Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass 10 % der Weltbevölkerung im Alter ab 60 Jahren an Arthrose leiden [1] und dass 80 % der Menschen mit Arthrose Bewegungseinschränkungen sowie 25 % Einschränkungen bei den alltäglichen Verrichtungen erfahren [2]. Weltweit sind Frauen mit 18 % wesentlich häufiger als Männer mit 9,6 % betroffen [3]. Dabei ist neben dem Geschlecht das Alter der stärkste Prädiktor für das Auftreten und die Progression der Arthrose [4]. In der Bevölkerung ab dem 45. Lebensjahr geben 30 % für eine Arthrose typische Symptome an, wie z. B. intermittierende Steifheit, Schmerzen und Bewegungseinschränkung [57]. Dabei ist das Kniegelenk neben dem Hand- und Hüftgelenk am häufigsten betroffen [8, 9]. Global ist davon auszugehen, dass ca. 250 Mio. Menschen unter einer Arthrose des Kniegelenks leiden (3,6 % der Weltbevölkerung). Dabei ist die Arthrose des Kniegelenks in der globalen Rangliste „years lived with disability“ von Rang 15 im Jahr 1990 auf Rang 11 im Jahr 2010 aufgestiegen [10]. Frauen haben gegenüber Männern ein deutlich erhöhtes Risiko, eine Gonarthrose zu entwickeln [11]. In der Ulmer Arthrose-Studie konnte gezeigt werden, dass lediglich 27,2 % aller Patienten mit Gonarthrose männlichen Geschlechts sind, also Frauen nahezu 2-mal häufiger unter Gonarthrose leiden als Männer [11]. Die Gründe für diese Verteilung sind aktuell nicht geklärt, einige Autoren sehen die hormonelle Umstellung der Frau ab 50 als ursächlich an [12].

Die Prävalenz der klinisch manifesten Gonarthrose beträgt in den USA laut Hannan et al. [13], evaluiert nach Röntgenkriterien, bei 41- bis 50-Jährigen 2,0 % im Gegensatz zu 9,2 % in der Altersgruppe der 51- bis 74-Jährigen. Sun et al. [14] beziffern die Prävalenz der Gonarthrose jenseits des 60. Lebensjahres sogar mit etwa 30 %. Allerdings weisen lediglich 47 % der Probanden mit radiologischen Zeichen einer Kniearthrose auch die entsprechende klinische Symptomatik auf [14]. Rupprecht et al. [15] konnten zeigen, dass die radiologischen Arthrosezeichen nicht zwingend mit der klinischen Symptomatik und dem intraoperativ festgestellten Schweregrad der Knorpelschädigung korrelierten.

Der Verlauf der Arthrose des Kniegelenks ist in aller Regel fortschreitend. Um die Beschwerden der Betroffenen zu lindern, stehen eine Vielzahl konservativer Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die operativen Möglichkeiten differenzieren sich in gelenkerhaltende und gelenkersetzende Operationen.

Daraus ergibt sich, dass die Behandlung der Arthrose des Kniegelenks facettenreich und auf die individuellen Gegebenheiten des Patienten abgestimmt werden muss. Der Arzt, der die Indikation zur konservativen oder operativen Behandlung und insbesondere zum endoprothetischen Eingriff stellt, benötigt eine Menge an patientenindividuellen Informationen, um festzustellen, wann eine endoprothetische Versorgung medizinisch gerechtfertigt und für den Patienten vertretbar ist.

Wir haben hinsichtlich der Indikationskriterien die deutsche und internationale Literatur gesichtet. Die Auswertung ergab, dass es für den deutschen Sprachraum keine aktuelle, von den Fachgesellschaften konsentierte und einheitlich angewandte Leitlinie gibt. Es steht lediglich eine veraltete S1-Leitlinie zur Verfügung. Die international verfügbare Literatur ist in Hinblick auf ihre Empfehlungen ebenfalls nicht einheitlich.

Zusammenfassend kristallisieren sich anhand der gesichteten Literatur folgende Empfehlungen heraus, die bei der Therapie der Gonarthrose und der Indikationsstellung zum künstlichen Gelenkersatz berücksichtigt werden sollten:

  • Die Therapie der Gonarthrose sollte einem multimodalen Ansatz folgen.

  • Der Patient muss umfassend über seine Erkrankung informiert und über die Möglichkeiten der Modifikation des Lebensstils aufgeklärt werden.

  • Die initiale Therapie beinhaltet eine Kombination aus nichtmedikamentösen und medikamentösen Ansätzen.

  • Intraartikuläre Injektionen mit Steroiden sind bei einer akuten Verschlimmerung der Arthrose indiziert.

  • Die Indikation zum künstlichen Gelenkersatz besteht, wenn die Schmerzen durch mindestens 6-monatige [16] konservative Maßnahmen nicht ausreichend behandelt werden können, eine erhebliche Einschränkung der Funktion vorhanden ist und typische Arthrosezeichen im konventionellen Röntgenbild vorhanden sind.

Nach Ausschöpfen der konservativen Maßnahmen (Patienteninformation, Ernährungsumstellung, Gewichtsreduktion, Anpassung der Lebensführung, Schmerztherapie, Physiotherapie und ggf. intraartikuläre Injektionen) stellt die Implantation eines künstlichen Kniegelenks mittlerweile eine Standardoperation an vielen Zentren dar. Mit diesem Eingriff können hohe Zufriedenheitsraten erreicht werden. Die Implantation von Oberflächen-Knie-Totalendoprothesen (TEP) ist mit einer Revisionsrate von unter 5 % innerhalb von 10 Jahren und einer Funktionsverbesserung von 30–51 % – je nach verwendetem Score – eine erfolgreiche und dauerhafte Behandlungsmöglichkeit der Gonarthrose [17, 18].

Konservative Therapie der Gonarthrose

Grundsätzlich wird die Arthrose des Kniegelenks im Sinne einer Stufentherapie behandelt. Im Rahmen der ersten Therapiestufe ist es das primäre Ziel, alle Patienten über die Natur, den Verlauf und die Therapiemöglichkeiten der Erkrankung aufzuklären und ihnen Möglichkeiten der Selbstbehandlung durch Gewichtsreduktion, Bewegungstraining, Anpassung des täglichen Lebens, Schmerzmittel und lokal aufzutragende entzündungshemmende Salben aufzuzeigen. Patienten, die trotz dieser Therapie persistierende Schmerzen haben, können weiterführend mit Physiotherapie, Orthesen, nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) und anderen Schmerzmitteln behandelt werden. Den wenigen Patienten, die nach Ausschöpfen diese Maßnahmen persistierende Schmerzen haben und entsprechende radiologische Arthrosezeichen aufweisen, kann eine Operation vorgeschlagen werden [19].

Gelenkersatz

Ist die Arthrose stark fortgeschritten, dann kann ein Gelenkersatz helfen. Die schadhaften Oberflächen im Kniegelenk werden durch eine dem Knie nachempfundene Metalloberfläche (künstliches Kniegelenk) ersetzt. Bei einer streng einseitigen Arthrose kann nur die betroffene Seite (innen/außen) ersetzt werden. Aktuell kann die Standzeit dieser unikondylären Prothesen mit 10-Jahres-Überlebensraten von 84–98 % angegeben werden [20, 21]. Die Indikation zur Implantation einer Totalendoprothese ist bei bi- oder trikompartimenteller Gelenkdestruktion gegeben, wenn konservative Maßnahmen ausgeschöpft sind und gelenkerhaltende Operationen nicht mehr sinnvoll erscheinen [22, 23]. Zieht man die verfügbaren internationalen Leitlinien und Handlungshinweise zu Rate, dann kristallisiert sich heraus, dass dies dann der Fall ist, wenn die Schmerzen durch mindestens 6-monatige konservative Maßnahmen nicht ausreichend behandelt werden können, eine erhebliche Einschränkung der Funktion vorhanden ist und typische Arthrosezeichen im konventionellen Röntgenbild (Verschmälerung des Gelenkspaltes, knöcherne Anbauten als Ausdruck der Überlastung, vermehrte Sklerosierung der Knochenzone in direkter Nachbarschaft zum Knorpel, Zystenbildung im Knochen) vorhanden sind [18, 24, 25].

Dabei spielen neben den objektivierbaren Kriterien wie dem Ausmaß der Arthrose auf dem konventionellen Röntgenbild, der Stabilität und dem Bewegungsausmaß des Kniegelenks auch die individuellen Beschwerden und der Leidensdruck des Patienten eine Rolle. Wenn objektivierbare Kriterien vorliegen und der Patient nur noch eine schmerzfreie Gehstrecke von wenigen hundert Metern aufweist, regelmäßig Schmerzmittel einnimmt und Belastungs-, Nacht- und Ruheschmerzen angibt, dann sollte die Indikation zum Gelenkersatz gestellt werden [2427]. Da Schmerzen subjektiv empfunden werden und nur mit einer visuellen Analogskala eingeordnet werden können, ist bislang kein objektivierbarer Konsens vorhanden, wie stark die Schmerzen sein müssen [28]. Die Indikation wird in der Regel individuell gestellt, und auch das Alter, das Körpergewicht und Nebenerkrankungen spielen eine Rolle, da diese Parameter das postoperative Ergebnis beeinflussen [2932]. Auch die sozialen Bedingungen und häuslichen Versorgungsmöglichkeiten sollen einbezogen werden. Eindeutige und allgemeingültige Indikationskriterien für die Knieprothesenimplantation gibt es nicht [33]. Übereinstimmend geben die European League Against Rheumatism (EULAR) und das amerikanische National Institute of Health (NIH) an, dass bei Dauerschmerzen, die gegenüber medikamentöser Therapie resistent sind, oder auch bei erheblichen Funktionsbeeinträchtigungen in Verbindung mit entsprechendem radiologischem Nachweis einer Arthrose eine ausreichende Operationsindikation gegeben ist [22, 23]. Das genaue Beschwerdeniveau für eine Operationsindikation wird jedoch nicht spezifiziert. Aktuell gibt es keine aktuelle, von den Fachgesellschaften konsentierte gültige deutsche Leitlinie, die die Therapie der Gonarthrose genauer beschreibt.

Radiologische Kriterien

In Abgrenzung zur hohen Tibiakopfumstellungsosteotomie (HTO) bzw. der distalen femoralen Umstellungsoperation gibt es anatomisch-radiologische Kriterien, die für einen künstlichen Gelenkersatz sprechen. Diese sollen anhand der folgenden Röntgenbilder illustriert werden. Bei einer beginnenden medialen Gonarthrose mit verkleinertem proximalem tibialem Gelenkwinkel bietet sich eher die Umstellungsosteotomie an, da über dieses Verfahren der proximale tibiale Gelenkwinkel normalisiert und die Gelenklinie korrigiert werden kann (Abb. 1). Demgegenüber sollte bei einer medialen Gonarthrose mit normalem proximalem tibialem Gelenkwinkel eher über eine mediale Unischlittenprothese nachgedacht werden, da eine HTO den proximalen tibialen Gelenkwinkel pathologisch erhöhen würde und damit die Gelenklinie ebenfalls aus der Norm bringen würde. Hier bietet sich also eher das resezierende Verfahren an (Abb. 2). Eine mediale Gonarthrose mit Inkongruenz der Gelenkanteile sollte ebenfalls mit einem Gelenkersatz – je nach Begleitpathologie mit einer uni- oder bikondylären Oberflächenersatzprothese – versorgt werden (Abb. 3). Findet sich radiologischerseits eine Arthrose in allen Gelenkanteilen – medial, lateral und auch retropatellar –, dann fällt die Entscheidung relativ leicht. Sofern die entsprechenden Kriterien (patientenimmanente Faktoren, ausgeschöpfte konservative Maßnahmen etc.) darauf hindeuten, sollte der Befund mit einer bikondylären Oberflächenersatzprothese versorgt werden (Abb. 4).

Abb. 1
figure 1

Mediale Gonarthrose mit pathologisch erniedrigtem proximalem tibialem Gelenkwinkel

Abb. 2
figure 2

Mediale Gonarthrose mit normwertigem proximalem tibialem Gelenkwinkel

Abb. 3
figure 3

Mediale Gonarthrose mit Inkongruenz der Gelenkpartner

Abb. 4
figure 4

Ubiquitäre Gonarthrose

Findet sich eine ubiquitäre Gonarthrose mit zusätzlich erheblicher Bandinstabilität, dann sollte über ein je nach Grad der Instabilität gekoppeltes Implantat nachgedacht werden (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Ubiquitäre Gonarthrose mit erheblicher ligamentärer Instabilität

Fazit für die Praxis

  • Die Therapie der Gonarthrose folgt zunächst einem multimodalen Ansatz. Es stehen verschiedene, gut untersuchte konservative Therapieformen zur Verfügung. Eine endoprothetische Versorgung ist dann angeraten, wenn

    • die radiologischen Kriterien einer fortgeschrittenen Arthrose erfüllt sind,

    • der Patient über Nacht-, Ruhe- und einen initialen Belastungsschmerz klagt,

    • die Gehstrecke auf wenige 100 m reduziert ist,

    • regelmäßig eine Schmerzmedikation eingenommen wird,

    • verschiedene konservative Maßnahmen über zumindest 6 Monate frustran geblieben sind.

  • Die endoprothetische Versorgung und die Wahl des Implantates sollten anhand der radiologischen Veränderungen, der Untersuchung des Patienten und der Bedürfnisse des Patienten gewählt werden.