Selten hat in den letzten Jahren eine wissenschaftliche Entdeckung so viel Aufmerksamkeit erregt wie CRISPR. Mit ihr sind genetische Änderungen schneller, billiger und zielgenauer möglich als je zuvor. In der Onkologie richten sich große Hoffnungen auf das neue Verfahren. Zumal erhält die Gentherapie durch sie neuen Auftrieb. Durch ihre gleichsam natürliche Affinität auch zum Keimbahneingriff löst sie zugleich intensive Diskussionen über „Können – Sollen – Dürfen“ solcher Eingriffe aus. Außer naturwissenschaftlichen sind daher auch ethische und rechtliche Fragen aufgeworfen.

Teil 1. Technische Aspekte der CRISPR-Technologie

DNA-Nukleasen und CRISPR

Zu Beginn der 1950er Jahre begann die Etablierung von DNA-Nukleasen zum modernen Gene Editing mit der Erkenntnis, dass es Proteine gibt (Restriktionsenzyme), die sequenzspezifisch DNA schneiden können. Die daraus entwickelten Methoden zur DNA-Klonierung haben mit beeindruckender Geschwindigkeit zur Entdeckung von Meganukleasen [6], Zinkfingerproteinen [38], transkriptionsaktivatorähnlichen Effektornukleasen (TALENs; [21]) und schließlich zur Beschreibung des CRISPR-Systems zum Zweck des Genom Editing geführt [20].

Das CRISPR-System überzeugt durch seine Einfachheit

Im Vergleich zu vorangegangenen Gene-Editing-Technologien besticht das CRISPR-System v. a. durch seine Einfachheit. Die Anwesenheit eines einzigen Proteins (CRISPR-assoziierte [Cas-]Nuklease) sowie eines chimären RNA-Oligonukleotids mit einer Länge von 20 Nukleotiden („single guide RNA“, sgRNA) reichen aus, um an einer sgRNA-komplementären Sequenz im Genom einen Doppelstrangbruch zu induzieren. Zwingende Voraussetzung für diesen Strangbruch ist jedoch das Vorliegen einer sog. Protospacer-Adjacent-Motif(PAM)-Sequenz, die 3′ zur sgRNA-homologen Sequenz auf der DNA liegt und an welche die Cas-Nuklease direkt bindet und so die sgRNA-DANN-Interaktion stabilisiert. Für die am häufigsten genutzte Cas-Nuklease der Spezies Streptococcus pyogenes (Sp) lautet die PAM Sequenz 5′-NGG-3′, wobei N jedem Nukleotid entspricht. Hieraus ergibt sich eine schier unglaubliche Diversität an sgRNA-homologen Sequenzen im menschlichen Genom, mit einer durchschnittlichen Häufigkeit von 9 Nukleotiden. Betrachtet man zusätzlich die biologische Diversität von Bakterien und die damit verbundenen Cas-Nukleasen und deren PAM Spezifität, lässt sich vermuten, dass jede Nukleotidposition im menschlichen Genom mittels CRISPR angreifbar ist. Die Einfachheit der Anwendung, gepaart mit der enormen Diversität, hat wesentlich zur rapiden Verbreitung der Technologie in den Bereichen grundlagen- und anwendungsorientierter medizinischer Forschung beigetragen.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt: Off-target-Effekte

Das CRISPR-System evolvierte in Bakterien zu einem adaptiven Immunsystem zur Abwehr von Bakteriophagen (bakterieninfizierende Viren). Bakterien haben ferner im Vergleich zum Menschen ein etwa tausendmal kleineres Genom, eine kurze Lebensdauer und eine hohe Reproduktionsrate. Diese Kombination ist ein effektiv wirkender Schutz gegenüber infiltrierenden Bakteriophagen. Wird das CRISPR-System jedoch in menschlichen Zellen verwendet, muss zwingend beachtet werden, dass das menschliche Genom tausendmal größer und es daher unmöglich ist, eine sgRNA-Sequenz zu finden, die nur einmal vorkommt. Weiterhin sollte bedacht werden, dass Cas-Nukleasen zwar genau arbeiten, aber eben nicht perfekt sind. So schneidet SpCas9 mit abnehmender Effizienz auch sgRNA-homologe DNA, die sich an bis zu 2 Nukleotidpositionen von der sgRNA-Sequenz unterscheidet [13]. Diese sog. Off-target-Effekte sind von immenser Wichtigkeit, nicht zwingend in der Grundlagenforschung, aber durchaus, wenn CRISPR als therapeutisches Werkzeug dem Patienten dienen soll. Daher werden große Anstrengungen unternommen, um Cas-Nukleasen spezifischer zu machen, bioinformatische Vorhersagen über sgRNA-Funktionalität treffen zu können sowie Cas-Nukleasen zu identifizieren, die keine Off-target-Effekte besitzen.

CRISPR-Toolbox

Die meisten natürlich vorkommenden Cas-Nukleasen besitzen zwei katalytisch aktive Zentren (RuvC- und HNH-Domänen). Wird eines dieser Zentren inaktiviert, induziert die Cas-Nuklease nur einen Einzelstrangbruch (Nicking, nSpCas9; [27]). Auf diese Art führen zwei nebeneinander positionierte sgRNAs indirekt zu einem Doppelstrangbruch. Obwohl diese Form des Gene Editing Off-target-Effekte reduziert, ist die damit einhergehende verminderte Aktivität der Cas-Nuklease und die Notwendigkeit von zwei sgRNA-Sequenzen ein wesentlicher Grund, weshalb diese Technologie bisher unzureichend eingesetzt wird.

Werden beide katalytisch aktiven Zentren mutiert, entsteht ein totes Cas (engl. „dead“, dCas), das weiterhin sgRNA-abhängig an DNA binden kann, aber die Eigenschaft des Schneidens verliert [16]. Cas wird so zu einem Transporter, der an einer bestimmten Stelle im Genom binden kann, um dort ein Kargo oder einen Effektor abzuliefern. Effektoren lassen sich anhand ihrer Funktion unterscheiden, z. B. geninaktivierend (CRISPRi) oder genaktivierend (CRISPRa). Weiterhin ist es möglich, mit Hilfe von Effektoren die Faltung des Genoms zu verändern sowie bestimmte Sequenzen anzureichern oder gar visuell sichtbar zu machen. Eine bahnbrechende Entdeckung ist hierbei das sog. Base Editing, das es erlaubt individuelle Nukleotide auszutauschen, ohne einen Doppelstrangbruch zu induzieren [28]. Ein großer Nachteil dieser Anwendung ist jedoch die erhöhte Rate an Off-target-Effekten, die durch das kurzzeitige Ausschalten der zellintrinsischen DNA-Reparatur begründet werden kann. Dennoch, die Flexibilität von CRISPR geht weit über den klassischen Genverlust hinaus und ermöglicht es sogar, das nichtprotein kodierende Genom mechanistisch zu untersuchen.

CRISPR-Hochdurchsatzexperimente

CRISPR ermöglicht aber nicht nur Einzelgenanalysen, sondern unvoreingenommene (engl. unbiased) Hochdurchsatzexperimente (engl. screens), die Genotyp-Phänotyp-Korrelationen ermöglichen [34]. Hierbei wird eine sgRNA-Bibliothek, die aus mehreren sgRNA-Sequenzen besteht, angefertigt und unter strengen experimentellen Konditionen (0,3 sgRNA-Sequenzen pro Zielzelle, jede sgRNA bis zu 500-mal experimentell vertreten) angewandt. Konzeptionell gibt es zwei verschiedene Arten des Screens: positive und negative. Positive Screens beruhen auf der Anreicherung eines bestimmten Phänotyps, wohingegen negative Screens einen bestimmten Phänotyp abreichern. Mittels Next-Generation Sequencing (NGS) und des Vergleichens von Kontrolle und Probe lassen sich phänotypbestimmende Genveränderungen identifizieren. Auf diese Art wurden bereits Gene identifiziert, die z. B. Medikamentenresistenz induzieren oder gar für das Überleben von Krebszellen von essenzieller Bedeutung sind [4]. Bisherige Anwendungsmöglichkeiten beschränken sich hauptsächlich auf In-vitro-Arbeiten in der Zellkultur, obwohl erste In-vivo-Screens bereits durchgeführt wurden. Hierbei wird deutlich, dass das experimentelle System großen Einfluss auf die Ergebnisse hat und es daher wichtig ist, Hochdurchsatzexperimente unter verschiedenen Konditionen durchzuführen, sodass falsch-positive Ergebnisse reduziert und eine folgende In-vivo-Validierung ermöglicht wird.

Ein aktueller Schwerpunkt in der Krebsforschung ist die Identifizierung von synthetischen Gen-Gen-Interaktionen. Diese sind von besonderer Bedeutung, da krebstreibende Mutationen weitestgehend bekannt sind, nicht jedoch die Medikamentenkombination, mit denen diese toxisch wirken. Die Schwierigkeit dieser Experimente besteht vorwiegend darin, die benötigten Reagenzien herzustellen. Konventionelle Methoden zur Bibliothekenerzeugung führen zu unzureichender Diversität und Qualität, sodass neue Methoden benötigt werden. Die kürzlich beschriebene 3Cs-Technologie könnte hierbei eine wesentliche Rolle spielen [39], jedoch bedarf es zusätzlicher Validierungsarbeit, bevor sie als robuste Alternative zur Herstellung von sgRNA-Bibliotheken wird gelten können.

CRISPR in der Krebsforschung

CRISPR hat das Potenzial, die Krebstherapie zu revolutionieren, besonders im Bereich der Krebsimmuntherapie, die auf der Erzeugung gentechnisch veränderter T‑Zellen basiert und so das Finden und Abtöten von Krebszellen effektiv macht, ähnlich dem Auffinden von Viren. Bereits 2017 hat die US-amerikanische Behörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) zwei Krebsimmuntherapeutika auf Basis von chimären Antigenrezeptoren den sog. CAR-T-Zellen zugelassen. Keines dieser Medikamente basierte jedoch auf CRISPR. Dennoch, große Anstrengungen werden unternommen, diese Technologien zu kombinieren, um die Zahl der behandelbaren Krebserkrankungen zu erhöhen. Trotzdem ist das momentane Stadium bestenfalls experimentell und wird nur an wenigen wissenschaftlichen Einrichtungen zum Zweck klinischer Studien angewandt, in denen es primär darum geht herauszufinden, ob und wenn ja wie und unter welchen Umständen die Behandlung wirkt. China führt die Liste mit aktuell stattfindenden CRISPR-Studien deutlich an (0,004 % aller chinesischen Studien), dicht gefolgt von den USA und Kanada, weit abgeschlagen folgt Europa (0,00002 % aller europäischen Studien). Diese Zahlen machen bereits sehr deutlich, dass ein internationaler Wettkampf darüber entstanden ist, wer die ersten CRISPR-Therapeutika anbietet. Große Hoffnungen umgeben CRISPR Gene Editing, die aber gut gepaart mit strategischer Planung und der Implementation von regulatorischen Prozessen sein müssen, um eine erfolgreiche Entwicklung hin zur therapeutischen Anwendung von CRISPR in der Krebstherapie zu ermöglichen. Diese Herausforderungen warten und machen zuversichtlich, dass CRISPR Gene Editing schon bald einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung aktueller Krebstherapien leisten wird.

Teil 2. Ethische Erwägungen zum Gene Editing in der Onkologie

Seit insbesondere die Möglichkeiten von CRISPR einer breiten Öffentlichkeit bekannt sind, hat sich eine intensive Debatte entwickelt, wie diese Technologie erforscht und angewendet werden sollte. Die ethischen Fragen, die sich hierbei ergeben, sind verwandt mit denen in früheren Debatten zur Erforschung und Anwendung genetischer Technologien: Ist es überhaupt ethisch vertretbar, in das menschliche Genom einzugreifen und dafür unter Umständen an menschlichen Embryonen zu forschen? Erhält die Freiheit der Wissenschaft und die Aussicht, schwerwiegende Erkrankungen zu verstehen und therapieren zu können, Vorrang vor der Integrität des Genoms (als gemeinschaftliches Erbe der Menschheit), dem Schutz des ungeborenen Lebens, und der Möglichkeit einer neuen, vielleicht wissenschaftlich getriebenen Eugenik, in der letztendlich keine Reproduktionsfreiheit mehr bestehen kann? Geht es um ein fachliches Abwägen von Chancen und Risiken oder um Fragen, die, weil sie Grundrechte und das Konzept eines ethisch vertretbaren Menschenbilds berühren, gesamtgesellschaftlich transparent gemacht und entschieden werden müssen?

Der nichtpräventive, nichtdiagnostische und nichttherapeutische Eingriff in die Keimbahn war hochumstritten

Diese Gegenüberstellungen sind suggestiv und vereinfachend, bilden aber wichtige Diskussionslinien und bis vor wenigen Jahren deutliche „rote Linien“ der ethischen Vertretbarkeit bzw. Unvertretbarkeit genetischer Forschung. Insbesondere der Eingriff in die menschliche Keimbahn zu nichtpräventiven, nichtdiagnostischen oder nichttherapeutischen Zwecken – also zu einer „Verbesserung“ des Menschen – erschien dabei unter keinen Umständen vertretbar, aber auch jenseits des wissenschaftlich-technisch Möglichen [35, 36].

Die ethische Debatte und die „Kraft des Faktischen“

Man könnte meinen, dass eine Grundhaltung gegenüber dem moralischen Status der menschlichen Keimbahn nicht radikal durch den wissenschaftlichen Fortschritt infrage gestellt werden kann, wird doch das menschliche Genom und die genetische Identität des Individuums in einschlägigen Debatten, Richtlinien und Gesetzgebung als moralisch unverletzbar und von höchstem symbolischem Wert angesehen [25, 36, 37], obwohl daraus kein „genomischer Essenzialismus“ als Grundlage der menschlichen Natur und Identität abzuleiten ist [26].

Mit der für die breitere Öffentlichkeit wie aus dem scheinbaren Nichts kommenden Entwicklung der CRISPR-Technologie und der in Aussicht stehenden gleichsam unbegrenzten Anwendungsmöglichkeiten (auch in der Onkologie), steht nun der weitverbreitete Konsens der Unverletzbarkeit der menschlichen Keimbahn international de facto in Frage.

Chancen und Risiken vs. umfassende Wissenschaftsentwicklung und -anwendung

Das heißt aber nicht, dass deshalb ohne weitere ethische Fragen und quasi nur auf der Basis wissenschaftlicher Chancen-Risiko-Abwägung Keimbahninterventionen rechtfertigbar oder sogar in bestimmten Fällen geboten sind. Die relevante Abwägung sollte weit umfassender sein und betrifft auch längerfristige intergenerationale und gesellschaftliche Auswirkungen, wie u. a. Kommerzialisierung und Zugang zur Technologie, die mögliche Normalisierung der In-vitro-Fertilisation, die mögliche Zunahme von genetischer Stratifizierung und Diskriminierung und die Auswirkungen auf genetische Diversität und gesellschaftliche Solidarität. Zu berücksichtigen sind weiter die Signalwirkung eines ethischen und rechtlichen Rahmens, z. B. in Bezug darauf, ob bestimmte Krankheiten oder Einschränkungen technologisch eliminiert werden sollten oder könnten, und die Rechte jener, die aus weltanschaulichen Gründen, die nicht mit dem Stand der Wissenschaft kompatibel sein müssen (z. B. bezüglich einer „Würde des Embryos“), Keimbahninterventionen oder genetische Forschung per se ablehnen.

Außerdem ist die Forschung zwar frei, selbst aber nicht weltanschaulich neutral, sondern beruht auf gesetzten Standards von Integrität, Transparenz und Nachvollziehbarkeit bzw. Reproduzierbarkeit. In den Anwendungen der Ergebnisse biomedizinischer Forschung beruhen die Festsetzung von zu erwartendem Nutzen und möglichem Schaden auf wertenden Hintergrundannahmen, die gerade bei innovativen Anwendungen und Therapien kritisch zu beleuchten sind. Im Fall des Gene Editing wird beispielsweise diskutiert, was jenseits praktischer Effekte einer klinischen Intervention überhaupt realistische Anwendungsfälle und abzuwägende Alternativen wären, die außerdem mit reproduktiver Freiheit und dem Wohlergehen aller involvierten Parteien vereinbar wären [26].

Integrität der Wissenschaft und internationale Regulierung

Im praktischen Zusammenspiel von neueren Technologien wie Genomik, Big Data und Gene Editing (und auch in der Embryonenforschung) wird besonders deutlich, dass Grundlagenforschung und die Aussicht auf bestimmte Anwendungsfelder nicht trennscharf sind [18, 26]. In Bezug auf die Wirksamkeit ethischer und rechtlicher Normen erscheint es deshalb wenig aussichtsreich, Grundlagenforschung mithilfe des Gene Editing zu erlauben, klinische Anwendungen aber kategorisch abzulehnen bzw. zu verbieten oder zu sanktionieren. In der Tat hat eine Gruppe von Forschern und weiteren Experten vor kurzem ein globales Moratorium und einen Regulierungsrahmen vorgeschlagen, der darauf abzielt, alle Optionen in Bezug auf klinische Anwendungen – von der Nichtnutzung bis zu einer möglichen breiten Anwendung – des Gene Editing offenzuhalten [22].

Für den Bereich der Onkologie könnte man dennoch argumentieren, dass insbesondere Forschung im nichtklinischen Stadium und somatische Anwendungen ohne Basis in Embryonenforschung prima facie ethisch weitestgehend unproblematisch sind. Im Gegenteil scheint aber gerade die Forschung an und mit den Werkzeugen des Gene Editing zu zeigen, dass bisweilen die ethische Rolle wissenschaftlicher Integrität und wissenschaftlicher Standards ins Hintertreffen gegenüber der Betonung von ethischen Fragen des Datenschutzes bzw. Vertraulichkeit, informierter Zustimmung von Beforschten bzw. Patienten und der Frage nach dem Status des Embryos oder der Keimbahn gerät. Dies sind zweifellos wichtige Fragen, jedoch ist im Hype um das Gene Editing auch sehr deutlich, dass die internationale Wissenschaft sich in einem Wettrennen um entscheidende neue Erkenntnisse befindet.

Der Fall des chinesischen Forschers He Jiankui zeigt klar, dass auch fundamentale forschungsethische Standards gerade im globalen Wettbewerb nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden können. Im November 2018 wurde bekannt, dass He Jiankui von der Southern University of Science and Technology in Shenzhen mithilfe von CRISPR das Gen CCR5 in menschlichen Embryonen veränderte, um das hypothetische Risiko einer HIV-Infektion der daraus entstehenden Zwillingsmädchen zu umgehen. He operierte ohne positives Votum eines Ethikkommittees und gültiger Einverständniserklärung der Probanden bzw. Patienten. Die ethischen und wissenschaftlichen Probleme reichen jedoch wesentlich weiter. Das Forschungsdesign muss in jedem Experiment unabhängig qualitätsgeprüft werden, was gerade bei innovativer Forschung mit unklarer Risikolage nicht vollständig standardisierbar ist, hier jedoch erst gar nicht versucht wurde. Es handelte es sich sogar um die hypothetische „Therapie“ eines hypothetischen Risikos der HIV-Infektion, für das im gleichen Zug der hypothetische „Patient“ erst gentechnisch erzeugt wurde [19]. Die Risiken dieser Art der reproduktiven Intervention, darüber herrscht international weitgehend Einigkeit, sind nicht abschätzbar und entsprechen keinem Therapieziel, sind also vollständig experimentell und ethisch unwägbar.

Fazit

Die schwierigen Fragen darüber, was forschungsethisch im Bereich neuer Technologien vertretbar ist und wer über Standards und mögliche Verbote zu entscheiden hat, betreffen nicht nur die Embryonenforschung und Reproduktionsmedizin, sondern z. B. auch klinische Versuche der Phase I zum Gene Editing mit CRISPR an Krebspatienten. Baylis und McLeod argumentieren, dass eine geplante Versuchsreihe mit Melanom‑, Synovialsarkom- und Multiples-Myelom-Patienten in den USA den ethischen Anforderungen wissenschaftlicher Validität aufgrund ungenügender präklinischer Evidenz widersprechen [3]. Neben diversen Defiziten wissenschaftlicher Gültigkeit kommen den Autoren zufolge unrealistischer Optimismus („optimismbias“) sowie Interessenkonflikte u. a. in Bezug auf Patente und Publikationsbias im untersuchten Fall hinzu. Sie schlussfolgern daher, dass international existierende Regularien für die somatische Gentherapie mittels Gene Editing nur bedingt greifen und spekulieren, dass das erwähnte globale biomedizinische Wettrennen oder -rüsten dabei eine entscheidende Rolle spielen könnte [2, 10].

Generell ist zu beobachten, dass die starke mediale Sichtbarkeit des Gene Editing auf vielversprechende Therapien abhebt, während die Komplexität der genetischen Zusammenhänge in den potenziellen Anwendungsgebieten, auch und gerade über Generationen hinweg, derzeit wenig Aufmerksamkeit findet. Eine bessere Balance zwischen unethischem Hype und realistischen Anwendungsszenarien im Sinn angemessener therapeutischer und reproduktiver Optionen, dem Patienten- sowie Kindeswohl und gemeinschaftlich geteilter Grundwerte der Technologieentwicklung und -anwendung, die sich insbesondere auch an sozialen und kulturellen Konsequenzen orientiert, ist hier erstrebenswert.

Teil 3. Rechtliche Aspekte

Gentherapie und Keimbahntherapie – rechtliche Ausgangslage

Im Mai 1984 wurde gemeinsam von Bundesjustiz- und Bundesforschungsminister die Arbeitsgruppe In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie eingesetzt. Ihr Auftrag lautete zu untersuchen, ob und inwieweit bei diesen neuen medizinischen Handlungsoptionen gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.

Für den Gentransfer in somatische Zellen lautete das Ergebnis knapp: „Ein Gentransfer in somatische Zellen unterscheidet sich in der ethischen Bewertung grundsätzlich nicht von einer Organtransplantation.“ Daher die Folgerung: „Ein rechtlicher Handlungsbedarf besteht zur Zeit nicht.“

Ganz anders fiel dagegen die Beurteilung der Keimbahntherapie aus: „Solange ein gezielter Gentransfer in Keimbahnzellen nicht möglich ist, kommt eine Anwendung der Methode beim Menschen nicht in Betracht.“ Bei ihrer Anwendung würden sonst die erfolgreich behandelten Embryonen ausgewählt und alle anderen vernichtet – es finde damit eine „Vernichtung artspezifischen menschlichen Lebens“ statt. Die Konsequenz: „Dem Gesetzgeber wird empfohlen, derzeit einen Gentransfer in die Keimbahn zu verbieten.“ [2]. Diese Empfehlung wurde mit dem am 1. Januar 1991 in Kraft getretenen Embryonenschutzgesetz (ESchG) umgesetzt – nach seinem § 5 ist die „künstliche Veränderung menschlicher Keimbahnzellen“ strafrechtlich verboten [14].

Schon im Jahr 1989 hatte die Bundesärztekammer (BÄK) erstmals Richtlinien zur Gentherapie beim Menschen bekannt gemacht [5], die 1995 überarbeitet wurden [29]. Aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen in der 12. Novelle zum Arzneimittelgesetz (AMG) wurde diese Richtlinie jedoch mit Beschluss der BÄK vom 20.11.2009 außer Kraft gesetzt.

Rechtlage heute

An der skizzierten rechtlichen Ausgangslage hat sich bis heute nichts Grundsätzliches geändert. Seit dem o. g. Bericht wurden jedoch auch neue Handlungsoptionen entwickelt, die eine Auslegung des Gesetzestextes erforderlich machten – etwa die Einpflanzung eines Zellkerns in eine zuvor entkernte andere Zelle, die sog. Kerntransplantation. Da in diesem Fall jedoch die (übertragene) Erbinformation nicht verändert wird, greift das Verbot des § 5 ESchG nicht [17]. Auch nicht intendierte Auswirkungen auf Keimbahnzellen, etwa bei einer Impfung, fallen nicht unter dieses Verbot, vgl. § 5 Abs. 4 Nr. 3 ESchG. Ungeklärt ist, ob Embryonen, die bei der assistierten Reproduktion übrig geblieben und bei denen eine Implantation ausgeschlossen ist, der Forschung zur Verfügung stehen [23].

Neue Verfahren der Gentherapie, wie mit Hilfe von CRISPR, erleichtern zwar ggf. das medizinische Vorgehen ganz beträchtlich, ändern jedoch weder die Klassifizierung in somatische bzw. Keimbahnzellen noch das Ziel des jeweiligen Eingriffs. Ein Gene Editing an somatischen Zellen begegnet daher keinen grundsätzlichen rechtlichen Einwänden [33], sofern die entsprechenden Regelungen des deutschen und europäischen Arzneimittelrechts eingehalten werden. Diese beziehen sich weitestgehend auf die Herstellung gentherapeutischer Arzneimittel. Gentherapeutische Behandlungen – dies gilt derzeit erst recht für Gene-Editing-Verfahren [3] – sind jedoch bisher zumindest in der Regel noch nicht in der klinischen Anwendung [11], sondern werden im Rahmen von klinischen Prüfungen durchgeführt [11]. Hier sind nach §§ 40 ff. AMG v. a. die Grundsätze der Freiwilligkeit, Aufklärung und Einwilligung in die Mitwirkung an solchen Studien zu beachten.

Perspektiven der Keimbahntherapie

Die neuen Methoden des Gene Editing haben alte Diskussionen neu aufflammen lassen – umso mehr, als CRISPR & Co. bisher Unmögliches plötzlich als möglich oder doch deutlich näher gerückt erscheinen lassen. Aufruhr stiftete die Meldung, in China seien erstmals mit CRISPR gene-editierte Babys geboren worden [15]. Eine Zukunft, die zurzeit der o. g. Arbeitsgruppe noch ein Gedankenspiel war, klopft damit hörbar an die Tür. Die Diskussion um die Keimbahntherapie ist seitdem in vollem Gang [9]. In Deutschland impliziert dies notwendig die Frage, ob oder wie lange das Verbot der Keimbahntherapie, § 5 ESchG, bestehen bleiben wird [31].

Der Wettlauf zur Keimbahntherapie hat begonnen

Mit ihrem „Frühstart“ brachen die chinesischen Forscher medizin- und forschungsethische Regeln. Die Zeit für eine solche Anwendung des Gene Editing ist noch nicht reif. Ein Frühstart bedeutet jedoch: Man sieht die anderen „Wettbewerber“ und weiß, dass auch sie in den Startlöchern stehen. Diese Ausganglage zeigt: In der weltweit vernetzten Forschung hat ein Keimbahn-Moratorium [8] – also gleichsam die Verlegung des Wettrennens auf einen späteren Zeitpunkt – wohl keine Chance [12]. Zu glauben, einmal in Gang gesetzte forschungsgetriebene Entwicklungen könnten aufgehalten oder wenigstens eine Zeitlang gestoppt werden, ist eine Illusion. Allenfalls gelingt es, sie zu kanalisieren, ihnen Regeln zu geben. Die Mittel hierzu sind ethische Richtlinien und – durchsetzungsstärker – das Recht. Ethik und Recht sind jedoch Menschenwerk; zumal in Bezug auf Forschung und Technik sind sie nicht entwicklungsresistent. Das Recht muss angepasst werden an die Probleme der Zeit, in der es gelten soll. Andernfalls verliert es seine Glaubwürdigkeit und damit seine Geltungskraft.

Beispiel: assistierte Reproduktion

Dies gilt gerade bei Entwicklungen und Erfindungen, die menschheitsgeschichtliche Neuerungen darstellen – bei denen die Welt danach eine andere ist. Ein Beispiel ist (außer dem Buchdruck) die künstliche Befruchtung: 1978 kam Louise Brown als erstes in vitro erzeugtes Kind zur Welt. Wie bei grundstürzenden Neuerungen zu erwarten, wurden auch bei der assistierten Reproduktion alsbald schwerste Abwehrgeschütze aufgefahren, um dieser Entwicklung zu begegnen – vorrangig die Menschenwürde und das Dammbruch-Argument. Ihre Wirkung?

Heute leben weltweit ca. 8 Mio. Kinder, entstanden Dank der assistierten Reproduktion [1]. Und wo früher das Kinderkriegen eine Angelegenheit allein zwischen einem Mann und einer Frau war, ob verheiratet oder nicht, gibt es heute durch die Aufspaltung ehedem natürlicher Vorgänge in medizinisch unterstützte Einzelschritte über 30 Varianten, bis hin zur Gebärmuttertransplantation mit anschließender In-vitro-Erzeugung des Kindes mit der Eizelle einer dritten Frau und der Samenzelle eines anderen Mannes. Aus der Reproduktionsmedizin ist längst in weltweiter „Markt“ geworden.

Im restriktiven Embryonenschutzgesetz wurden zwar etwa Embryospende sowie Leihmutterschaft verboten und Geschlechtswahl ist nur in sehr engen, medizinisch begründeten Ausnahmen zulässig. Längst allerdings werden diese Maßnahmen jeweils im Ausland in Anspruch genommen. Und die so gezeugten Kinder leben dann auch in Deutschland. Anpassungen des Gesetzes an die geänderten Auffassungen und Realitäten werden daher angemahnt [24]. Zumindest bei der Präimplantationsdiagnostik hat das Gesetz (nach intensiver Diskussion) mit dem neuen § 3a ESchG einer modernen Entwicklung Rechnung getragen.

Ist die Welt durch die inzwischen erreichten vielfältigen Möglichkeiten der assistierten Reproduktion schlechter oder nur anders geworden? Heute wachsen die jungen Menschen mit diesen Möglichkeiten auf, für sie ist es nur noch Teil der Geschichte, dass es das alles früher nicht gab.

Keimbahntherapie regeln, nicht verbieten

Mit dem Gene Editing wird es nicht anders sein. Der chinesische Frühstart wird zwar zu Recht weltweit als skandalös verurteilt. Jedoch ist es nur eine Frage weiterer Fortschritte in der Editierung – insbesondere ihrer Sicherheit, wie u. a. der Vermeidung von Off-target-Effekten – bis man sich doch an die Keimbahnänderung herantrauen wird.

Durch CRISPR/cas und seine Weiterentwicklungen wird diese Behandlungsmethode einen großen Aufschwung erleben. Je mehr die Sicherheit in der Anwendung an somatischen Zellen wächst, desto häufiger wird sich der Blick auch auf die Keimbahn richten. Zu schwer und unerträglich sind manche von Generation zu Generation weitergegebene Krankheiten und Krankheitsanlagen. Wird hier eine Korrektur mit der nötigen Sicherheit möglich, würde dem Arzt – den heute noch der Vorwurf träfe, er handle bei einer Keimbahntherapie unethisch und rechtswidrig – womöglich ungeachtet eines fortbestehenden Verbots vorgeworfen, diese Therapie nicht anzuwenden, dem Patient nicht zu helfen, sei eine schwere arztethische Verfehlung.

Es ist daher falsch, gleichsam mit „Ewigkeitsanspruch“ die Keimbahntherapie abzulehnen, wie etwa Artikel 13 des 1997 in Oviedo verabschiedeten (von Deutschland nicht unterschriebenen) „Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin“. Gegenüber § 5 ESchG besteht sogar der Verdacht der Verfassungswidrigkeit dieses Verbots [30].

Keine „Haltelinie“ im Kampf gegen Krankheit

Seit Menschengedenken ist es Aufgabe des Arztes, gegen Krankheiten zu kämpfen. Er kämpft mit den Mitteln, die ihm in seiner Zeit zu Gebot stehen und deren Fortentwicklung oft zuvor – wie die Gentherapie – undenkbar erschien. Für dieses Bemühen, Krankheiten zu bekämpfen, gibt es keine „natürliche Haltelinie“. Ziel rechtlicher Regelungen kann daher nicht das definitive Verbot bestimmter Therapien sein, sondern die Bedingungen ihrer Ausführung: das Vorliegen einer Indikation, die bestmögliche Sicherheit der Maßnahme und deren „kunstgerechte“ Anwendung. Dies gilt auch, wenn sie irgendwann ins Stadium der Anwendung gelangt, für die Keimbahntherapie. Es erscheint dann sinnvoll, sie nach dem Vorbild der Geschlechtswahl, § 3 Satz 2 ESchG, nur bei schwersten Erkrankungen in Erwägung zu ziehen.

Hervorzuheben ist: Es geht um die Therapie von Krankheiten. Eine „gezielte Menschenzüchtung“ dagegen – angetrieben durch indikationslose, nur vom Patientenwillen getriebene Wünsche nach Verbesserung – widerspricht dagegen „zutiefst der Menschenwürde und den allgemeinen Menschenrechten“ [7].

Es geht um die Therapie von Krankheiten

Dass sich irgendwann die Maßstäbe dafür, was hinzunehmen und was zu ändern ist, verschieben, ist nach aller Erfahrung nicht auszuschließen. Damit wird jedoch nicht die Indikation als Voraussetzung für ärztliches Handeln aufgegeben, sondern die Definition dessen, was eine ärztliche Intervention rechtfertigt, ändert sich. Ethisch begründete und rechtssichere Entscheidungen zu treffen ist dann jedoch die Aufgabe derer, die zu gegebener Zeit den weiteren Weg des Gene Editing in die Zukunft begleiten. Man mag sie dafür an Novalis erinnern, der Ende des 18. Jahrhunderts dem neuen Jahrhundert entgegenrief: „Wenn die Menschen einen Schritt vorwärts tun wollen zur Beherrschung der äußeren Natur durch die Kunst der Organisation und der Technik, dann müssen sie vorher drei Schritte der ethischen Vertiefung nach innen getan haben.“ [32].

Fazit für die Praxis

  • Das Gene Editing ermöglicht es, Gene gezielt aus- und einzuschalten und zu korrigieren.

  • Die Anwendung dieser Technik an somatischen Zellen begegnet grundsätzlich keinen Bedenken.

  • Es ist zu hoffen, dass die Fortentwicklung der Gentherapie von dieser Technik gerade auch in der Onkologie auf zunehmend breiter Front profitiert.

  • Noch weit entfernt erscheint dagegen derzeit die Möglichkeit gezielter Eingriffe in die Keimbahn, um vererbbare Krankheiten kausal zu bekämpfen.

  • Gegen solche Versuche bestehen bis auf weiteres durchgreifende ethische und rechtliche Einwände. Werden irgendwann solche Maßnahmen technisch sicher möglich, wird über ihre Zulässigkeit neu zu entscheiden sein.