (Lausitzer Rundschau 2018). Die Bundesregierung verlängerte daraufhin die Arbeit der Kommission und berief ein Treffen der Kommissionsvorsitzenden sowie zuständiger Minister*innen und Ministerpräsidenten im Kanzleramt ein. In der Folge benannte die Kommission eine mit der Bundesregierung abgestimmte Summe für Strukturhilfen. Außerdem wurden Leitbilder für die Regionen sowie Projekte zwischen Bundes- und Landesregierungen konkretisiert. Dass sich NRW nicht an dem Brief beteiligte, war symptomatisch für auch sonst immer wieder auftauchende Unterschiede zwischen NRW und den ostdeutschen Ländern.

Erst in der letzten Sitzung der KWSB wurde über die noch strittigen Punkte und insbesondere den Ausstiegspfad intensiv diskutiert. Die Erzählungen unterscheiden sich im Detail. Übereinstimmend berichten die KWSB-Teilnehmer*innen, dass die abschließenden Verhandlungen vorwiegend in einer informellen Kleingruppe stattfanden. In dieser stritt insbesondere Niebert für die Umweltseite mit Platzeck und Vassiliadis, die eine längere Kohleverstromung verteidigten. Für eine weitergehende klimapolitische Ambition setzte sich auch der BDEW ein. Als Vermittler wird der Moderator der abschließenden Sitzung Pofalla beschrieben. Nachdem er zwischendurch erwogen hatte die Verhandlungen abzubrechen, konnte sich die Kleingruppe am frühen Morgen auf einen gemeinsamen Vorschlag verständigen. Die Beurteilungen zu diesem Vorgehen divergieren. Ein Vertreter der Umweltverbände kritisierte, „diese Kommission hat nie über den Ausstiegspfad verhandelt. Nie! (…) Sondern das wurde in einer Kleingruppe hinter verschlossenen Türen in der letzten Kommissionsnacht ab 21 Uhr verhandelt.“ (I1) Ein anderer Interviewpartner aus dem Wissenschaftsbereich rechtfertigte dieses Vorgehen, weil nur so ein Ergebnis erzielt werden konnte: „[…] sobald dann erst mal irgendwie Zahlen da sind und kursieren, dann werden die sofort zerredet und dann kommen sofort die Umweltvertreter und sagen ‚viel zu wenig‘ und der BDI sagt ‚seid ihr des Wahnsinns‘.“ (I2)

Am 26. Januar 2019 hat die Kommission ihren Abschlussbericht vorgelegt. Sie gab der Bundesregierung u. a. folgende Empfehlungen:

  • Strukturwandelhilfen des Bundes für die Länder mit Braunkohlerevieren von 40 Mrd. € über die nächsten 20 Jahre verteilt (S. 104)

  • Ein schrittweiser und möglichst stetiger Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038, bei Erfüllung bestimmter Bedingungen bis 2035 (S. 61–65)

  • Entschädigungen für Energieversorger für frühzeitige Stilllegungen (S. 61–64)

  • Kompensation möglicher Strompreisanstiege für Industrie und Haushalte aus Steuermitteln (S. 66)

  • Weitere Kostenerstattungen für CO2-Zertifikate für die energieintensive Industrie (ebd.)

  • Eine genauere Überprüfung der Versorgungssicherheit (S. 67)

  • Der Erhalt des Hambacher Forsts wird als „wünschenswert“ bezeichnet (S. 64)

Mit Ausnahme der Lausitzer Bürgervertreterin Wodtke stimmten alle Kommissionsmitglieder dem Bericht zu. Die Vertreter der Umweltverbände sowie die Bürgervertreterin Antje Grothus aus NRW kritisierten in einem Sondervotum den Ausstiegspfad, weil die dadurch entstehenden kumulierten CO2-Emissionen mit dem Pariser Klimaabkommen nicht vereinbar seien (S. 119).

Anknüpfend an die Vorschläge der KWSB wurde das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen verabschiedet. Eine Bund-Länder-Vereinbarung legte im Januar 2020 die Grundlage für das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz, welches am 14. August 2020, zusammen mit dem Strukturstärkungsgesetz in Kraft getreten ist. Hierin wird ein Stilllegungspfad bis 2038 festgelegt, wobei Kraftwerkskapazitäten jeweils am Ende der von der Kommission vorgeschlagenen Zeitabschnitte aus dem Markt genommen werden sollen und nicht möglichst stetig, wie dies von der Kommission vorgeschlagen wurde. Außerdem ist die Inbetriebnahme des Kraftwerks Datteln 4, entgegen der Empfehlungen, vorgesehen. Schließlich werden Entschädigungen für die Energieversorger festgeschrieben. Durch das Gesetz sehen die Umweltverbände sowie die ehemalige Kommissionsvorsitzende Praetorius, die Bürgervertreterin Grothus, die Wissenschaftler Matthes und Schellnhuber sowie Priggen, den „von uns bisher mitgetragenen Kompromiss durch Bund und Länder aufgekündigt“.Footnote 5 Sie problematisieren die Umsetzungsbeschlüsse auch gesellschaftspolitisch, weil „Konsens-Prozesse desavouiert“ (MatthesFootnote 6) worden seien, so dass in zukünftigen Prozessen wenig Bereitschaft bestünde, schwierigen Kompromissen zuzustimmen. Die anderen Verbände lobten dagegen im Wesentlichen die Umsetzung, die sich an den Kommissionsergebnissen orientiert habe. Sie kritisierten lediglich Details, wie etwa der BDI die Ausgestaltung der Strompreiskompensation (Tagesspiegel Background 22.01.20).

4 Legitimität der KWSB

4.1 Input-Legitimität

Nach der input-orientierten Perspektive gelten Entscheidungen und Entscheidungsprozesse als legitim, „wenn und weil sie den ‚Willen des Volkes‘ widerspiegeln“ (Scharpf 1999). „Die Input-Perspektive betont die Partizipation der Bürger und die Verantwortlichkeit der Regierenden gegenüber den Regierten“ (Scharpf 1993). Sie umfasst die Bereiche der Inklusivität und politische Verantwortlichkeit (accountability)Footnote 7. Das normative Ziel der Inklusivität liegt in einer Beteiligung mit prozeduraler politischer Gleichheit (Schaal und Heidenreich 2007), d. h. einer gleichen Beteiligung aller betroffenen Akteure unmittelbar oder über Repräsentant*innen. In diesem Aufsatz wird davon ausgegangen, dass sich die Prinzipien der Partizipation und Repräsentation ergänzen (Brown et al. 2005). Empirisch wird hier untersucht, wie legitim die Vorgaben der Regierung für die KWSB waren. Dies wird konkretisiert durch eine Analyse davon, wie ausgeglichen die Zusammensetzung der Mitglieder war und wie gerecht in dem von der Regierung vorgegebenen Mandat auf gesellschaftliche Forderungen eingegangen wurde.

Die Stärke im Setting der KWSB liegt darin, vielfältige gesellschaftliche Anspruchsgruppen eingebunden zu haben (Siefken 2006), die von den vertretenen Positionen recht ausgewogenen und mit großer Expertise (Majone 1989) ausgestattet waren. Aus einer Gender-Perspektive ist zu bemängeln, dass mehr als 2/3 der Mitglieder männlich waren. Auch wenn dies für Kommissionen üblich ist, ist demokratietheoretisch der Ausschluss radikalerer Kräfte, die etwa einen sofortigen oder gar keinen Kohleausstieg fordern, ebenso zu problematisieren wie die ausschließliche Einbeziehung von Akteuren aus Deutschland, obwohl der durch Emissionen der Kohlekraftwerke mitverursachte Klimawandel globale Implikationen aufweist. Dagegen hat die KWSB durch die Einbeziehung von zwei Vertreterinnen lokaler Bürgerinitiativen eine neue demokratische Qualität gewonnen. Hier hat sich die Bundesregierung wohl aufgrund von Druck aus den verschiedenen Revieren geöffnet (Grothus und Setton 2020).Footnote 8

Im Mandat der KWSB wurde auf alle Punkte eingegangen, die für die Mitglieder Bedeutung haben mit Ausnahme der durch den Tagebau gefährdeten Dörfer und der Strompreisentwicklung. Da zuvor argumentiert wurde, dass die Kommission recht ausgewogen und repräsentativ zusammengesetzt war, ist dies erstmal eher positiv zu werten. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass die Zielsetzungen im Klimaschutzbereich sehr präzise anhand der deutschen Klimaziele formuliert wurden, die etwa die Umweltschutzverbände für unzureichend erachten. In anderen Bereichen wurde ein größerer Verhandlungsspielraum eröffnet.

Die andere Dimension der Input-Legitimität ist die politische Verantwortlichkeit der Regierenden gegenüber den Regierten. Empirisch werden hierfür die Zurechenbarkeit und Kontrollierbarkeit von Entscheidungen (Krick 2012) sowie Möglichkeiten zur Sanktionierung untersucht. Expert*innenkommissionen, die, wie die KWSB, von der Regierung eingesetzt werden, können nie über eine sehr hohe Input-Legitimität verfügen, weil sie über kein Mandat der Bevölkerung verfügen und an der Auswahl ihrer Mitglieder nur die Bundesregierung und nicht alle im Parlament vertretenen Parteien beteiligt sind. Offe (2003) kritisiert in diesem Zusammenhang eine Deinstitutionalisierung von Regierungshandeln und Grimm (2003) die Delegation politischer Entscheidungen hinter „verschlossene Türen“. Zugleich haben sie aber ein höheres Partizipationspotential als rein wissenschaftliche Beratungsgremien, weil sie über epistemische und politische Autorität verfügen (siehe Einleitung). Die Vorformulierung von für Interessenvertreter*innen akzeptablen Entscheidungen führt allerdings auch zu einer Einschränkung des Handlungsspielraums von Parlamentarier*innen und der Regierung. Im Fall der KWSB stand das Parlament durch den detaillierten Vorschlag vor der Entscheidung, den Kompromiss im Wesentlichen als Ganzes umsetzen, oder den massiven Widerstand von einer oder mehreren beteiligten Gruppen zu erzeugen.

Für die KWSB ergab sich in diesem Zusammenhang ein Spannungsfeld, weil einerseits eine gewisse Verflechtung zwischen einer Kommission sowie Regierungen und Parlamenten üblich und auch demokratietheoretisch wünschenswert ist (Curtin 2007; Holst und Molander 2017), aber andererseits das hohe Ansehen von Kommissionen in der Öffentlichkeit gerade auf ihrer Unabhängigkeit beruht (ebd.). Beispielhaft zeigt sich dies an der Festlegung der Strukturwandelmittel sowie der Rolle der Bundesländer. Eine zentrale Empfehlung der Kommission liegt im Umfang der Strukturwandelhilfen für die Braunkohleregionen. Die Mitglieder berichteten jedoch, dass über dieses Volumen kaum in der Kommission gesprochen wurde, sondern „[…] da ist ja ein großer Teil der Einigung passiert zwischen den Bundesländern und dem Finanzministerium.“ (I14) Zweitens hatten die Bundesländer offiziell nur einen Beobachterstatus. Tatsächlich nahmen aber meist ihre Ministerpräsidenten und auch einzelne Minister an den Sitzungen teil. Weiterhin intervenierten die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Bundesländer bei der Bundeskanzlerin. Inhaltlich kann man diese Vorgänge als eine sinnvolle Anbindung an politische Entscheidungsprozesse betrachten. Problematisch ist allerdings, dass diese Zusammenhänge kaum öffentlich gemacht wurden, so dass es für die Bevölkerung schwierig ist, die Initiative für die Entscheidungen den jeweils Verantwortlichen zuzurechnen oder sie zu sanktionieren. Insgesamt ist die Legitimität in Bezug auf die politische Verantwortlichkeit der Kommission als gering zu bewerten. Einschränkend ist anzumerken, dass sich diese Untersuchung auf die Zeit während der Kommission und unmittelbar danach konzentriert hat. Wenn man berücksichtigt, dass die Bunderegierung im Gesetzgebungsverfahren von den Vorschlägen der KWSB zum Teil abrückte, verändert dies die Beurteilung der Input-Legitimität.

4.2 Throughput-Legitimität

Das Konzept der Throughput-Legitimität hat bereits Easton (1965) beschrieben. Schmidt (2013) bezeichnet es als einen Sammelbegriff für all das, was zwischen dem Input und dem Output passiert. Sie hat für die Beurteilung der Legitimität an dieser Stelle insofern besondere Bedeutung, weil über sie beinahe der gesamte Arbeitsprozess innerhalb von Kommissionen untersucht werden kann. Sie setzt sich zusammen aus der Accountability der Kommissionsmitglieder im Prozess, der Transparenz, der deliberativen Qualität der Arbeitsprozesse, sowie der Inklusivität und Offenheit während der Kommissionarbeit (Schmidt und Wood 2019).

Im Bereich des Throughputs bezieht sich Accountability auf die politische Verantwortung der Mitglieder einer Kommission gegenüber der Öffentlichkeit und insbesondere den Organisationen, die sie vertreten. „Nachteilig für die Herstellung von Accountability wären dagegen die Vermeidung des Kontakts mit der Öffentlichkeit, die bewusste Verdeckung von Konflikten etwa durch Technisierung der Debatte oder die Verschleierung von Parallelstrukturen und die Glättung von Berichten“ (Krick 2012).

Alle an der Kommission beteiligten Verbände berichten von einem regelmäßigen Austausch mit den Mitgliedern und/oder anderen Organisationen derselben Kategorie. Insbesondere die Umweltschutzorganisationen und, in etwas geringerem Ausmaß, die Gewerkschaften, gaben an, dass sie für die Kommissionsergebnisse innerhalb ihrer eigenen Organisationen deutlich kritisiert wurden. Im Gegensatz dazu wurden die wesentlichen, in der letzten Nacht getroffenen, Entscheidungen der Kommission jedoch weder mit der Öffentlichkeit noch innerhalb der Organisationen rückgebunden, so dass für unzufriedene Mitglieder der Organisationen nur die Möglichkeit bestand, längerfristig auf eine Ablösung ihrer jeweiligen Leitungen einzuwirken. Alle interviewten Kommissionsmitglieder berichten recht offen von den Konflikten, die in der letzten Nacht noch gelöst werden mussten. Zu den weiteren benannten Aspekten von Accountability wurden von den meisten Kommissionsmitgliedern keine Angaben gemacht. Von einem Mitglied wird die Accountability der Kommission jedoch grundsätzlich in Frage gestellt. Es wird der Vorwurf einer „Scheinbeteiligung“ (I14) geäußert. Nicht nur seien wesentliche Teile des Kommissionsberichts außerhalb der KWSB verhandelt worden (siehe 4.1), auch sei der gesamte Abschlussbericht in den Untergruppen entstanden. Wer dort nicht vertreten gewesen sei, hätte nur am letzten Tag noch Änderungsvorschläge einbringen und über den Gesamtentwurf abstimmen können. Die Accountability im Prozess war somit insgesamt von geringer Legitimität.

Verbunden mit Accountability ist Transparenz. Diese umfasst den Zugang von Bürger*innen zu Informationen über den Prozess und Entscheidungen (Héritier 2003). Die KWSB hat einen Zwischen- und einen Endbericht veröffentlicht. Dieser stellte Transparenz darüber her, wer Mitglied in der Kommission war, wann sich die Kommission getroffen hat, welche Sachverständige geladen wurden, worauf sich die Kommission mit welchem Ergebnis geeinigt hat und wer welche Minderheitenvoten abgab. Solche Berichte finden sich auch bei vielen anderen ähnlichen Kommissionen in Deutschland, jedoch nicht bei allen (Krick 2012). Auch wurden (Zwischen‑) Ergebnisse der Kommissionen in den Medien und auch im Parlament diskutiert.Footnote 9 Es wurde weiterhin dokumentiert, dass zwei Arbeitsgruppen eingesetzt wurden, jedoch nicht, wie sie besetzt waren und welche Bedeutung sie in der Arbeit der Kommission hatten. Durch das Fehlen jeglicher Protokolle lassen sich der Diskussionsverlauf und die Beiträge der Kommissionsmitglieder weder für die Öffentlichkeit noch für die Kommissionsmitglieder selbst transparent nachvollziehen. Ein Vertreter der Umweltverbände verdeutlicht die mit der mangelnden Dokumentation verbundenen Probleme folgendermaßen: „Es ging um Versorgungssicherheit und ‚Was kann man bis wann abschalten‘. So und dann hat (…) jemand aus dem BMWi gesagt, ja bis 2020 könnten wir eigentlich rund 13 bis 15 Gigawatt Kohlestrom vom Netz nehmen. Da kam von vorne von Tillich die Nachfrage: Haben Sie gerade 13 bis 15 Gigawatt gesagt? Hat der gesagt: Ja, 13 bis 15 Gigawatt. Das wäre ein wunderbarer Punkt gewesen, um da mal einen Pflock einzuschlagen, zu sagen: Okay, jetzt mal hier miteinander festgehalten, 13 bis 15 Gigawatt wären möglich gewesen. Aber sowas hat eben nie stattgefunden.“ (I1)

Drittens impliziert Throughput-Legitimität eine deliberativ ausgerichtete Arbeits- und Gesprächsweise. Hier wird darunter verstanden, dass Entscheidungen auf Basis guter Argumente getroffen werden und für alle Beteiligten das „Recht auf die gleiche Berücksichtigung (oder den gleichen Einfluss)“ (Schaal und Heidenreich 2007) gelten soll. Da die KWSB nicht selbst beobachtet werden konnte, beschränkt sich die Untersuchung hier auf die Aussagen der Befragten zur Arbeits- und Diskussionsqualität in der Kommission sowie auf die den einzelnen Mitgliedern zur Verfügung stehenden Ressourcen.

Alle befragten Kommissionsmitglieder kritisieren die Moderation durch die Vorsitzenden. Platzeck und Tillich seien nicht unparteiisch, sondern als „Brandenburger und Sachse“ (I5) aufgetreten. Ein Mitglied wirft ihnen sogar vor, dass sie „traumatisiert waren von ihrem eigenen Regierungshandeln, was sehr stark mit der Kohle auch zusammenhängt“. (I4) Praetorius hingegen habe als „Novizin“ (I5) „eine untergeordnete Rolle“ (I11) gespielt. Vereinzelt wird gelobt, dass sie als einzige versuchte, „partizipativ“ (I1) zu moderieren. Pofalla wird als erfolgreicher „Dealmaker“ (I12) anerkannt, der „geführt“ (I10) und „das Ganze zusammengehalten“ (I9) oder „gerettet“ (I5) hat, seine dafür verwendeten Methoden werden jedoch als autoritär beanstandet. Als er in der letzten Nacht das in einer Kleingruppe verhandelte Ergebnis dem Plenum vorstellte, galt: „Es gab keine Möglichkeit, Nachfragen zu stellen. Es gab keine Möglichkeit zu diskutieren. Es gab die Möglichkeit, die Hand zu heben oder nicht.“ (I1)

Über die Moderation hinaus wird von allen befragten Mitgliedern die Arbeitsfähigkeit im Plenum kritisiert. Es sei nicht möglich gewesen, mit allen Beteiligten konstruktiv und vertrauensvoll an Lösungen zu arbeiten, aufgrund der Größe der Gruppe und der mangelnden Vertraulichkeit: „kaum [wurde] etwas besprochen, dann ist es an die Presse durchgestochen worden“. (I10) Dagegen wird die Arbeit in den beiden Untergruppen als sachorientiert, vertrauensvoll und konstruktiv beschrieben. In der Gruppe zum Strukturwandel wird nur von geringen inhaltlichen Differenzen berichtet, die sich z. B. darauf bezogen, ob es einen Verteilungsschlüssel zwischen den Revieren geben solle. Die Friends of the Chair Group zu Energiesystemen und Klimaschutz orientierte sich an der Idee eines „Interessensausgleiches“ (I1), z. B. akzeptierten die Umweltverbände eine Strompreiskompensation für die Industrie und hofften dafür auf ein Entgegenkommen beim Ausstiegspfad. Insgesamt habe man voneinander gelernt und Vertrauen aufgebaut, das auch für die Zusammenarbeit in anderen Themenfeldern bedeutsam sei. Die Auswahl der Mitglieder für die Kleingruppen beschreiben einige Mitglieder als willkürlich, andere sehen sie als meritokratisch, entsprechend der Expertise, begründet.

Einige Mitglieder gehen noch weiter in ihrer Kritik und problematisieren, dass keine Maßnahmen ergriffen wurden, um den unterschiedlichen Umfang an Erfahrungen in der Kommission auszugleichen. Laut diesen kennen einige das „Polit-Schauspiel nicht und hängen jetzt hier mit so Lobby-Profis und zum Teil auch Polit-Profis rum. Und das ist dann, glaube ich, echt schwer, sich zu behaupten.“ (I5) Diese Ungleichheiten seien verstärkt worden durch die Arbeitsweise der Geschäftsstelle, die sich etwa darin ausdrückte, dass „die Entwürfe für den Zwischenbericht (…) fünf Minuten vor Beginn des Treffens verschickt wurden“. (I12) Auch habe es sehr unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zur Geschäftsstelle gegeben. Vereinzelt wird bemängelt, dass einige Mitglieder über deutlich weniger Ressourcen verfügten, weil sie „nicht eine große Organisation im Rücken“ (I14) haben.

Als viertes Element von Throughput-Legitimität sollten Expert*innengremien offen für den Input nicht repräsentierter thematisch betroffener Interessen sein (Greenwood 2007), wobei ein privilegierter Zugang bestimmter Gruppen zu vermeiden ist (Schmidt und Wood 2019). Empirisch wird die Untersuchung hier auf die formalen Zugangsmöglichkeiten begrenzt. Externe Akteure konnten sich nicht eigenständig in die KWSB einbringen. Es wurden jedoch ausgewählte Sachverständige angehört. Einige schätzten die Anhörungen so ein, dass es dadurch „ein gewisses, gemeinschaftliches Fachverständnis gegeben hat, worauf man sich geeinigt hat.“ (I13) Andere sind skeptischer: „Das war klar, dass wenn die Umweltseite da jetzt einen Referenten setzt, dann setzt die Wirtschaftsseite einen Referenten, der genau das Gegenteil behauptet“. (I1) Auffällig ist hier eine starke Geschlechterungleichheit: Mehr als 90 % der Sachverständigen waren männlich. Da keine Beteiligungsformate für die KWSB vorgesehen waren, beschränkte sich die Interaktion mit Bürger*innen zum einen auf die Revierfahrten.Footnote 10 Eine Reihe von Mitgliedern loben diese Vorortbesuche: „Ich glaube, es war psychologisch auch gut für die Gruppe insgesamt, auch für einige mal irgendwie raus aus dem Wohlfühlzentrum Berlin in die Region, wo es brennt, zu kommen.“ (I7) Andere sind skeptischer: Die Revierfahrten waren ein „Riesen-Brimborium für ziemlich wenig“, (I5) bei denen „die Prioritäten der Länder abgebildet“ (I14) wurden. Zum anderen wurde insbesondere die Debatte um die Zukunft des Hambacher Walds in die Kommission getragen. Dies wurde durch die öffentliche Aufmerksamkeit und u. a. durch die Präsenz von Antje Grothus in der Kommission möglich, denn im Kommissionsauftrag war es nicht vorgesehen (Grothus und Setton 2020). Einzelne Kommissionsmitglieder kritisieren diese Entwicklung: „Ich habe das als sehr, sehr unangenehm empfunden, dass es stundenlang nur um den Hambacher Wald ging.“ (I2) Insgesamt war die KWSB nicht auf eine Offenheit gegenüber der Öffentlichkeit ausgerichtet.

Insgesamt ist die vorliegende Analyse zur Throughput-Legitimität mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten, weil sie hauptsächlich auf Interviewaussagen beruht. Da alle Mitglieder davon berichteten, dass sie Schwierigkeiten hatten, die Ergebnisse innerhalb der eigenen Organisationen und Communities zu verteidigen, dürften sie alle ein Interesse daran haben, ihren eigenen Beitrag als konstruktiv und die Umstände, in denen die Kommission arbeitete, als problematisch darzustellen.

4.3 Output-Legitimität

Output-Legitimität impliziert eine Problemlösungsfähigkeit, die sowohl effektiv und effizient als auch unparteilich und gemeinwohlorientiert ist (Scharpf 1975, 1999; Zürn 2012). Die Output-Legitimität wird üblicherweise als größtes Potenzial von Kommissionen gesehen. Sie sollen in bestimmten Angelegenheiten gemeinwohldienliche politische Entscheidungen gewährleisten, wozu die Mechanismen der Parteienkonkurrenz nicht in der Lage seien (Majone 1996).

Das stärkste Argument für die Legitimität der KWSB ist ihre Problemlösungsfähigkeit. Sie zeigt sich an der fast einstimmigen Zustimmung zu dem Abschlussbericht. Dies wird auch von den Mitgliedern betont. Die große Leistung der Kommissionsarbeit sei es gewesen, „diesen widersprüchlichen und sich entgegenstehenden Interessenkonflikt – und es war nicht einer, sondern mehrere – in einen Kompromiss münden zu lassen, den man politisch durchsetzen kann.“ (I13)

Sehr viel schwieriger ist es die Gemeinwohlorientierung der Kommission zu beurteilen. In der Moderne gibt es kein breit akzeptiertes, substantielles Gemeinwohlverständnis (Münkler und Bluhm 2001) und alle Versuche, Kosten und Nutzen bzw. Gewinner und Verlierer einer Maßnahme miteinander zu vergleichen, können wissenschaftlich grundsätzlich nicht geleistet werden (Scharpf 2004). Trotzdem werden politische Entscheidungen von Debatten über ihre Gemeinwohlorientierung begleitet und in einem Interessenskonflikt versuchen die beteiligten Akteure ihre Anliegen durch das Argument zu legitimieren, dass alle anderen von ihrer Erfüllung profitieren würden (Münkler und Fischer 2002). Entsprechend sollte ein kontextgebundener und bis zu einem gewissen Grad offener Gemeinwohlbegriff für die Beurteilung dieses Aspektes der Output-Legitimität genutzt werden. Angesichts der Problematiken des Kohleausstieges erscheint ein Gemeinwohlverständnis angemessen, dass zumindest mehrdimensional ist, regionale, nationale und globale Aspekte einbezieht sowie Offenheit in der Ausgestaltung bietet. Dem folgend wird hier Nachhaltigkeit als Leitvorstellung für das Gemeinwohl genutzt. Es wird dabei auf das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit zurückgegriffen, da dieses einen weit geteilten Minimalkonsens darstellt. Demnach kann eine nachhaltige Entwicklung nur durch das gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzen von umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen erreicht werden (Bundestag 2013).

Zu den Bestandteilen von Nachhaltigkeit gibt es unterschiedliche Einschätzungen der Mitglieder. Von fast allen wird der Strukturwandelteil positiv beurteilt:

Speziell für Strukturentwicklung, das ist da das leuchtende Beispiel. Ich meine, das Kommissionsergebnis bringt schon deutlich zum Ausdruck, dass diese Verantwortung für die Regionen gesehen wird (I12).

Es wird auch betont „so viel wie es jetzt gegeben hat, wird es für anderen Strukturwandel nicht mehr geben“ (I12) und „hätte man eigentlich gar nicht mehr gedacht, dass das Kohlerevier X nochmal so eine Chance kriegt“ (I2). Lediglich eine Person äußert sich kritisch, weil sich Strukturwandelprojekte „an den SDG (Sustainable Development Goals, Anm. der Autoren) vornehmlich orientieren [sollen]. Ich sehe darin eine vollkommene Überhöhung eines eh schon komplizierten Prozesses“. (I8) Im Bundestag kritisiert u. a. Christian Lindner (FDP) die Ergebnisse dagegen, mit Bezug auf die ökonomische Säule, als zu teuer, denn die, „die das alles bezahlen müssen, hatten in der Kommission keine Lobby“ (Plenarprotokoll 19/77).

In den anderen Bereichen heben die Nicht-Umweltorganisationen ihre Erfolge hervor, die diese jeweils als verallgemeinerungsfähige Interessen formulieren: die Industrievertreter betonen die Strompreiskompensation und die Versorgungssicherheit; die Energieversorger loben ebenfalls die Versorgungssicherheit, die Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber und den Ausbau der Erneuerbaren Energien; die Gewerkschaften unterstreichen den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, die soziale Absicherung für die Beschäftigten, die intensive Beteiligung der Tarifvertragsparteien am Ausstiegsprozess und an der Schaffung von Perspektiven für Beschäftigte sowie ebenfalls die Versorgungssicherheit und die Sicherung wettbewerbsfähiger Strompreise. Die Vertreter der Umweltverbände versuchten ihr Legitimitätsdilemma einer Zustimmung bei gleichzeitiger Abgabe eines Sondervotums mit zwei Argumenten zu lösen: Durch Vergleiche mit dem Status Quo („besser ein schlechter Klimaschutz als gar kein Klimaschutz“ (I1)) sowie Hoffnungen auf zukünftige Entwicklungen, die zu einer schnelleren Reduktion führen könnten, als sie die KWSB vorsieht. Die Bürgervertreterin Grothus sieht in den Empfehlungen einen Minimalkompromiss, ein „Konsens“ seien sie nicht (Grothus und Setton 2020). Die Bürgervertreterin Wodtke begründete ihre Ablehnung damit, dass die von einer Abbaggerung in der Lausitz bedrohten Dörfer durch den Kommissionsbericht nicht bessergestellt würden.Footnote 11

Eine für das Verständnis des Gemeinwohls zentrale Debatte bezog sich auf den Ausstiegspfad. Die Vertreter der Umweltverbände, die Bürgervertreterinnen und die Klimawissenschaftler forderten einen Ausstiegspfad, der mit dem Pariser Klimaabkommen kompatibel sei. Nach Ansicht zahlreicher Wissenschaftler*innen sind die deutschen Klimaziele hierfür bislang nicht ausreichend (u. a. Nachmany und Mangan 2018). Die Bedeutung des Abkommens wurde von den anderen Gruppen nicht in Frage gestellt, sie nutzen jedoch zwei Argumente, um den Forderungen der Umweltverbände zu begegnen:

  • Bedeutung anderer Werte: Ein „schneller“ Ausstieg gefährde z. B. Arbeitsplätze in der energieintensiven Industrie oder die Versorgungssicherheit: „Es müssen Voraussetzungen geschaffen werden (…), damit dort keine Disruption, sondern eben ein Wandel stattfindet, den man beherrschen kann“. (I13)

  • Mandat der Kommission: In diesem wurde lediglich auf die deutschen Klimaziele verwiesen: „Der Einsatzbeschluss hat uns als Kommission eine klarere Guidance gegeben (…) und in dem haben wir uns bewegt“. (I8)

In Meinungsumfragen sprach sich vor Beginn der Kommissionsarbeit eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung für ein Kohleausstiegsgesetz (Rinscheid 2018) aus. Nach Ende der Kommissionsarbeit plädierte eine Mehrheit für einen möglichst schnellen Kohleausstieg (infratest dimap 2019). In den Kohlerevieren und insbesondere in der Lausitz wurde ein Kohleausstiegsgesetz jedoch von einem geringeren Teil der Bevölkerung gewünscht und ein schneller Ausstieg sogar von einer Mehrheit abgelehnt.

4.4 Das Spannungsfeld zwischen Inklusion und Effektivität

Einige Forscher*innen argumentieren, dass eine Institution bereits demokratisch sein kann, wenn sie über Legitimität in einer Dimension verfügt. Dabei wird meistens argumentiert, dass gute Ergebnisse erzielt werden (Output), auch wenn eine Input-Legitimität fehle (Menon und Weatherill 2008; Majone 1998). Aus einer normativen Perspektive erfordert demokratische Legitimität jedoch sowohl Input- als auch Throughput- und Output-Legitimität (Kneip und Merkel 2020; Schmidt 2013).

Empirisch ist bei der KWSB ein Spannungsfeld zwischen Effektivität und Inklusion (Dahl 1994) zu beobachten. Bereits 1976 hat Scharpf darauf hingewiesen, dass Verhandlungen sehr komplex und voraussetzungsvoll sind, wenn eine Einigung aller Beteiligten angestrebt wird (ähnlich Holst und Molander 2017). Maasen und Weingart (2005) stellen gar fest, dass es in der Praxis eine Strategie ist, Beratungsprozesse inklusiv zu gestalten, um Entscheidungsfindungen zu verschieben oder zu verhindern. Das inklusive Paradigma, demzufolge ein Mehr an involvierten Expertisen und Erfahrungsschätzen die politische Legitimität steigert, muss daher fallspezifisch und ergebnisoffen untersucht und normativ diskutiert werden (vgl. die Diskussion bei Collins und Evans 2002). Krick (2014) hat vier Expert*innengremien untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass die Reichweite der Vorschläge eines Gremiums umso höher war, je homogener und weniger repräsentativ es zusammengesetzt war. Die KWSB war repräsentativ zusammengesetzt, jedoch war der Arbeitsprozess für externe Akteure weitgehend verschlossen und die wesentlichen Entscheidungen innerhalb der Kommission wurden in Kleingruppen getroffen. Im Ergebnis wurde der Effektivität eine etwas höhere Bedeutung beigemessen als der Inklusion. Tab. 1 fasst die wesentlichen Ergebnisse sowie die Kategorienbildung zusammen.

5 Schlussfolgerungen

Die Einsetzung KWSB bot für die Bundesregierung das Potenzial einer Befriedung durch einen von allen Beteiligten unterstützten Interessensausgleich. Dadurch sollten „verbandliche Störpotenziale“ (Czanda 2003) minimiert und zugleich dem sinkenden Vertrauen der Bürger*innen in die politischen Institutionen (Kneip und Merkel 2020) begegnet werden. Auf Basis des KWSB-Beschlusses war es möglich, ein Kohleausstiegsgesetz sowie umfangreiche Finanzhilfen für die betroffenen Regionen zu verabschieden und damit die Konflikte um die Zukunft der Kohleverstromung zumindest zu entschärfen. Die Bundesregierung verwies in allen ihren Gesetzgebungsinitiativen auf die Einigung der KWSB, auch wenn sie in der Umsetzung in Teilen deutlich vom Abschlussbericht abwich.

Zur Beurteilung der demokratischen Legitimität der KWSB wurden verschiedene Texte analysiert sowie Interviews mit Kommissionsmitgliedern geführt. Bei Letzteren ist davon auszugehen, dass einige Einschätzungen zur Arbeit der Kommission strategisch ausgerichtet waren, auch weil die Gespräche stattfanden, während noch über die Umsetzung des Berichts verhandelt wurde.

Die Arbeit der KWSB war unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten problematisch. Insofern kann die vorliegende Analyse zur Erklärung beitragen, warum die Kohlepolitik der Bundes- und Landesregierungen weiterhin auf deutliche Widerstände stößt. Im Bereich der Inputlegitimität ist zu kritisieren, dass es zwar zu einem wünschenswerten Austausch zwischen der Kommission und den Regierungen kam, sich die Regierungen aber so darstellten, als wären sie an den Beratungen nicht beteiligt gewesen. Hier mangelte es an einer öffentlichen Übernahme politischer Verantwortung durch die Regierungen und sowie einer intensiven Einbeziehung der Parlamente. Außerdem gab das Mandat der Kommission den Mitgliedern unterschiedliche Spielräume, um ihre Interessen durchzusetzen. Die Throughput-Legitimität der KWSB ist insbesondere dadurch begrenzt, dass es für die Öffentlichkeit nur schwer nachvollziehbar ist, wie die Entscheidungen der Kommission zustande kamen und dass kaum Bemühungen unternommen wurden, die unterschiedlichen Vorerfahrungen und Ausstattungen der einzelnen Mitglieder auszugleichen. Im Bereich des Outputs ist die Gemeinwohlorientierung wegen der hohen Kosten des Beschlusses und der geringen klimapolitischen Ambition kontrovers.

Sowohl wegen der Struktur Deutschlands als korporatistischer Verhandlungsdemokratie als auch durch die zunehmende Parteienzersplitterung ist davon auszugehen, dass die Notwendigkeit verschiedene Gruppen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, nicht abnehmen wird. Deshalb sollen zum Schluss einige Optionen diskutiert werden, wie die Legitimität solcher Kommissionen erhöht werden könnte.

Folgt man der Vorstellung einer strikten Trennung von Politik und Wissenschaft bzw. einem dezisionistischen Modell, hätte die KWSB statt eines Lösungsvorschlages mehrere Szenarien erarbeiten sollen, zwischen denen dann gewählte Repräsentant*innen eine Auswahl hätten treffen können. Dadurch hätte sich die Inklusivität und Accountability verbessert. Dem steht allerdings eine vermutlich damit verbundene Ineffektivität des Entscheidungsprozesses entgegen. Auch ist die hier nachgezeichnete Verflechtung von Expertise und Legitimität im politischen Verhandlungsprozess so eng, dass die dezisionistische Trennung von wissenschaftlicher Empfehlung und politischer Entscheidung kaum aufrechterhalten werden kann, sondern immer neu diskutiert werden muss (vgl. Maasen und Weingart 2005; Collins und Evans 2002). Wie in Abschn. 3.2. beschrieben, haben sich die Positionen der beteiligten Gruppen in den letzten Jahren angenähert, so dass vor Beginn der Kommissionsarbeit bereits unterschiedliche Vorschläge vorlagen, die auf alle wesentlichen Aspekte in der Debatte eingehen. Es ist zu bezweifeln, dass die Kommission einen gegenseitigen Lernprozess hätte anregen können, der über diesen historisch gewachsenen Verhandlungsspielraum hinausgegangen wäre.

Die Mängel in der Input- und Throughput-Legitimität können das Instrument der Kommissionen insgesamt gefährden, entweder, weil die Bevölkerung Expert*innenkommissionen weniger Vertrauen entgegenbringt oder weil Teile der Mitglieder sich nach diesen Erfahrungen nicht erneut an einer vergleichbaren Kommission beteiligen könnten. Über eine Regulierung von Verfahrensabläufen könnte die Input- und Throughput-Legitimität erhöht werden. Eine solche fehlt bislang in Deutschland. Es könnten bestimmte Kriterien für die Zusammensetzung und Ausstattung von Kommissionen oder die Transparenz ihrer Arbeit festgelegt werden. Ähnlich wie auf der Ebene der EU sollte dabei ein reflexiver Ansatz gewählt werden, bei dem aus der Evaluation bestehender Praktiken gelernt wird. Dadurch können Fehladaptionen rechtzeitig adressiert werden. Dies erscheint vielversprechender als die starren Regeln, die beispielsweise der Federal Advisory Committee Act (FACA) in den USA seit 1972 vorgibt und die eher zu einer problematischen Politisierung von Kommissionen geführt haben (Brown 2008). An dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass jede weitergehende Formalisierung die Verbindlichkeit von Empfehlungen zu Lasten der Spielräume gewählter Repräsentant*innen reduziert.

Auf Basis einer repräsentativen Untersuchung des Legitimitätsglaubens der Bevölkerung kommt Giebler (2020) zu dem Schluss, dass direkte Bürgerbeteiligung als Entscheidungsmodus einen höheren Zuspruch besitzt als repräsentative oder expertokratische Verfahren. Entsprechend gäbe es eine Grundlage dafür auszuprobieren, welches Ergebnis ein zufällig ausgewählter Bürger*innenrat bei einem solch komplexen Thema erzielen würde (Goodin und Dryzek 2006). Anstelle einer Vertretungs- oder Repräsentationsfunktion, können zufällig in den Regionen ausgewählte und regelmäßig veranstaltete Bürgergremien die Stimmenvielfalt und lokale Anschlussfähigkeit der Entscheidungsprozesse bereichern, wobei dazu eine klare Mandatierung durch die involvierten Regierungen, eine professionelle Moderation sowie eine administrative Geschäftsstelle und fortlaufende Evaluation notwendig sind (Leggewie und Nanz 2016). Mit den von den Bürger*innen gemeinsam erarbeiteten Vorschlägen müsste sich – diesem Vorschlag folgend – das Koordinierungsgremium der betroffenen Kohleländer befassen, so dass Vorschläge etwa in die Landtage eingebracht oder verworfen werden können (Herberg et al. 2020). Eine weitere Möglichkeit bestünde darin ein Bürgerbeteiligungsverfahren vor- oder nachzulagern, so dass die von der Expertenkommission erarbeiteten Vorschläge durch eine Stichprobe der betroffenen Bürgerschaft kommentiert, ergänzt oder sogar priorisiert werden können.