Rezensionen zu:

Saskia Eschenbacher (2018). Transformatives Lernen im Erwachsenenalter. Kritische Überlegungen zur Theorie Jack Mezirows. Berlin: Peter Lang Verlag. 337 Seiten, 59,95 €, ISBN 978-3-631-76802‑0.

Sandra Bülow (2018). Entwicklung von Beratungskompetenzen im Pädagogikstudium. Eine empirische Untersuchung zur pädagogischen Professionalitätsentwicklung. Wiesbaden: Springer VS. 321 Seiten, 54,99 €, ISBN: 978-3-658-20072‑5.

1 Thomas Fuhr: Saskia Eschenbacher (2018). Transformatives Lernen im Erwachsenenalter. Kritische Überlegungen zur Theorie Jack Mezirows. Berlin: Peter Lang Verlag.

Die Theorie des Transformativen Lernens (TL) geht auf Jack Mezirow zurück, der an der Columbia University in New York gelehrt hat. Auf der Grundlage einer Studie zu Frauen, die Mitte der 1970er Jahre nach einer Familienzeit ein Studium aufgenommen haben, hat er untersucht, wie Lernen als Transformation von tiefsitzenden, habitualisierten Denkweisen (habits of mind) möglich ist. Zu diesen habits of mind gehören beispielsweise die Art und Weise, an Probleme heranzugehen, oder ethische und ästhetische Überzeugungen. Habits of mind werden im Kindes- und Jugendalter, der transformativen Phase, erworben und im Erwachsenenalter weiter ausdifferenziert. Sie können sich angesichts neuer Herausforderungen in einer sich wandelnden Umwelt jedoch auch als dysfunktional erweisen und müssen in diesem Fall transformiert werden.

Die Theorie des TL gehört zu den am besten erforschten Theorien des Lernens im Erwachsenenalter. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Theorie der „transformatorischen Bildung“, wie sie vor allem Hans-Christoph Koller (Bildung anders denken, 2008) vertritt, oder mit dem Begriff „transformative Bildung“, der in den vergangenen Jahren zunehmend als neues Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung diskutiert wird, aber bisher weder bildungstheoretisch noch lerntheoretisch fundiert ist.

Der vorliegende Band ist hervorragend als kritische Einführung in die Theorie des TL geeignet. Die Autorin analysiert die zentralen Herausforderungen, vor denen die Theorie derzeit steht, und zeigt auf, in welche Richtungen weitere Forschungen erforderlich sind.

Nach dem einleitenden Kapitel rekonstruiert Eschenbacher im zweiten Kapitel die von Mezirow ursprünglich vorgelegte Theorie. Hier wird vor allem herausgearbeitet, in welchen Schritten das TL typischerweise abläuft und welche Bedeutung der Reflexion und dem reflexiven Diskurs mit anderen zukommt.

Im dritten Kapitel stellt Eschenbacher die Rezeption und Weiterentwicklungen der Theorie systematisch vor. Hier geht es unter anderem darum, wie das transformative Lernen erforscht und evaluiert werden kann. Für Leserinnen und Leser, die selbst bildnerisch tätig sind – sei es in der Erwachsenen- und Weiterbildung, in Kontexten der community development und sozialer Aktion, in der arbeitsbezogenen Weiterbildung oder in der Hochschullehre – ist dieser Teil besonders interessant, denn Eschenbacher präsentiert eine Unmenge an Studien, in denen Methoden der Unterstützung transformativen Lernens vorgestellt und besprochen werden.

Kapitel vier und fünf rekonstruieren die Kritik und Weiterentwicklung der Theorie in chronologischer Perspektive, kulminierend in Untersuchungen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen TL und bildungstheoretischen Konzepten.

Nach Mezirow beginnt das TL in der Regel mit einem Dilemma oder einer Krise, die das Individuum zur Reflexion über seine habits of mind anregt. Die habits of mind können dann in einem Diskurs mit anderen transformiert, in einem längeren Prozess ausdifferenziert und in das eigene Handeln integriert werden. Um zu analysieren, in welcher Weise Diskurse zur Transformation beitragen können, bezieht sich Mezirow auf die Analysen von Jürgen Habermas zur idealen Sprechsituation. Hier liegt nach Ansicht der Verfasserin das größte Problem der Theorie. Denn Habermas’ Diskurstheorie bezieht sich auf den öffentlichen Raum, in dem nach Konsens in ethischen Fragen gestrebt werden soll; sie erklärt nicht, wie sich Individuen ändern können. Sie ist keine Theorie des Lernens. Außerdem wertet sie nicht-rationale Transformationen von habits of mind ab. Mezirow beharrt auf dem Ideal, dass Erwachsene ihre habits of mind in Diskursen mit anderen Menschen kritisch reflektieren, statt sie unkritisch beizubehalten oder sie unreflektiert zu ändern. Es wird hier, durchaus berechtigt, ein normatives Ideal der erwachsenen Person vertreten, die lebenslang nach Mündigkeit strebt. Nur ist Lernen eben kein rein rationaler Prozess. Die Person lebt in unhinterfragten Selbstverständlichkeiten von Lebenswelten, in die sie nicht rational eingebettet ist, sondern emotional, leiblich, sozial und handelnd. Deshalb ist das individuelle Lernen auf gesellschaftliche Fluidität angewiesen, so wie Mitte der 1970er Jahre, als die von Mezirow untersuchten Frauen ihre genderbezogenen habits of mind im Rahmen neuer gesellschaftlicher Diskurse zu Geschlecht und Gender transformiert haben.

Zudem weist Eschenbacher mit Richard Rorty darauf hin, dass Wissen unsicher und deshalb gegenüber Konsens Skepsis angebracht ist. Mit Zygmunt Bauman meint sie zudem, die Suche nach Konsens führe eher zu neuem Dissens statt zu Konsens. Mezirow hat sich gegen diese postmoderne Kritik immer gewehrt. Es wäre aber an der Zeit, die Erkenntnistheorie des TL kritisch weiterzuentwickeln. Gerade dann, wenn man nach Hinweisen sucht, wie ein transformierender Diskurs pädagogisch gestaltet werden kann, braucht es Wissen darüber, was überhaupt das Ziel eines Diskurses sein kann.

2 Marc Weinhardt: Sandra Bülow (2018). Entwicklung von Beratungskompetenzen im Pädagogikstudium. Eine empirische Untersuchung zur pädagogischen Professionalitätsentwicklung. Wiesbaden: Springer VS.

Die Studie von Sandra Bülow zur Entwicklung von Beratungskompetenzen im Pädagogikstudium behandelt ein prominentes Thema: Über Beratung wird ständig gesprochen, sie wird in allen pädagogischen Angeboten und Maßnahmen als Querschnittsaufgabe erwartet und zudem in einem sich ständig weiter ausdifferenzierenden Beratungswesen als thematisch oder methodisch fokussiertes Unterstützungsangebot erbracht. Erst seit einiger Zeit lässt sich eine in erziehungswissenschaftlicher Breite und Tiefe entfaltete Forschung darüber, wie (angehende) pädagogische Fachkräfte Beratungskompetenzen erwerben und wie sich diese Professionalisierungsprozesse erfassen und modellieren lassen, beobachten.

Im Zuge der zunehmenden Akademisierung von Beratung verlagern sich diese Fragen dabei naturwüchsig auf die gesamte Spanne des Lebenslangen Lernens und werden seit einiger Zeit vor allem hinsichtlich der bereits im Studium ablaufenden Professionalisierungsprozesse bearbeitet. Die Studie von Sandra Bülow leistet genau hierzu einen Beitrag im Kontext von Beratung als erwachsenenpädagogische Kompetenz. Sie entwickelt Instrumente zur (auch längsschnittigen) Erfassung von beraterischen Professionalisierungsprozessen, die exemplarisch am Beispiel der untersuchten Ausbildung von Lernberaterinnen und -beratern zum Einsatz kommen und Auskunft über dort stattfindende Lern- und Bildungseffekte geben. Erfreulich an der Studie ist dabei, dass Forschungsfragen und -ergebnisse konsequent hinsichtlich ihrer Bedeutung für die institutionelle und organisationale Ausgestaltung von Professionalisierungsangeboten für Beratung befragt werden und so für eine empirische Vergewisserung des Beratungsfeldes nützlich sind.

Der klare Aufbau des Buches bietet Leserinnen und Lesern zunächst eine Standortbestimmung hinsichtlich der theoretischen und empirischen Vergewisserung über Beratungskompetenzen in der Erwachsenenbildung, die eingebettet wird in die übergeordneten Diskurse pädagogischer Professionalisierung einerseits sowie der Umstellung auf Kompetenzorientierung andererseits. Deutlich wird, dass Beratung als Handlungsform und Gegenstand von Professionalisierungsforschung besonders herausfordernd ist, weil der Diskurs stark parzelliert und, gemessen an anderen Handlungsformen (z. B. dem Unterrichten), durch große Ungleichzeitigkeit in Tiefe und Breite der empirischen Beschäftigung gekennzeichnet ist.

Im anschließenden empirischen Zugang fokussiert die Studie auf drei Fragen, nämlich erstens, inwiefern Professionalitätsentwicklung bei (angehenden) Erwachsenen- und Weiterbildnerinnen und Weiterbildnern gefördert werden kann, zweitens, mit welchem Forschungsdesign sich eine solche vermutete oder intendierte Entwicklung erfassen lässt und drittens, welche Effekte eine in das Studium integrierte Ausbildung zeitigt. Ein quasi-experimentelles Messwiederholungsdesign im Rahmen einer Videostudie mit simulierten Beratungsgesprächen, das mit überwiegend neu entwickelten standardisierten und qualitativen Erhebungsformaten (u. a. niedrig und hoch inferentes Beobachtungsinstrumentarium, Video-Stimulated-Recall-Interviews) realisiert ist, ermöglicht einen methodisch innovativen und breit angelegten Zugang sowohl zu den eigentlichen Lern- und Bildungsprozessen als auch deren Kontextbedingungen. Entsprechend differenziert stellen sich auch die so gewonnenen Ergebnisse dar, in denen Fremd- und Selbsteinschätzungen der Lernenden auf unterschiedlichen Ebenen kontrastiert werden und als nachweisbare Kompetenzzuwächse in der untersuchten Ausbildung auftreten.

Das Buch von Sandra Bütow ist gut zu lesen, der gewählte theoretische und empirische Zugang im Rahmen der Kompetenzorientierung stringent nachvollziehbar. Der Text ist aufschlussreich für Studierende der Erziehungswissenschaft und benachbarter sozialwissenschaftlicher Disziplinen, besonders aber für alle, die sich in Forschung und Lehre mit Beratungsprofessionalisierung befassen und daran interessiert sind, wie sich Handlungskompetenzen bereits in frühen Professionalisierungsstadien aufbauen lassen. Hochschullehrende sowie Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildnern können hier von zahlreichen Anregungsimpulsen der Studie profitieren, gerade weil der gewählte Zugang über die Simulation von Beratungsgesprächen Lehre und Forschung handlungswissenschaftlich konsistent verbindet, deren oft vermisste akademische Einheit für Beratung auf diesem Weg herstellt und an aktuelle Entwicklungen in der Beratungsforschung anschließt.