Kognitiv-behaviorale Online-Elterntrainings wie der ADHS-Elterntrainer (Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung) und das ADOPT-Online-Elterntraining (affektive Dysregulation – Optimierung von Prävention und Therapie) können von Familien mit Kindern mit Symptomen aus den Störungsbildern ADHS, oppositionelle Verhaltensstörung (OPP) oder affektive Dysregulation je nach Symptomausprägung und Diagnosevergabe im präventiven oder therapeutischen Setting genutzt werden, um kindliches Problemverhalten und negative Eltern-Kind-Interaktionen zu reduzieren.

Externale Störungen und affektive Dysregulation

Externale Verhaltensstörungen, zu denen ADHS und OPP zählen, gehören zu den häufigsten psychischen Störungen des Kindes- und Jugendalters [17, 24]. Zunehmend in den Fokus gerückt ist eine Gruppe von Kindern mit externalen Verhaltensauffälligkeiten, die sich durch intensive affektive und verhaltensbezogene Reaktionen auf negative emotionale Stimuli, durch eine sog. affektive Dysregulation, auszeichnet [18]. Betroffene Kinder zeigen eine anhaltend gereizte Stimmung, affektive Labilität und intensive Wutausbrüche. Im DSM 5 werden die Symptome bei entsprechend starker Ausprägung und anhaltender Dauer mit der disruptiven Affektregulationsstörung erstmalig als eigenständige psychische Störung aufgeführt, für die eine Prävalenz von 0,8–3,3 % berichtet wird [4]. Subklinisch ausgeprägte schwere Stimmungsschwankungen mit anhaltender Gereiztheit kommen allerdings deutlich häufiger vor und überschneiden sich mit externalen Störungen, Angststörungen und Depression [26]. Da affektive Labilität in der Kindheit als Prädiktor für spätere depressive Störungen und weitere psychische Störungen identifiziert wurde [29], ist die Entwicklung wirksamer Präventions- und Behandlungsmöglichkeiten von hoher klinischer Relevanz.

Ätiologische Modelle messen – neben personalen Faktoren wie Temperament und neuropsychologischen Besonderheiten – sozialen Faktoren eine besondere Bedeutung bei der Entstehung affektiver Dysregulation bei [22]. In der Interaktion mit Eltern, Gleichaltrigen und Erwachsenen außerhalb der Familie erwerben Kinder Emotionsregulationsstrategien und erproben diese Strategien im Hinblick auf die Erreichung individueller Ziele. Wenn Eltern selbst einen ungünstigen Umgang mit negativen Gefühlen aufweisen, dienen sie als Modell für das Erlernen maladaptiver Emotionsregulationsstrategien. In diesem Fall können sich aufschaukelnde dysfunktionale Interaktionsmuster zwischen Kind und Eltern entwickeln („coercive interactions“), die mit intensiven negativen Gefühlen auf beiden Seiten einhergehen und eine hohe Stabilität aufweisen.

Elterntrainings zur Behandlung von externalen Störungen

Kognitiv-verhaltenstherapeutische Elterntrainings (sog. „parent management trainings“, PMT) gelten als evidenzbasierter Therapiebaustein für die multimodale Behandlung von Kindern mit externalen Verhaltensstörungen [27]. Sie zielen darauf ab, auf der Basis einer warmherzigen, wertschätzenden Eltern-Kind-Beziehung durch eine Veränderung von Situations- und Verstärkerbedingungen die elterliche Steuerung und Lenkung kindlichen Verhaltens zu erhöhen. In Metaanalysen werden für PMT bei externalen Auffälligkeiten mittlere Effektstärken von bis zu d = 0,68 berichtet [3]. Im deutschen Sprachraum hat sich v. a. das Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten (THOP; [10]) und das davon abgeleitete Präventionsprogramm für expansives Problemverhalten (PEP; [23]) in einer Vielzahl von Studien als wirkungsvoll erwiesen. Klassische behaviorale Elterntrainings beeinflussen nur indirekt die kindliche Emotionsregulation, indem Eltern angeleitet werden, Regeln zu formulieren und deren Einhaltung durch positive Konsequenzen zu verstärken. Eine gezielte Verbesserung der intrapsychischen Emotionsregulation liegt dagegen nicht im Fokus dieser klassischen Elterntrainings. Für Kinder mit affektiver Dysregulation ist eine inhaltliche Erweiterung herkömmlicher kognitiv-verhaltenstherapeutischer Elterntrainings nötig, die das Kind und die Eltern zusätzlich beim Erwerb adaptiver Emotionsregulationsstrategien unterstützt. Achtsamkeitsbasierte, emotionsfokussierte Inhalte könnten hierfür eine Ergänzung darstellen [6].

Der Einsatz von Selbsthilfeprogrammen

Face-to-face-Elterntrainings werden von bestimmten Elterngruppen wie z. B. alleinerziehenden, berufstätigen Elternteilen mit mehreren Kindern, weniger gut angenommen [15]. Alternativ können Selbsthilfeprogramme bei der elternzentrierten Arbeit eingesetzt werden, die sich durch geringere Behandlungskosten und -barrieren auszeichnen [21], aber auch hohe Anforderungen an die Schriftsprachkenntnisse und Selbstmanagementfähigkeiten der Eltern stellen [19]. Über angeleitete Selbsthilfeprogramme, die gedruckte Elterninformationen und Telefonberatung kombinieren, konnten in randomisierten Kontrollgruppenstudien signifikante Effekte auf externale Auffälligkeiten des Kindes, die Erziehungskompetenzen der Eltern und die elterliche Selbstwirksamkeit gemessen werden [9, 20]. Einen möglichen Mediator für den positiven Effekt dieser Programme auf kindliche Verhaltensauffälligkeiten könnte die Reduktion dysfunktionaler elterlicher Attributionen darstellen.

Chancen von Online-Trainings für die Behandlung

Eine erfolgsversprechende Behandlungsalternative können auch Online-Trainings sein, die im Wartekontrollgruppendesign ähnlich hohe Effektstärken wie Face-to-face-Trainings aufweisen [1]. Entsprechende Studien beinhalten jedoch zusätzliche Termine mit den Familien z. B. zur Datenerhebung und Verstärkung der Teilnahme, die Einfluss auf das Nutzungsverhalten nehmen können. Online-Trainings können insbesondere als erste Intervention eines gestuften Behandlungskonzepts, zur Ergänzung einer Face-to-face-Behandlung oder zur Überbrückung von Wartezeiten und Versorgungslücken genutzt werden [28]. Es gibt jedoch auch Bedingungen, die eine sofortige psychotherapeutische Behandlung im Face-to-face-Setting erfordern und für die ein vorangestelltes Online-Training nicht ausreichen würde. Dies könnte beispielsweise bei einer drohenden Chronifizierung psychischer Störungen oder einer krisenhaften Zuspitzung mit drohender schulischer Exklusion oder Fremdunterbringung der Fall sein. Die Adhärenz wird definiert als das Ausmaß, in dem Teilnehmende das Online-Training im vereinbarten Umfang nutzen. In einer Metaanalyse wurde für Online-Trainings mit therapeutischem Kontakt eine durchschnittliche Adhärenz von 50 % ermittelt [16]. Einzelne nicht-angeleitete Online-Elterntrainings berichten für 7,5–22,8 % der Teilnehmenden eine vollständige Nutzung [5, 7]. Es finden sich Hinweise darauf, dass sich spielerische technische Features („gamification“) förderlich auf die Adhärenz auswirken [13].

Die Konzeption von Online-Elterntrainings für die Behandlung von Kindern mit externalen Störungen

Forschungsgruppen an der Universitätsklinik Köln und der Universität zu Köln haben Online-Trainings entwickelt, die Eltern von Kindern mit externalen Störungen unterstützen sollen. Die Wirksamkeit dieser Interventionen wird aktuell über randomisierte Kontrollgruppenstudien untersucht [8, 12].

Der ADHS-Elterntrainer

In Kooperation mit dem AOK-Bundesverband wurde auf der Grundlage des Therapieprogramms für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten (THOP) und eines davon abgeleiteten Selbsthilfebuches [11] ein Online-Selbsthilfeformat für Eltern von Kindern mit ADHS und oppositionellen Verhaltensstörungen entwickelt, das Eltern anonym und kostenlos nutzen können [25] (https://adhs.aok.de/zum-adhs-elterntrainer/). Im Online-Training erwerben Eltern Wissen über ADHS und lernen verhaltenstherapeutisch basierte Strategien, um Verhaltensprobleme ihres Kindes in der Familie zu reduzieren, die Eltern-Kind-Beziehung zu stärken und eigene Ressourcen zu aktivieren (Abb. 1).

Abb. 1
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Übersicht über die vier Trainingsbereiche des ADHS-Elterntrainers (Quelle: [31])

Im Trainingsbereich „ADHS – Was ist das?“ werden den Eltern wissenschaftlich fundierte Informationen zu ADHS vermittelt, die dysfunktionale Einstellungen dem Kind gegenüber verändern sollen. Im Trainingsbereich „Sich selbst nicht vergessen“ reflektieren die Eltern Belastungen und werden dazu angeregt, Ressourcen zu aktivieren und hilfreiche Strukturen im Alltag über Routinen und Wochenpläne zu etablieren. Im Trainingsbereich „Beziehung zum Kind stärken“ werden die Eltern dazu angeleitet, sich auf positive Eigenschaften des Kindes zu fokussieren, gemeinsam positiven Aktivitäten nachzugehen und das Kind über eine positivere soziale Integration und Erfolge zu stärken. Der größte Trainingsbereich „Verhaltensprobleme lösen“ setzt gezielt an Problemsituationen an, die von Eltern mit Kindern, die externale Verhaltensprobleme aufweisen, häufig als herausfordernd erlebt werden (Hausaufgaben, Medienzeit, Kinderzimmer aufräumen, Unruhe beim Essen, Ständiges Unterbrechen, Geschwisterstreit, Wutausbrüche). Anhand des nach persönlicher Relevanz frei wählbaren Problembereichs lernen Eltern videogeleitet sieben Schritte zur Problemlösung kennen: Problemanalyse, Identifikation des interaktionellen Teufelskreises, Aufstellen von Regeln, wirkungsvolle Aufforderungen, natürliche positive und negative Konsequenzen und Belohnungspläne. Dieses systematische Vorgehen kann für alle Problemsituationen durchlaufen werden.

Das ADOPT-Online-Elterntraining

Das ADOPT-Online-Elterntraining wurde als Teilprojekt „ADOPT Online“ des Verbundprojekts ADOPT entwickelt und richtet sich als erste Maßnahme einer gestuften Intervention an Eltern von Kindern mit affektiver Dysregulation [8]. Es erweitert die Inhalte des ADHS-Elterntrainers um weitere, mit denen Eltern die kindliche und auch ihre eigene Emotionsregulation verbessern sollen (Abb. 2).

Abb. 2
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Übersicht über die drei Trainingsbereiche des ADOPT-Online-Elterntrainings

Grawes Grundbedürfnismodell [14], welches eine möglichst ausgewogene Befriedigung der kindlichen Bedürfnisse nach Orientierung/Kontrolle, Bindung/Zugehörigkeit, Selbstwerterhöhung/-schutz und Lustgewinn/Unlustvermeidung vorsieht, dient hierbei als theoretische Grundlage. Kinder mit affektiver Dysregulation benötigen bei Eingrenzung, Anforderung oder Misserfolg Unterstützung im Umgang mit negativen Emotionen, um sich letztendlich als selbstwirksam und erfolgreich erleben zu können. Eine Befriedigung der Bedürfnisse nach Orientierung, Anerkennung und Selbstwirksamkeit setzt oftmals eine erfolgreiche Emotionsregulation voraus. Im Sinne einer Integration von Methoden der dritten, sogenannten „emotionalen Wende“ der Verhaltenstherapie in das Elterntraining sollen die Eltern zu einer achtsamen, d. h. aufmerksamen und akzeptierenden Haltung gegenüber Gefühlen angeregt werden.

Das ADOPT-Online-Elterntraining versucht, Eltern dieses Zusammenspiel über das Bild eines „dreibeinigen Hockers“ zu vermitteln: Damit das Kind stabil auf dem „Entwicklungs-Hocker“ sitzen kann, braucht dieser drei „gleichlange Beine“: Das Kind braucht (1) Unterstützung beim Umgang mit negativen Gefühlen, um sich als selbstwirksam und erfolgreich erleben zu können, erfährt durch (2) klare Strukturen und elterliche Lenkung Orientierung und fühlt sich (3) auf der Basis warmherziger Zuwendung sicher gebunden und unterstützt (Abb. 3).

Abb. 3
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Modularer Aufbau des ADOPT-Online-Elterntrainings: Ihr Kind stärken

Angelehnt an das Konzept des „mindful parenting“ [2] werden die Eltern im ADOPT-Online-Elterntraining in einer achtsamen Wahrnehmung eigener und kindlicher Gefühle unterstützt. Sie werden so zum einen angeleitet, eigene Reaktionsmuster früher zu erkennen und sich zum anderen in die kindliche Perspektive hineinzuversetzen. Hierfür können die Eltern Meditationsübungen nutzen oder ihr Kind achtsam in Alltagssituationen beobachten. Eltern von Kindern mit affektiver Dysregulation erleben aufgrund ungünstiger Emotionsregulationen und Erfahrungen von schwierigen Interaktionen mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst mehr negative Emotionen. Daher können die Eltern im ADOPT-Online-Elterntraining auch Strategien erlernen, mit denen sie sich selbst stärken. Neben dem Kind- und Elternmodul gibt es ein Edukationsmodul (Abb. 2).

Zentrale Intervention zur Verbesserung der Emotionsregulation ist der sog. „5-Schritte-Plan“ (Schritt 1: Stopp!, Schritt 2: Was fühle ich?, Schritt 3: Ich gehe liebevoll mit mir um., Schritt 4: Ich denke etwas Hilfreiches, Schritt 5: Ich tue etwas Hilfreiches). Er kombiniert eine achtsame Wahrnehmung eigener Gefühle mit einer selbstmitfühlenden, akzeptierenden Haltung und der Anwendung kognitiver und/oder verhaltensbezogener Emotionsregulationsstrategien ([30]; Abb. 3).

Umsetzung und Evaluation

Beide Elterntrainings können über PC, Tablet und Smartphone genutzt werden. Um die Motivation und Compliance der Eltern zu stärken, sind die Elterntrainer mit verschiedenen didaktischen Elementen ausgestattet: Über Videos, Text-Multis (Ausfüllfelder zur Beantwortung offener Fragen), Slider, Checklisten, Kalender und Erinnerungs-E-Mails sollen die Eltern dazu angeregt werden, das Training aktiv zu nutzen und den Alltagstransfer zu schaffen. Die modellhafte Aneignung der Inhalte wird dadurch unterstützt, dass die Eltern in den Modulen und Bereichen immer wieder auf die gleichen Beispielfamilien treffen. Inhalte werden über Bilder, Audios und Videos (sowohl gezeichnete Erklärvideos als auch Videos mit Schauspieler*innen) veranschaulicht. Um zur Selbstreflexion anzuregen, werden die Eltern an verschiedenen Stellen aufgefordert, ihre eigene Situation in Bezug auf den spezifischen Trainingsinhalt einzuschätzen. Darüber hinaus werden Übungen vorgeschlagen, welche im Trainer protokolliert und in einem privaten Bereich gespeichert werden können. Knappe Zusammenfassungen der einzelnen Themenbereiche können als Memokarten ausgedruckt werden.

Der ADHS-Elterntrainer steht Familien bereits online zur Verfügung. Falls die laufende ADOPT-Studie eine Wirksamkeit des ADOPT-Online-Elterntrainings belegen sollte, könnte auch hier eine Implementierung in die Routinebehandlung realisiert werden. Online-Trainings können hierbei als präventives Angebot, als niedrigschwelliges Selbsthilfeinstrument zur Überbrückung von Wartezeiten oder in Kombination mit einer Face-to-face-Behandlung eingesetzt werden [28]. Gleichzeitig stellen Online-Trainings hohe Ansprüche an Familien hinsichtlich personaler Ressourcen (Sprache, Selbstmanagement) und sozioökonomischer Strukturen. Familien, bei denen die eigenständige Aneignung von Inhalten eine große Hürde darstellt, könnten über ein ergänzendes telefonisches Beratungsangebot parallel zum Online-Selbsthilfetraining erreicht werden [9].

Fazit für die Praxis

  • Für die Behandlung von externalen Störungen bei Kindern sind „parent management trainings“ ein evidenzbasierter Behandlungsbaustein.

  • Bei affektiver Dysregulation benötigen betroffene Kinder und ihre Eltern zusätzlich Interventionen zur funktionalen Emotionsregulation.

  • Online-Selbsthilfetrainings wie der ADHS-Elterntrainer (https://adhs.aok.de) können präventiv im Selbsthilfeformat und im Rahmen einer Psychotherapie eingesetzt werden.