FormalPara Schöneck, Nadine M., und Sabine Ritter (Hrsg.):

Die Mitte als Kampfzone. Wertorientierungen und Abgrenzungspraktiken der Mittelschichten. Bielefeld: transcript Verlag 2018. 348 Seiten. ISBN: 978-3-8376-4034‑2. Preis: € 29,99.

Die Bearbeitung von Fragestellungen rund um eine sogenannte „gesellschaftliche Mitte“ hat in den sozialwissenschaftlichen, aber auch in politischen und medienöffentlichen Debatten in den letzten Jahren einen vergleichsweise hohen Stellenwert eingenommen, wenn zum Beispiel ein (angebliches) Schrumpfen der Mitte beklagt wird, wenn die Mitte als gespalten wahrgenommen wird oder wenn die Wahl von Parteien wie der „Alternative für Deutschland“ (AfD) vor dem Hintergrund von vermeintlich mittelschichtenspezifischen Verunsicherungs- oder Radikalisierungsphänomenen erklärt werden soll.

Der konzeptionelle Rahmen des Sammelbandes setzt zunächst keine feinere Definition des doch sehr uneindeutigen Mittelschichtsbegriffs voraus, sondern überlässt es den zu Wort kommenden Autorinnen und Autoren, einen spezifischen Zugriff zu formulieren (S. 15). Hieraus ergibt sich zunächst eine gewisse Heterogenität der Beiträge, wenn neben einigen skizzenhaften oder einleitenden Darstellungen (Herfried Münkler, Berthold Vogel und in gewisser Weise auch Uwe Schimank) die Selbstzuschreibungen und Selbstdeutungen sowie die Sinngehalte von Mittelschichtsangehörigen thematisiert werden, wie dies bei Patrick Sachweh et al., Friederike Bahl, Patricia Pfeil et al., Gunter Weidenhaus und bei Miriam Schad und Nicole Burzan der Fall ist. Schließlich lassen sich Beiträge beobachten, bei denen gröbere Unterscheidungen entlang von Großgruppenkonzepten eine Rolle spielen. Hier lassen sich die Beiträge von Silke van Dyk, Christine Wimbauer et al., Judith Niehues, Holger Lengfeld und Jessica Ordemann sowie Ursula Dallinger ebenso einordnen, wie der auf transnational organisierte Ungleichheitsverhältnisse abzielende Beitrag von Cornelia Koppetsch und der von Stephan Lessenich. Letzterer interessiert sich, genauso wie Oliver Dimbath aber auch Marlon Barbehön et al., insbesondere für Akteure, die Mittelschichtserzählungen produzieren. Ein zentrales Element der meisten Darstellungen sind auch die spezifischen Abgrenzungspraktiken, die nicht zuletzt auch deswegen von Bedeutung sind, weil hier sowohl eine Stabilisierung bestehender Ungleichheitsverhältnisse als auch deren Neujustierung zur Debatte stehen können.

Der erste thematische Beitrag ist von Herfried Münkler und eher im Stil eines Essays gehalten. Münkler setzt sich mit verschiedenen Modellen politischer Ordnungskategorien auseinander und leitet in einer sehr stark aggregierten und eher unscharfen Argumentation tief verankerte politische „Mentalitäten“ der Deutschen von der vor allem von Mittelschichten gekennzeichneten Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland ab (S. 37 f.).

Der Beitrag von Berthold Vogel stellt vor allem den Stellenwert des (Sozial‑)Staates für unterschiedliche Lagen von Haushalten in den Mittelpunkt. Er weist – unter Rückgriff auf Dahrendorf und Lepsius – auf Binnendifferenzierungen in der gesellschaftlichen Mitte hin, die sich nicht nur über die Stellung im Produktionsprozess erklären lassen, sondern auch Ausdruck sozialstaatlicher Umverteilungsprozesse, der rechtlichen Rahmung von Transfer- und Sozialversicherungsleistungen sowie der Zuteilung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst sind.

Uwe Schimank entwickelt in seinem Beitrag eine Skizze, vor deren Hintergrund rechtspopulistischen Einstellungen in der gesellschaftlichen Mitte nachgegangen werden soll. Zu diesem Zweck entwirft er unter Rückgriff auf Bourdieu eine Typologie der Mittelschichten. Dann sollen Ungleichheitserfahrungen und kollektive Ungleichheitskonflikte aus einer historischen Perspektive analysiert werden. Dies erweist sich in der Bearbeitung in Teilen als sehr grob und Schimank kommt gelegentlich ohne empirische Belege oder genaue Literaturangaben aus.

Patrick Sachweh, Sarah Lenz und Deborah Eichner sind in ihrem Beitrag an einer Darstellung der sozialen Selbstbilder von unteren, mittleren und oberen Klassen in der Bundesrepublik Deutschland interessiert, insbesondere weil sie davon ausgehen, dass diese als symbolische Ordnungssysteme funktionieren, mit denen – im Anschluss an Bourdieu – soziale Ungleichheitsstrukturen über Ein- und Ausschlüsse auf der Mikroebene reproduziert werden (S. 246).

Friederike Bahl positioniert sich gegen eine Krisenrhetorik, die eine „Krise der Mitte“ als gruppenübergreifendes Phänomen einer Verunsicherung konzeptualisiert, und weist insbesondere auf die Binnendifferenzierungen hin, die entlang von unterschiedlichen Copingstrategien verschiedener Berufsgruppen organisiert sind. Gerade Personen, die in Routinedienstleistungen erwerbstätig sind, sind weniger von einer Sorge um den eigenen Status als vielmehr von einer Statusfatalität betroffen, die zu Praktiken führt, die weniger auf sozialen Aufstieg und mehr auf Statuserhalt ausgerichtet sind (S. 262). Dies soll – auch generationenübergreifend – zu einer Stabilisierung sozialer Ungleichheitsverhältnisse führen. Sowohl bei Bahl als auch bei Sachweh et al. ließe sich im Dienst einer genaueren Zuordnung einwenden, dass sich Positionen im Gefüge sozialer Ungleichheit unter Berücksichtigung weitere Haushaltsmitglieder gegebenenfalls weniger eindeutig aus der Stellung im Produktionsprozess ableiten lassen, da hier auch weitere Einkommen erwirtschaftet werden oder Vermögenswerte vorhanden sind, daneben aber auch Restriktionen wie Verschuldungen, Arbeitslosigkeit oder Krankheiten in Haushalten eine große Rolle für soziale Positionierungen spielen können.

Patricia Pfeil, Marion Müller und Udo Dengel beschäftigen sich mit der Identitätsarbeit von Mittelschichtsangehörigen in Insolvenz. Hier werden zunächst Praktiken mittelschichtsspezifischer „Normalität“ im Bereich von Wohnen, Mobilität und Urlaubsreisen identifiziert, die von Mittelschichtsangehörigen in Insolvenz nicht mehr vollumfänglich bedient werden können. Als Reaktion darauf werden verschiedene Strategien von Identitätsarbeit als „doing Mittelschicht“ identifiziert, mit denen die Zugehörigkeit zur Mittelschicht trotz der finanziellen Belastungen auf der Ebene der Praktiken erhalten bleiben kann (S. 285).

Der Beitrag von Gunter Weidenhaus beschäftigt sich mit verschiedenen, im Kontext der Erwerbsarbeit formulierten, räumlichen und zeitlichen Konzepten von Angehörigen der Mittelschichten und kann auf Grundlage qualitativer Interviews zunächst zwei Idealtypen identifizieren. Einen vom Planungsimperativ gekennzeichneten linearen Typus mit einer konzentrischen Lebensraumkonstitution bei dem engere Sozialbeziehungen relevant sind. Ein weiterer mit der Flexibilisierung der Erwerbsarbeit in Verbindung gebrachter netzwerkartig-episodischer Typus, bei dem eher kurzfristige Projekte sowie posttraditionale Vergemeinschaftungsformen eine Rolle spielen.

Miriam Schad und Nicole Burzan interessieren sich für intergenerationale Muster der Statusreproduktion in Mittelschichten, insbesondere wenn Akteure es mit Statusirritationen zu tun haben. Hier wird auf Grundlage qualitativer Interviews in einem eher explorativen Zugriff dem Zusammenhang von Status und (familialen) Mentalitäten und intergenerational vermittelten Narrativen nachgegangen sowie unterschiedliche Copingstrategien bei Statusirritationen vorgestellt.

Sylke van Dyk beschäftigt sich aus der Perspektive eines poststrukturalistischen Forschungsprogrammes mit sozialstrukturellen und sozioökonomischen Ungleichheiten und zeigt den repressiven Charakter von gesellschaftlichen Normalitätskonstruktionen auf. Im Wandel von einem fordistischen zu einem postfordistischen Kapitalismus haben wir es mit einer Ausweitung von Normalitätskonzepten zu tun, die gleichzeitig neue Ausschlüsse produzieren. Es sind diese „unnützen Normalen“ (S. 209), die von einem flexibilisierten Kapitalismus weniger profitieren, deren Positionen – wenn auch gefühlt – unsicherer werden und die sich gegen die für einen Teil der erwerbstätigen Frauen und Migranten durchlässiger werdenden Normalitätskonzepte mit Ressentiments zur Wehr setzen.

Christine Wimbauer, Julia Teschlade, Almut Peukert und Mona Motakef stellen den Wandel von Paar- und Familienleitbildern seit den 1950er-Jahren dar und diagnostizieren zunächst, dass wir es mit einem Trend der Flexibilisierung von Rollenbildern zu tun haben, wobei Heteronormativität, Paarnormativität, binäre Geschlechtercodierung und die klassische „Kernfamilie“ immer noch eine große Rolle spielen. Wenig überraschend stellen sie fest, dass in der gesellschaftlichen Mitte sowohl Innovationen als auch traditionelle Leitbilder zu beobachten sind (S. 137).

Judith Niehues konzeptualisiert unter Berücksichtigung verschiedener relevanter Variablen ein Mittelschichtssegment in der Ungleichheitsstruktur der Bundesrepublik Deutschland. Dabei werden mithilfe der Daten des Sozio-oekonomischen Panels neben dem Einkommen und Vermögen auch Berufspositionen, Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse, aber auch sozialstaatliche Transfers- und Versicherungsleistungen sowie haushaltliche Umverteilungen berücksichtigt. Der Anteil dieser „soziokulturellen Mittelschicht“ (S. 56) am Ungleichheitsgefüge ist seit 1991 vor allem von Stabilität geprägt und lässt Zweifel an der Diagnose einer schrumpfenden Mittelschicht aufkommen.

Deutlich gröber und weniger belastbar fällt die Konzeptualisierung von Mittelschichten bei Holger Lengfeld und Jessica Ordemann aus, die ebenfalls mit dem Sozio-oekonomischen Panel arbeiten. Allein auf Grundlage der Berufsklassifikation (unter einem nicht näher begründeten Ausschluss einiger Selbstständiger, S. 73) und ohne Berücksichtigung der Haushaltsumgebung wird ein sechsstufiges Schichtsystem konstruiert. Die in dem Beitrag zu beantwortende Frage nach dem Stellenwert einer „Statuspanik in der Mittelschicht“ wird einzig über eine Sorge nach dem Arbeitsplatzverlust der erwerbstätigen Bevölkerung operationalisiert. Beim Versuch einer Deutung der zunächst ansteigenden, dann aber sich nach 2000 wieder reduzierenden Anteile von Sorgen um den Arbeitsplatz werden eine Reihe von Vermutungen in Anschlag gebracht, die sich aber nicht systematisch und widerspruchsfrei zu einer Erklärung zusammenführen lassen (S. 78 ff.).

Ursula Dallinger beschäftigt sich mit vermeintlichen politischen Folgen einer als „unzufrieden“ konzeptualisierten gesellschaftlichen Mitte und möchte sowohl den Wandel als auch den Zusammenhang von Gerechtigkeitsperzeptionen und Wahlabsichten darstellen. So entwickelt sie – nach einem Überblick über Konzepte der Sozialpolitikforschung und die politischen Interessen der Mittelschichten – einige Hypothesen, die eine differenziertere Analyse nahelegen (S. 101).

Cornelia Koppetsch untersucht, wie bestimmte sich widersprechende Vorstellungen von Heimat – einmal als im Sinne multipler Heimaten zu denkendes Konstrukt, bei dem sich Heimaten angeeignet werden können und daneben eine eher abgrenzende, exklusive „Heimat-als-Schicksal“-Konstruktion – mit je unterschiedlichen Praktiken des Ausschlusses operieren.

Stephan Lessenich lenkt den Blick auf die ungleichheitsrelevante Dimension von Mittelschichtserzählungen, insbesondere auch mit einer kritischen Würdigung einer Sozialstrukturanalyse, und kritisiert die verschiedenen Thematisierungen im Kontext der Mitte – von Schelskys nivellierter Mittelstandsgesellschaft, über den Beck’schen Fahrstuhleffekt bis hin zu Nachtweys „sozialer Moderne“ – als Element der Sicherung des Wohlergehens der Mehrheitsgesellschaft.

Marlon Barbehön, Marilena Geugjes und Michael Haus beobachten Mittelschichtskonzepte und Erzählungen in wissenschaftlichen Diskursen, aber auch in der medialen Repräsentation, in dessen Zusammenhang soziale Ungleichheitsverhältnisse durch Ein- und Ausschlüsse stabilisiert werden (S. 148).

Oliver Dimbath schließlich erkennt in der soziologischen Zeitdiagnostik sowohl auf der Ebene der Produzierenden als auch auf der der Rezipierenden (Medien‑)Öffentlichkeit einen gewissen Mittelschichten-Bias. Grundsätzlich können die Beiträge Dimbaths und Lessenichs als ein Plädoyer gelesen werden, die eigene Position im Forschungsprozess genauer zu reflektieren. Gerade wenn es um die Nennung von Ursachenlagen, Ungleichheitsverhältnissen, aber auch politischen Lösungen geht, ist es relevant, die verschiedenen Weltsichten und Lösungsvorstellungen des (auch globalen) Ungleichheitsgefüges zu berücksichtigen.

Insgesamt kann der Sammelband als ein Hinweis darauf gelesen werden, den Begriff der „Mittelschicht“ weniger als wissenschaftliche Analysekategorie zu verwenden und vielmehr eine feinere Definition der verschiedenen sozialen Lagen im Ungleichheitsgefüge der Bundesrepublik Deutschland anzustreben. Medial verwendete Begriffe, wie der einer „Mittelschicht“, müssen in der soziologischen Reflektion zunächst verkompliziert werden, um einen Zugriff auf sehr unterschiedliche Phänomene zu erhalten.