Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

diese Ausgabe der Notfall+Rettungsmedizin beschäftigt sich mit dem Leitthema „Invasive Techniken in der Notfallmedizin“. Die prähospitale Notfallmedizin und die diagnostischen und therapeutischen Optionen haben sich in den letzten Jahren erheblich und rasant weiterentwickelt. Noch vor 10 Jahren hätten viele Akteure gewisse Behandlungsoptionen nicht für möglich gehalten, die heute auf breiter Ebene diskutiert werden. Auch die sich weiterentwickelnde Medizintechnik lässt immer mehr therapeutische Möglichkeiten zu und viele vormals ausschließlich in Kliniken verwendete Techniken beschäftigen uns zunehmend auch in der prähospitalen Notfallmedizin.

Die vorliegende Ausgabe der Notfall+Rettungsmedizin widmet daher diesen „neuen“ und auch invasiven Maßnahmen einen Schwerpunkt. In insgesamt 4 Beiträgen zu den Themen Chirurgischer Atemweg, REBOA, Thorakotomie und eCPR beschreiben Experten auf ihrem Gebiet die relevanten Techniken, Voraussetzungen und Limitationen dieser neuen Behandlungsoptionen. Schneider et al. geben in ihrem Beitrag „Invasive Notfalltechniken Advanced“ eine wertvolle Übersicht zu den Themen REBOA, Perikardiozentese und Clamshell-Thorakotomie und einer neuen Trainingsmöglichkeit für diese Verfahren. Wortmann et al. beschreiben in ihrem Artikel zur endovaskulären Aortenokklusion sehr genau die notwendigen Techniken und beantworten auch die Frage, ob wir dieses Verfahren wirklich prähospital brauchen. Mohr et al. gehen in ihrem Beitrag zum chirurgischen Atemwegszugang der Frage nach, welche Form der invasiven Atemwegssicherung der Vorzug gegeben werden sollte. Zu guter Letzt stellen Damjanovic et al. die eCPR in ihrem Beitrag vor, die bei gewissen Formen des therapierefraktären Kreislaufstillstands eine zunehmende Bedeutung gewinnen wird. Der Beitrag fokussiert dabei auf den Notarzt und den Notfallsanitäter und beleuchtet bewusst die Seite des Nicht-EcmologenFootnote 1.

Sicher ist, dass diese speziellen Verfahren mit unterschiedlichsten Anforderungen diverse Kompetenzen und Training erfordern, die bei der derzeitigen Aus‑, Fort- und Weiterbildung und des sich zunehmend veränderten Einsatzprofils von Notärzten und Notfallsanitätern mit Nichten von jedem Teammitglied zu erwarten sind. Notfallmedizin und die diagnostischen und therapeutischen Optionen werden zunehmend komplexer. Dem dürfen wir uns bei den Diskussionen nicht verschließen.

Die regelhafte und sichere Anwendung dieser komplexen Techniken bedarf eines speziellen Trainings

Die beste Technik und das beste Verfahren sind nur dann geeignet, wenn sie auch beim richtigen Patienten, rechtzeitig und sinnvoll eingesetzt, ankommen. Das erfordert ein Umdenken und eine Weiterentwicklung der jetzigen gelebten Strategien in unserem Rettungssystem. Es braucht ein System um Leben zu retten [1], sicher keine Strohfeuer und isolierten Betrachtungsweisen! Alle Beteiligten im notfallmedizinischen Versorgungssystem sind hierbei zu vernetzen und durch eine moderne Leitstelle für alle Hilfeersuchenden mit speziell ausgebildeten und trainierten Disponenten zielgerichtet einzusetzen. Die Generalisten in der Notfallmedizin, die alle Situationen sicher beherrschen, wird es vielleicht nicht mehr geben können. Dafür ist die gesamte präklinische Notfallmedizin bereits heute zu komplex. Die Medizin in der Klinik öffnet uns hier die Augen: Viele Behandlungen können nur − lege artis − vom zuständigen Facharzt durchgeführt werden. Keineswegs sollte jedoch jeder Notfallpatient präklinisch „seinen“ Facharzt erhalten. Trotzdem muss in diesem Kontext möglicherweise auch darüber nachgedacht werden, spezielle Teams mit speziellen Fähigkeiten und einem speziellen Training zu diesen sehr speziellen und insgesamt seltenen Situationen zu entsenden − Teams, die dann auch in der Lage sind, bei gegebener Indikation die diversen Therapieoptionen sicher zum Einsatz zu bringen, sodass der Patient auch einen Nutzen hat.

Wir wollen mit dieser Einführung zum Thema auch eine Diskussion über Notwendigkeit und Machbarkeit verschiedener Therapieoptionen anstoßen. Ein immer weiter so wird möglicherweise dazu führen, dass zunehmend mehr regionale Unterschiede zu differenten Behandlungen führen könnten. Das wiederum mag perspektivisch noch mehr dazu führen, dass Patienten ungleich behandelt werden könnten. Hier müssen alle Experten und Entscheider in der Notfallmedizin kluge Wege finden, damit alle Notfallpatienten auch von neuen Therapien partizipieren, und dies unabhängig ihres Wohnorts. Die Idee von der Initiative „Choosing Wisely“, auf deutsch „klug Entscheiden“ [2], muss nach unserem Erachten auch in der präklinischen Notfallmedizin etabliert werden, um den großartigen Möglichkeiten einer modernen Notfallmedizin gerecht zu werden, und um einer Unter- bzw. ggf. auch Überversorgung entgegen zu wirken.

Herzlichst

Ihre

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Bernhard Gliwitzky

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Prof. Dr. med. Erik Popp