Am 13. September 2017 verstarb Herr Prof. Dr. med. Robert F. Schmidt, ehemaliger Direktor des Instituts für Physiologie an der Universität Würzburg, wenige Tage vor Vollendung seines 85. Lebensjahrs. Mit ihm verliert die Schmerzszene in Deutschland einen Kollegen von hohem internationalem Rang, der sich um den Aufbau der Schmerzforschung in Deutschland sehr verdient gemacht hat.

Robert Schmidt wurde am 16. September 1932 in Ludwigshafen am Rhein geboren. Er studierte von 1953 bis 1959 Medizin an der Universität Heidelberg. Bereits als Student hat sich Robert Schmidt sehr für das Fach Physiologie interessiert. Er promovierte 1959 an der Universität Heidelberg bei Prof. Wolfgang Trautwein über die Wirkung von Acetylcholin und Adrenalin auf Zellen des Erregungsleitungsgewebes des Herzens. Nach der Medizinalassistentenzeit 1959/1960 folgte 1960–1962 ein zweijähriger Studienaufenthalt als Research Scholar am Department of Physiology in Canberra (Australien) im Labor von Prof. John Eccles (Nobelpreis für Physiologie und Medizin 1963), den er mit einem Ph.D. (1963) an der Australian National University in Canberra abschloss. In Canberra befasste sich Robert Schmidt mit der synaptischen Verschaltung im Rückenmark und untersuchte insbesondere die Bedeutung der primär afferenten Depolarisation (PAD) und präsynaptischen Hemmung. Parallel dazu arbeitete er an der motorischen Endplatte. Nach Rückkehr an das Physiologische Institut der Universität Heidelberg erhielt er die Approbation als Arzt. Als wissenschaftlicher Assistent in Heidelberg setzte er besonders mit seinen Kollegen Manfred Zimmermann und Wilfrid Jänig die Arbeiten über die PAD fort und erweiterte sie durch die Anwendung physiologischer Reizung von Mechanorezeptoren der Haut. Auch entdeckte er sein Interesse an der Forschung über somatovegetative Reflexe, die er über viele Jahre (vor allem in Zusammenarbeit mit Akio Sato, damals Assistent in Heidelberg, später Professor in Tokyo), fortsetzte. Robert Schmidt habilitierte sich im Jahr 1964, und 1966 wurde er zum wissenschaftlichen Rat, 1970 zum apl. Professor in Heidelberg ernannt. Nach einem Forschungsaufenthalt 1970/1971 als Visiting Research Associate Professor am Department of Physiology, State University of New York at Buffalo, wurde er 1971 zum Direktor des Physiologischen Instituts an die Universität Kiel berufen. Dort machte er die sich international im Aufbruch befindende Schmerzforschung zu seinem Hauptforschungsgebiet. Im Jahr 1982 folgte er einem Ruf an die Universität Würzburg, wo er sich als Direktor des Instituts für Physiologie II bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 ebenfalls der Schmerzforschung widmete. Im Jahr 2001 erhielt er eine Ernennung zum Honorarprofessor durch die Medizinische Fakultät der Universität Tübingen. 1997–2008 war er Investigador Asociado am Instituto de Neurosciencias an der Universidad Miguel Hernández, San Juan de Alicante, in Spanien.

Als einer der Pioniere der Schmerzforschung in Deutschland hat sich Robert Schmidt vor allem mit den neurophysiologischen Grundlagen der Nozizeption im muskuloskeletalen System befasst. Zusammen mit Siegfried Mense hat er zunächst begonnen, elektrophysiologisch die Antworteigenschaften von Nozizeptoren des Skelettmuskels zu untersuchen. Parallel dazu hat er zusammen mit Monika von Düring und Karl-Hermann Andres erste ultrastrukturelle Untersuchungen zur Morphologie von Muskelnozizeptoren durchgeführt. Seit ca. 1980 galt sein Interesse vor allem den neurobiologischen Grundlagen des Gelenkschmerzes. Im Institut in Würzburg wurden von zahlreichen Kollegen die neurophysiologischen Grundlagen der Gelenknozizeption auf der Ebene der peripheren Nozizeptoren, des Rückenmarks, des Thalamus und des Kortex durchgeführt. Mit Hans-Georg Schaible hat er erstmals über die „silent nociceptors“ berichtet, also Nozizeptoren, die nur bei Entzündung des Gelenks durch Bewegungen aktiviert werden, ansonsten aber selbst bei Einwirkung noxischer Reize „stumm“ bleiben. Solche „silent nociceptors“ wurden nachfolgend auch in der Haut und in den Viszera gefunden. Es wird ihnen eine besonders wichtige Rolle bei der Induktion der zentralen Sensibilisierung zugeschrieben. Parallel wurden Gelenknozizeptoren ultrastrukturell und immunhistochemisch charakterisiert. Diese Untersuchungen hatten insbesondere auch das Ziel, die Neuroplastizität der Nozizeption bei pathologischen Prozessen wie Arthritis zu studieren (z. B. die periphere und zentrale Sensibilisierung). Diese Arbeiten haben wesentlich zu den modernen Konzepten der Nozizeption beigetragen, die heute von Grundlagenforschern und klinischen Schmerzforschern verwendet werden. Einige Arbeiten zur Innervation der Dura mater (zusammen mit Karl Meßlinger) runden das Werk von Robert Schmidt zur Nozizeption ab.

Robert Schmidt hat maßgeblich dabei mitgewirkt, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Schmerzforschung als drittmittelgeförderte Disziplin zu etablieren. Hervorzuheben sind 1979 die Gründung einer Forschergruppe Schmerz zusammen mit seinen Kollegen Wilfrid Jänig, Klaus Kniffki und Siegfried Mense, ein Schwerpunktprogramm der DFG zur Förderung der Schmerzforschung, das von ihm mitinitiiert wurde, und die Mitwirkung von Robert Schmidt und seinen Mitarbeitern am Sonderforschungsbereich 353 (Pathobiology of Pain) in Erlangen (Sprecher Prof. Hermann Handwerker), dem Robert Schmidt von 1992 bis 2003 angehörte. Robert Schmidt hat der DFG 1982–1988 als Mitglied des Bewilligungsausschusses des Senats für Sonderforschungsbereiche gedient.

Robert Schmidt war Herausgeber namhafter neurowissenschaftlicher Fachzeitschriften, Autor zahlreicher Originalarbeiten und Übersichtsartikel. Zusammen mit William D. Willis hat er 2007 die erste Encyclopedia of Pain herausgegeben, die Fortführung des Werks erfolgte zusammen mit G. F. Gebhart im Jahr 2013.

Generationen von Ärzten in Deutschland ist Robert Schmidt vor allem als Herausgeber der Physiologie des Menschen bekannt. Zusammen mit Gerhard Thews übernahm er den „Rein/Schneider“ und brachte zusammen mit ihm den ersten „Schmidt/Thews“ im Jahr 1976 heraus (beginnend mit der 17. Auflage). Die 29. Auflage des „Schmidt/Thews“ erschien 2005. Nach dem Tod von Gerhard Thews wurde Florian Lang Mitherausgeber (2007), und im Jahr 2010 (31. Auflage) wurde Manfred Heckmann ebenfalls Mitherausgeber. Leider kann Robert Schmidt die 32. Auflage (Schmidt, Lang, Brandes) nicht mehr erleben. Einige der Auflagen wurden ins Englische, Italienische, Spanische, Russische und Tschechische übersetzt. Neben dem „Schmidt/Thews“ hat er weitere Lehrbücher ins Leben gerufen: Biologische Psychologie mit Niels Birbaumer (1. Auflage 1990, 7. Auflage 2010), Physiologie kompakt (4 Auflagen, 1992–2001), Grundriss der Neurophysiologie (6 Auflagen, 1971–1987), Fundamentals of Neurophysiology (3 Auflagen, 1975–1985), Grundriss der Sinnesphysiologie (5 Auflagen, 1973–1985), Fundamentals of Sensory Physiology (3 Auflagen, 1978–1986), Neuro- und Sinnesphysiologie (3 Auflagen, 1993–1998), Neuro- und Sinnesphysiologie von Schmidt und Schaible (2 Auflagen, 2001–2006), Neurowissenschaft von Dudel, Menzel, Schmidt (2 Auflagen, 1996–2000), Pathophysiologie des Menschen von Hierholzer und Schmidt (1993), Pathophysiologie von Fölsch, Kochsiek, Schmidt (2000), Lehrbuch Vorklinik von Unsicker und Schmidt (2003).

In zahlreichen Ehrungen wurde Robert Schmidt für sein Wirken ausgezeichnet. Er wurde Fellow der Japan Society for the Promotion of Science (1977) sowie ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz (1987); er erhielt den Hartmann-Müller-Preis, Zürich (1990), einen Max-Planck-Forschungspreis zusammen mit Akio Sato, Tokio (1991), sowie den Deutschen Förderpreis für Schmerzforschung und Schmerztherapie (1994). Er wurde zum Ehrenmitglied der Columbian Society for the Study of Pain gewählt (1994), zum Doctor of Science honoris causa der University of New South Wales in Sydney ernannt (1996), zum Ehrenmitglied der Academia Nacional de Medicina, Mexiko, gewählt (1996), zum Ehrenmitglied der Japan Physiological Society ernannt (1996), es wurde ihm der Humboldt-Mutis-Preis vom spanischen Kultusministerium in Madrid verliehen (1999), er wurde Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (2000), es wurde ihm das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland verliehen (2000). Es folgten die Ernennungen zum Honorarprofessor der Eberhard Karls Universität Tübingen (2002), zum Ehrenmitglied der Deutschen Physiologischen Gesellschaft (2003), zum Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie (2003) und schließlich zum Ehrenmitglied der International Association for the Study of Pain (IASP; 2008).

Robert Schmidt hat als einer der Pioniere der Schmerzforschung daran mitgewirkt, die Erforschung des Schmerzes zu einer wesentlichen Disziplin in den Neurowissenschaften zu machen. Er hat durch seine Führungsqualitäten und seine Weitsicht dazu beigetragen, dass sich auch in Deutschland eine international sichtbare Forschung zu den Grundlagen des Schmerzes etablieren konnte. Seine Arbeitsrichtung galt der Neurophysiologie, aber er hat auch die anderen Disziplinen der Schmerzforschung immer sehr geschätzt und nach Möglichkeit gefördert. Er konnte junge Mitarbeiter für das Fach begeistern, und er hat ihnen alle Freiheiten eingeräumt, ihre eigene Laufbahn zu entwickeln. Wir verlieren mit Robert Schmidt ein „Urgestein der Schmerzforschung“ in Deutschland.

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Hans-Georg Schaible

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Lukas Radbruch