Wesentliche Beiträge dieser Ausgabe der Zeitschrift Gynäkologische Endokrinologie widmen sich soziokulturellen Aspekten der Frauengesundheit mit dem Fokus Zuwanderung. Damit soll zum einen Entwicklungen in der klinisch-praktischen Medizin der letzten Jahre Rechnung getragen werden. Zum anderen ermöglicht dies dem interessierten Leser und der interessierten Leserin, sich mithilfe der vier von ausgewiesenen Expertinnen und Experten erstellten Artikel einen Überblick über wesentliche Forschungsergebnisse, ethische Aspekte und praktische Handlungsempfehlungen zu verschaffen.

Weltweit hat die ökonomisch bedingte, aber auch die durch militärische Auseinandersetzungen hervorgerufene Migration in die westlichen Industrieländer stark zugenommen. In Deutschland als Zuwanderungsland und Aufnahmegesellschaft stellen Migrantinnen eine zunehmend heterogene Gruppe dar, denn inzwischen haben sich hier nicht nur verschiedene Migrantengenerationen niedergelassen, sondern auch die Herkunftsregionen und die Migrationsmotive der Migrantinnen sind vielfältig. Praxen und Kliniken mussten sich auf diese „multikulturelle Patientinnenrealität“ einstellen, es fand und findet eine quasi nichtorganisierte interkulturelle Öffnung medizinischer Einrichtungen statt.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Aspekten von Migration, Frauenheilkunde und Frauengesundheit wurde in Deutschland, auch in der Vergangenheit, dennoch als ein Randthema angesehen, obwohl ab Mitte der 1960er-Jahre die „Versorgung von Gastarbeiterinnen“ und die damit verbundenen Besonderheiten und Probleme Klinikwirklichkeit waren.

Die gesundheitliche Versorgung von Migrantinnen und Migranten stellt ein Gesundheitssystem meist vor besondere Herausforderungen. Kulturelle, sprachliche und andere Kommunikationsbarrieren können den Aufbau einer tragfähigen Arzt-Patientin-Beziehung, eine gute Verständigung und das erfolgreiche Erfassen des eigentlichen Anliegens des Patienten erschweren. Interkulturelles Wissen und interkulturelle Kompetenz, Empathie und das Hinterfragen eigener Positionen sind für die Bewältigung solcher Situationen erforderlich.

Der Beitrag von Theda Borde fokussiert auf die Themen Kommunikation und Sprache. Etwa 20 % der in Deutschland lebenden Bevölkerung haben aktuell einen sog. Migrationshintergrund. Bei einem Teil dieser Menschen muss man von Problemen im Bereich Sprache und Kommunikation ausgehen. Kommunikationsprobleme können beispielsweise zu unterschiedlichen Einschätzungen der Krankheitsschwere und der Dringlichkeit der Therapie führen. Die häufig im Praxis- und Klinikalltag praktizierte Vorgehensweise, Angehörige als „Ad-hoc-Dolmetscher“ zu nutzen, stellt zwar eine einfache Problemlösung dar, führt aber, wie Theda Borde in ihrem Beitrag u. a. ausführt, zum Verzerren, Filtern und Verschweigen von Informationen. Der Aufbau eines flächendeckenden Netzes von geschulten Dolmetschern/professionellen Sprachmittlern in der Bundesrepublik Deutschland, die durch die Kliniken und Praxen kostenfrei genutzt werden können, erscheint daher sinnvoll, ja dringend geboten.

Wenn Migrantinnen eine Arztpraxis oder ein Krankenhaus aufsuchen, dann ist neben medizinischer auch interkulturelle Kompetenz gefragt, denn sowohl die Medizin selbst als auch Krankheiten sind in ein kulturelles System eingebunden. Krankheits- und Behandlungsvorstellungen von Migranten sind u. U. ganz andere, als die des behandelnden, durch das naturwissenschaftlich ausgerichtete Studium und die europäische Sicht- und Denkweise geprägten behandelnden Arztes. In seinem Artikel geht Matthias David daher auf die Unterschiede in der sog. subjektiven Krankheitstheorie und mögliche kulturelle Unterschiede von Krankheitssymptomen am Beispiel einiger gynäkologischer Krankheitsbilder ein. Beeindruckend ist beispielsweise die häufigere Hyperemesis gravidarum bei Migrantinnen – ein Krankheitsbild, bei dessen Therapie gleichermaßen medizinische (somatische Verursachung der Übelkeit) und psychische Aspekte (ambivalente Gefühle im Zusammenhang mit der Schwangerschaft) einbezogen werden müssen.

Hartmut Kress fokussiert auf die Reproduktionsmedizin und die religiösen und ethischen Vorbehalte. Bekannt sind die ablehnende Haltung der römisch-katholischen Kirche und die zurückhaltende Haltung der evangelischen Kirche. Da bei den Patientinnen und Paaren die religiöse Gebundenheit sehr unterschiedlich ist, hat das nur geringe Auswirkungen auf die Behandlungshäufigkeit. Wissenswert ist die Haltung im Judentum und Islam zu Fragen der Reproduktion, wobei innerhalb des Islam die schiitische und die sunnitische Herangehensweise unterschiedlich sind. In der alltäglichen Medizin sollte dies dazu führen, dass der religiöse und ethische Hintergrund der Patientinnen und Paare ein wichtiger Bestandteil in der Entscheidungsfindung sind.

Herta Seyler geht sehr detailliert auf die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen auf der Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes ein. Wichtig für die Praxis ist der Hinweis, dass diejenigen Patientinnen und Patienten, die geduldet oder bereits 15 Monate im Asylverfahren sind, Leistungen nach regulärer gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) erhalten können. Alle Flüchtlinge haben in Deutschland nach einer entsprechenden Registrierung das Recht, in medizinischen Notfällen behandelt zu werden. Im Zweifel hilft eine Anfrage bei den Erstaufnahmeeinrichtungen weiter. Der Hinweis auf Netzwerke für Nichtversicherte (Büros für medizinische Flüchtlingshilfe) erscheint sinnvoll. Diese Büros finden sich in vielen Großstädten. Die nächsten Jahre werden sicher weiterhin davon geprägt sein, dass Flüchtlinge in unterschiedlichem Ausmaß das deutsche Gesundheitssystem in Anspruch nehmen.

„Verstehen und verstanden werden – das ist Heimat.“

(Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Tag der Deutschen Einheit, 03.10.2017)

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H. Kentenich

figure b

M. David

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W. Küpker