Interindividuell unterschiedliches Ansprechen auf Arzneimittel ist eine fortwährende Herausforderung der Medizin. Der Begriff der Pharmakogenetik ist definiert als der Einfluss genetischer Eigenschaften auf die Pharmakodynamik (Wirkqualität und -stärke), die Pharmakokinetik (Geschwindigkeit der Aufnahme, Metabolisierung und Ausscheidung) von Arzneistoffen sowie auf das Risiko von Überempfindlichkeitsreaktionen. Entsprechend des deutschen Gendiagnostikgesetzes bezieht sich die pharmakogenetische Diagnostik ausschließlich auf genetische Eigenschaften von Keimbahnvarianten [1]. Mit Ausnahme von Krebserkrankungen und Infektionen trifft dies für die meisten Erkrankungen zu. Hiervon abzugrenzen sind somatische Varianten in Tumorgewebe, deren Berücksichtigung maßgeblich zur stratifizierten Therapie im Rahmen der Companion Diagnostics in der Onkologie beiträgt. Bei Krebserkrankungen können sowohl erbliche wie auch somatische Varianten Wirksamkeit und Verträglichkeit von onkologischen Arzneimitteln beeinflussen.

Frühe Konzepte der Pharmakogenetik gingen mit der hohen Erwartung einher, dass die Berücksichtigung von Keimbahnvarianten, insbesondere von solchen, die die Pharmakokinetik beeinflussen, signifikant zur Erklärung und Lösung der Probleme interindividueller Variabilität der unterschiedlichen Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneistoffen beitragen könnte [2]. Tatsächlich konnten für eine Reihe von Arzneistoffen genetische Varianten identifiziert werden, die signifikant mit dem Ansprechen assoziiert sind. Allein 20 Gene beeinflussen die Wirkung von 80 Arzneistoffen. Diese entsprechen 7 % der in den USA verschriebenen Medikamente, die alleine einen Anteil von 18 % der Verschreibungen ausmachen [3]. In den letzten Jahrzehnten ist es jedoch auch zunehmend klar geworden, dass die Situation für eine Vielzahl von Medikamenten wesentlich komplexer ist. Die moderne Pharmakogenomik bezieht sich nicht nur auf häufige Keimbahnvarianten, sondern auf komplexe molekulare Eigenschaften, die die Pharmakokinetik und -dynamik von Arzneistoffen und somit deren Wirksamkeit und Sicherheit beeinflussen können. Diese inkludieren die Konsequenzen multipler (auch seltener) genetischer Variation sowie den Einfluss der Epigenetik auf die Genexpression und -funktion [4, 5].

Für bestimmte Medikamente bestehen zunehmend Bemühungen, die Kenntnisse der Pharmakogenetik in die klinische Praxis zu translatieren und für Patienten nutzbar zu machen. Hier stellen sich mehrere Fragen:

  1. a)

    Welche Bedeutung hat ein genetisches Merkmal für die Wirkung und Verträglichkeit eines Arzneimittels, z. B. drohen lebensbedrohliche Nebenwirkungen, sind diese eher tolerierbar oder ohne Folgen oder aber bleibt die Wirkung als Folge der Variante aus?

  2. b)

    Auf welchem Evidenzniveau beruht die Datenlage, z. B. beruhen die Erkenntnisse auf prospektiven oder retrospektiven Studien oder aber auf einzelnen Fallbeobachtungen?

  3. c)

    Fließen die Erkenntnisse in Algorithmen klinischer Entscheidungshilfen („clinical decision support“) ein und was sind die Konsequenzen, z. B. muss oder sollte das Medikament vermieden werden und wenn ja, was ist die Alternative? Sollte die Dosis angepasst werden, und wenn ja, wie?

  4. d)

    Ist die pharmakogenetische Diagnostik aus medizinischen Gründen zwingend, empfehlenswert oder rein informativ („nice to know“)?

  5. e)

    Gibt es Alternativen zur Genotypisierung wie z. B. therapeutisches Drug Monitoring oder sind überhaupt andere Überwachungsmaßnahmen wie Blutbildkontrollen bei möglichen Überempfindlichkeitsreaktionen vermeidbar?

  6. f)

    Ist es nicht vielmehr langfristig anzustreben, wichtige pharmakogenetische Merkmale präemptiv zu bestimmen und die Kenntnis individueller Eigenschaften im Bedarfsfall umgehend anzuwenden?

Die im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit arbeitende Gendiagnostik-Kommission (GEKO) hat kürzlich eine „Richtlinie für die Beurteilung genetischer Eigenschaften hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Wirkung eines Arzneimittels bei einer Behandlung gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 1b GenDG“ verabschiedet [6]. Diese richtet sich an Ärztinnen und Ärzte, die eine genetische Untersuchung mit dem Zweck der Abschätzung der Wirksamkeit und Verträglichkeit der individuellen Arzneimitteltherapie durchführen. Sie schließt auch eine Ursachenabklärung bei Verdacht einer vorhandenen unerwünschten Arzneimittelwirkung oder nicht ausreichendem Ansprechen ein. Zum Verständnis ist es wichtig zu bemerken, dass diese Richtlinie nicht der Nutzenbewertung im Sinne einer leistungsrechtlichen Bewertung genetischer Diagnostik zum Zweck des Nachweises pharmakogenetischer Eigenschaften dient, sondern vielmehr Definitionen über Bedeutungsstufen pharmakogenetischer Eigenschaften vornimmt und diese anhand von Beispielen illustriert. Hiernach werden unterschieden:

  • sehr hohe Bedeutung

  • hohe Bedeutung

  • moderate oder geringe Bedeutung

In Anlehnung an die ACCE-Kriterien (der Name ACCE beruht auf den vier Hauptkriterien der Bewertung genetischer Tests „analytic validity, clinical validity, clinical utility and associated ethical, legal and social implications“ im Rahmen der genetischen Epidemiologie) [7], resultieren die Bedeutungsgrade aus der Effektgröße der genetischen Eigenschaft auf die Arzneistoffwirkung bzw. -nebenwirkung und aus der zugrunde liegenden wissenschaftlichen Evidenz (Abb. 1). Ein wesentlicher Beitrag zur Identifizierung von Gen-Arzneistoff-Kombinationen, die der Optimierung von Behandlungsoptionen dienen, wurde durch das amerikanische Clinical Pharmacogenetics Implementation Consortium (CPIC) [8] des Pharmacogenetics Research Network erarbeitet [9]. Eine Übersicht zu gegenwärtig 352 Gen-Arzneistoff-Paaren mit Angabe der Evidenzlevel durch CPIC bzw. der Pharmacogenetics Knowledge Data Base PharmGKB findet sich frei zugänglich unter [10]. Zu diesen Gen-Arzneistoff-Paaren sind gegenwärtig 34 Empfehlungen zur Genotyp geleiteten Änderung der Verschreibung publiziert worden.

Abb. 1
figure 1

Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission (GEKO) für die Beurteilung genetischer Eigenschaften hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Wirkung eines Arzneimittels bei einer Behandlung [6] gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 1b GenDG [1]. Schematische Eigenschaften hinsichtlich ihrer Bedeutung bei der Anwendung von Arzneimitteln unter Berücksichtigung der vorhandenen wissenschaftlichen Evidenz für die genetische Assoziation (Gen-Arzneimittel-Interaktion) einerseits und den Effekt dieser Eigenschaft bei Variantenträgern andererseits.* PharmGKB „Levels of Evidence“ [9]. Beispiele finden sich in Tab. 1

Beispiel eines pharmakogenetischen Merkmals mit sehr hoher Bedeutung

Ein etabliertes Beispiel ist das der Assoziation von HLA-B*5701 mit einer schweren Überempfindlichkeit gegen den nukleosidischen reverse Transkriptase-Inhibitor Abacavir bei HIV. Das Oberflächenmerkmal hat eine Prävalenz in Europa von 5–7 %. Ohne genetisches Screening besteht ein 6 %iges Risiko, eine schwere Hautreaktion bis hin zum Steven-Johnson-Syndrom zu erleiden. Bei Vorliegen des Merkmals besteht jedoch ein mindestens 50 %iges Risiko, während bei Abwesenheit das Risiko sehr gering ist, der negative prädiktive Wert beträgt 98–99 %. HLA-B*5701 ist somit ein prognostischer Biomarker, der für die sichere Therapie entscheidend ist [11]. Entsprechend der deutschen Fachinformation abacavirhaltiger Arzneimittel muss der HLA-Status vor Therapie dokumentiert werden und die Abacavirtherapie sollte bei Vorliegen des Merkmals nicht eingeleitet werden [12]. Gleichlautende Warnhinweise sind von der US-amerikanischen Food and Drug Administration FDA verfügt worden. HLA-B*5701 stellt somit ein genetisches Merkmal von sehr hoher Bedeutung da, welches weitreichende therapeutische Konsequenzen für die Therapie mit Abacavir hat. Das Evidenzlevel der CPIC-Empfehlung [11] entspricht dem höchsten Level A (Tab. 1).

Tab. 1 Klassen der Bedeutung pharmakogenetischer Merkmale für die Pharmakotherapie (siehe auch Abb. 1): Beispiele anhand der GEKO-Richtlinie zur pharmakogenetischen Diagnostik [6]. Die Angabe der Häufigkeit bezieht sich auf die Prävalenz homozygoter Träger der niedrig bzw. nicht aktiven Varianten in der europäischen Bevölkerung. Für HLA-B*5701 ist die Prävalenz von Trägern des Merkmals angegeben. Evidenzlevel des CPIC-Konsortiums beziehen sich auf die Bedeutung des pharmakogenetischen Merkmals für das spezifische Arzneimittel [10]

Beispiele von pharmakogenetischen Markern hoher Bedeutung

In diese Klasse fallen hereditäre Merkmale, die ebenfalls mit einem erheblichen Risiko unerwünschter Wirkungen assoziiert sind. Durch Monitoring wie regelmäßige Blutbildkontrollen, phänotypische Bestimmungen oder andere klinische Beobachtungen ist jedoch das Risiko oftmals besser beherrschbar.

Als Beispiel dieser Kategorie führt die GEKO das Phase-II-Enzym Thiopurin-S-methyltransferase (TPMT) an, das in die Metabolisierung z. B. von Azathioprin und Mercaptopurin involviert ist. Homozygote Träger der nicht aktiven TPMT-Varianten (Nichtmetabolisierer) weisen in der deutschen Bevölkerung eine Häufigkeit von 1:180 auf [13]. Diese entwickeln bei normaler Dosierung einer Azathioprintherapie z. B. im Rahmen entzündlicher Darmerkrankungen oder kindlicher akuter lymphatischer Leukämie, regelhaft Leukopenien bis hin zur lebensbedrohlichen Panzytopenie. Die Genotypisierung der TPMT kann die fehlende Enzymaktivität mit hoher Zuverlässigkeit vorhersagen. Bei Fehlen der Aktivität wird entsprechend der CPIC-Empfehlungen eine Reduktion der Startdosis um 90 % empfohlen, um die bedrohlichen Nebenwirkung zu vermeiden [14, 15] (CPIC-Evidenzlevel A, Tab. 1). Neben der Genotypisierung kann die Bestimmung der TPMT-Enzymaktivität auch laborchemisch ex vivo an Erythrozyten bestimmt werden. Voraussetzung ist, dass zuvor keine Bluttransfusion vorgenommen wurde. Zu beachten ist ebenfalls, dass auch Arzneimittelwechselwirkungen eine Hemmung der TPMT-Aktivität bewirken können. Die deutschen Fachinformationen weisen derzeit in den Warnhinweisen auf die mögliche TPMT-Defizienz hin, anders als bei Azathioprin muss aber der Genotypstatus nicht dokumentiert werden. Es wird vielmehr auf die Notwendigkeit engmaschiger Blutbildkontrollen hingewiesen, die frühzeitig Hinweise auf eine beginnende Leukopenie geben können [16].

Ein anderes Beispiel von genetischen Varianten, die Einfluss auf die Pharmakotherapie haben können, sind Enzyme des Cytochrom-P450-(CYP)-Systems, die maßgeblich an der Metabolisierung von Antidepressiva und Antipsychotika beteiligt sind. Trizyklische Antidepressiva wie Amitripytlin, Nortriptylin oder Imipramin werden überwiegend durch das polymorphe CYP2D6 und CYP2C19 metabolisiert. Da genetische Varianten in diesen Enzymen zum kompletten Aktivitätsverlust bzw. Genduplikationen zur erheblichen Aktivitätssteigerung führen können, haben diese sehr starken Einfluss auf die Pharmakokinetik dieser Antidepressiva. Eine große Zahl von Publikationen weisen auf entsprechende Assoziationen zum vermehrten Auftreten von unerwünschten Wirkungen bzw. Ausbleiben des Ansprechens hin [17]. Die CPIC-Empfehlungen schlagen bei Anwendung von Trizyklika und gleichzeitigem Vorliegen des CYP2D6 „poor metabolizer“ Status (Häufigkeit 7–10 % der europäischen Bevölkerung) vor, das Medikament nicht zu verwenden oder aber die Dosis deutlich zu reduzieren und mittels Plasmakonzentrationsmessungen zu kontrollieren. Ähnliches gilt bei Vorliegen von Genduplikationen (Häufigkeit in Deutschland ca. 2 %), hier sollten keine Trizyklika verwendet werden oder aber die Dosis deutlich gesteigert und mittels Drug Monitoring kontrolliert werden. Das Evidenzlevel für diese Empfehlungen wird als überzeugend („strong“) angegeben [18], während die Empfehlungen für Intermediate Metabolizer das Evidenzlevel „moderat“ aufweisen. Insgesamt wird das Level A vergeben (Tab. 1). Es fehlen bislang jedoch prospektive randomisierte klinische Studien, die eine erfolgreiche Anwendung der Pharmakogenetik zum Nutzen des Patienten hätten nachweisen können. Ein Grund liegt möglicherweise in dem Umstand begründet, dass diese Substanzklasse heute aufgrund ihrer ausgeprägten anticholinergen Nebenwirkungen und daraus resultierenden Limitationen besonders bei älteren Patienten nur noch wenig angewendet wird. Aber gerade hier könnte Pharmakogenetik einen wichtigen Beitrag zur Optimierung der Auswahl und Dosierung leisten, da Trizyklika bei der Behandlung schwerer Depressionen von vielen Psychiatern als den Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI) überlegen angesehen werden.

Auch im kardiologischen Bereich gibt es zahlreiche Beispiele, bei denen Pharmakogenetik einen Einfluss auf die Pharmakokinetik hat. Im Rahmen der Therapie des Vorhofflimmerns oder tiefer Beinvenenthrombosen wird in vielen Staaten u. a. den USA, Kanada, Großbritannien, Schweden, Russland u. v. a. der Vitamin-K-Antagonist Warfarin noch als präferenzielles Mittel zur Antikoagulation angesehen. In Abhängigkeit des Genotyps des Vitamin K-Oxidoreduktasekomplexes 1 (VKORC1, Allelfrequenz 39 %) und von CYP2C9 (Häufigkeit der Langsam-Metabolisierer in Europa 2–3 %) ändert sich die – auch von der FDA – empfohlene Dosis um den Faktor 10 [19] (CPIC-Evidenzlevel A). Die Anwendung von Algorithmen zur besseren Einstellung wurde in zwei großen prospektiven, kontrollierten Studien geprüft. Während das europäische Konsortium einen Vorteil im mittels Pharmakogenetik angepassten Studienarm nachweisen konnte (es verminderten sich z. B. signifikant schwere Blutungsereignisse bei einer INR [international normalized ratio] >4) [20], zeigte sich in der nordamerikanischen Studie kein Unterschied [21]. Die Autoren dieser Studie begründeten dies später dahin gehend, dass die unterschiedlichen Ethnien nicht berücksichtigt wurden und Schwarze sogar eher zu Nachteilen tendierten. Ob das um acht Tage schnellere Erreichen des Ziel-INR-Wertes in der europäischen Studie tatsächlich langfristig einen Vorteil darstellt, bleibt abzuwarten.

Derzeit in der Diskussion ist auch die Nutzung der Pharmakogenetik bei der Anwendung von Clopidogrel, einem Prodrug, das erst durch Cytochrom-P450-Enzyme in aktive Metabolite überführt werden muss. Diese Aktivierung erfolgt nur zu einem kleineren Anteil, CYP2C19 hat hier einen entscheidenden Anteil. Obwohl der Anteil des CYP2C19-Genotyps an der Gesamtvariabilität der Thrombozytenaggregationshemmung lediglich 5–12 % beträgt, scheinen CYP2C19-Langsam-Metabolisierer (Häufigkeit in Deutschland 2–3 %) retrospektiv ein höheres Risiko von Stent-Rethrombosen aufzuweisen [22]. Die Aktivität von CYP2C19 kann auch durch Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen vermindert werden; weitere phänotypische Parameter tragen zur Variabilität der Bioverfügbarkeit und Pharmakodynamik bei. Kardiologische Fachgesellschaften üben daher bislang große Zurückhaltung, den CYP2C19-Genotyp im klinischen Behandlungskonzept zu berücksichtigen. In großen prospektiven Studien in den USA wird gegenwärtig der Nutzen überprüft und im Rahmen von pharmakogenetischen Panelanalysen die Assoziation von Clopidogrelverschreibung, CYP2C19-Genotyp und Auftreten kardialer Ereignisse mittels Daten aus elektronischen Krankenakten untersucht (CPIC-Evidenzlevel A) [23].

Die Diskussion um Clopidogrel und CYP2C19, welches zu den „drugable genes“ zählt [3], ist beispielhaft für die Frage, unter welchen Umständen pharmakogenetische Information genutzt werden sollte. Sollte der Patient erst dann typisiert werden, wenn die Therapie notwendig erscheint, oder wäre es nicht vielmehr sinnvoll, präemptiv pharmakogenetische Merkmale zu bestimmen, um im Falle der Notwendigkeit sofort auf diese Information zurückgreifen zu können? Sehr häufig muss bereits sofort bei Diagnosestellung des medizinischen Problems mit der Medikation begonnen werden, die spätere Anpassung der Dosis an den Genotyp wäre dann ggf. von wesentlich geringerem Wert, als gleich Auswahl und Dosis anzupassen.

Auf diesem Konzept bauen die CPIC-Empfehlungen auf [9]. Die Empfehlungen beruhen ausnahmslos auf der Annahme, dass der Genotyp bekannt ist. Sie dienen somit nicht als Aufforderung zur Genotypisierung.

Weitere pharmakogenetische Informationen in der Fachinformation

Aufgrund der bereits jetzt vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse nehmen Regulationsbehörden wie die FDA oder die European Medicines Agency (EMA) zunehmend pharmakogenetische Informationen in die Fachinformationen auf [24]. Im Jahr 2015 veröffentlichte die EMA eine Richtlinie zur Nutzung pharmakogenetischer Methoden im Rahmen der Pharmakovigilanz [25]. Diese basieren im Wesentlichen auf etablierten Biomarkern, die eine klare Assoziation mit der Arzneistoffwirkung und Sicherheit aufweisen. Eine EMA-Richtlinie zur „Guten pharmakogenetischen Praxis“ und ICH (International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Pharmaceuticals for Human Use) E16 ist in ihrer Entwicklung weit fortgeschritten.

Die FDA „table of pharmacogenomic biomarkers in drug labeling“ weist gegenwärtig an die 200 Arzneistoff-Gen-Paare auf [26]. Der größte Teil bezieht sich auf Onkologika, deren Wirksamkeit wesentlich von der An- bzw. Abwesenheit von genetischen Varianten in den Genen des Zielproteins abhängt. Bei nahezu der Hälfte handelt es sich um Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI), zwei hiervon – Nilotinib und Pazopanib – weisen zusätzliche Informationen zur UDP-Glukuronosyltransferase 1A1 (UGT1A1) auf, einem konjugierenden Phase-II-Enzym mit genetisch bedingt variabler Aktivität. Weitere Beispiele von gelisteten Onkologika, die einem polymorphen Stoffwechsel unterliegen, sind die aktiven Metabolite des Topoisomerase-Inhibitors Irinotecan, die wie die oben genannten Tyrosinkinase-Inhibitoren Nilotinib und Pazopanib über UGT1A12 glukuronidiert werden, sowie 5‑Fluoruacil, welches im Rahmen der Behandlung von Kolonkarzinomen eingesetzt und durch die Dihydropyrimidindehydrogenase (DPH) detoxifiziert wird. Varianten treten in der deutschen Bevölkerung zwar mit weniger als einem Prozent auf, hier bestehen jedoch große ethnische Unterschiede [27]. Somit werden in der FDA-Datenbank pharmakogenetische Angaben nur für einige Arzneistoff-Gen-Paare bezüglich arzneistoffmetabolisierender Enzyme gemacht, bei denen eine hohe Evidenz z. B. bezüglich des Toxizitätsrisikos und Nicht- bzw. Langsam-Metabolisierer-Status bestand.

Pharmakogenetische Marker von moderater oder geringer Bedeutung

Ein typisches Beispiel für bislang inkonsistente Daten zur Assoziation der Wirkung eines Arzneimittels mit genetischen Merkmalen ist das P‑Glykoproteins (P-gp), das durch das ATP-binding cassette B1(ABCB1)-Gen kodiert wird. Es gibt Hinweise aus verschiedenen In-vivo- und In-vitro-Studien, dass bestimmte Varianten (Häufigkeit bis zu 50 %) mit geringerer Expression assoziiert zu sein scheinen. Die Beobachtungen sind jedoch teils widersprüchlich und teils auch nicht reproduzierbar. Für die Pharmakokinetik von P‑gp-Substraten wie Ciclosporin oder Talininol im Plasma kann anhand der gegenwärtigen Datenlage keine Signifikanz abgeleitet werden. Indirekt gibt es Hinweise, dass der Dosisbedarf von Opioiden wie Morphin ABCB1-genotypabhängig ist, was auf eine Bedeutung der ABCB1-Expression an der Bluthirnschranke hindeuten würde. Auch gibt es, wenn auch wiederum inkonsistente Hinweise für eine Assoziation von ABCB1-Varianten für das Ansprechen von Zytostatika bei Leukämien. Eine Vorhersage des Effekts lässt sich jedoch nicht bzw. nicht mit ausreichendem positiven prädiktiven Wert vorhersagen. Eine Genotypisierung erscheint daher gegenwärtig im Zusammenhang mit einer Arzneitherapie nicht sinnvoll [28]. Das CPIC-Evidenzlevel für Morphin und ABCB1 wird mit C/D angeben (Tab. 1).

Umsetzung der Pharmakogenetik in die Praxis

Trotz der zunehmenden wissenschaftlichen Kenntnis wird pharmakogenetische Diagnostik im nicht-onkologischen Bereich bislang kaum angewendet. Ein wichtige Barriere sind derzeit nur unzureichend vorhandene Modelle für den Nutzen im Rahmen der Gesundheitsversorgung. Entsprechend kam eine auf theoretischen Annahmen beruhende US-amerikanische Analyse, die den klinischen Nutzen der pharmakogenetischen Untersuchung, die Kosten der Screeninguntersuchung sowie Kosten in Bezug auf die Lebensqualität in ein Modell einfließen ließ, zu dem Schluss, dass die totalen Screeningkosten (inklusive Probenentnahme, Analyse, Interpretation und Befundübermittlung) eine Höhe von 50–150 US$ nicht überschreiten sollten, um ein wirtschaftliches Kosten-Nutzen-Verhältnis zu ermöglichen [29]. In einem systematischen Übersichtsartikel bezüglich ökonomischer Evaluierung pharmakogenetischen Testens zur Vermeidung unerwünschter Arzneimittelwirkungen kamen die Autoren zu dem Schluss, dass eine hohe Evidenz für die Kosteneffektivität der HLA-B*57:01-Testung vor Abacavir-, HLA-B*15:02 und HLA-A*31:01 vor Carbamazepin-, HLA-B*58:01 vor Allopurinol- und CYP2C19 vor Clopidogrelbehandlung vorliegen würde. Bezüglich TPMT vor Gabe von 6‑Mercaptopurin oder Azathioprintherapie, CYP2C9 und VKORC1 vor Warfarin sowie MTHFR vor Methotrexatbehandung bzw. Faktor V-Leiden vor der Gabe oraler Kontrazeptiva, sei die Evidenz dagegen noch nicht gefestigt. Als Beispiel einer nachweislich nicht kosteneffektiven pharmakogenetischen Diagnostik wurde das Testen von A1555G im Rahmen der Verschreibung von Aminoglykosiden genannt [30].

Fazit für die Praxis

Der Nachweis der klinischen Evidenz sowie des Nutzens ist entscheidend für die erfolgreiche und nachhaltige Implementierung der pharmakogenetischen Diagnostik in die klinische Praxis. Ein unreflektiertes Angebot pharmakogenetischen Screenings ohne nachgewiesene medizinische Relevanz könnte den Bemühungen dagegen eher entgegenwirken. Es ist daher eine sorgfältige Abwägung zwischen bedeutungsvollen genetischen Merkmalen und solchen, die lediglich der Information dienen, vorzunehmen. Regulation durch die Zulassungsbehörden, Berücksichtigung in klinischen Leitlinien, qualifizierte Diagnostik und Befundung sowie entsprechende Erstattungsmodelle sind Folgeschritte, die der weiteren Überprüfung bedürfen. Allgemein ist mit einer weiteren Abnahme der Kosten für die Diagnostik zu rechnen. Zusätzlich werden softwarebasierte klinische Entscheidungshilfen notwendig, die den Kliniker bei der Auswahl und Dosierung – auch unter Berücksichtigung der Komedikation und weiterer physiologischer Parameter unterstützen könnten. Den Anforderungen des Gendiagnostikgesetzes bezüglich der Aufklärung des Patienten und ärztlichen Beratungspflicht ist Rechnung zu tragen.

Für die Zukunft stellt sich die Frage, inwieweit präemptive pharmagenetische Diagnostik insgesamt einen Vorteil darstellen wird. Zurzeit besteht hier für viele Bereiche noch eine Evidenzlücke, sodass eine abschließende Bewertung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich erscheint. Gegenwärtig laufende Studien in mehreren Klinikzentren werden Antworten auf den Nutzen der auf Pharmakogenetik basierten Pharmakotherapie anhand konventioneller Genotypisierung liefern. Mehrere US-amerikanische Zentren wie auch europäische Konsortien führen Programme auf breiter Basis präemptiver Diagnostik im Rahmen der Ansätze der personalisierten Medizin durch; erste Daten zeigen, dass in Bezug auf die Medikation die Anzahl von „actionable“ Genen im behandelten Krankengut Anlass genug zur Intervention gibt.