Zusammenfassung
Die neurotrophe Keratopathie (NK) ist eine degenerative Hornhauterkrankung, die auf einer Beeinträchtigung der kornealen Innervation beruht. Die Schädigung der sensiblen Innervation, die durch den 1. Ast des N. trigeminus (N. ophthalmicus) erfolgt, kann über die gesamte Länge des Nervenverlaufs erfolgen, ausgehend vom Kern im Hirnstamm z. B. durch einen Hirntumor, bis hin zu den terminalen Nervenfasern in der Kornea, z. B. verursacht durch refraktive Hornhautchirurgie (z. B. Laser-in-situ-Keratomileusis [LASIK]). Bedingt durch den Verlust der sensiblen Innervation kommt es zu einer verminderten Tränensekretion und einer Reduktion in der Ausschüttung trophischer Faktoren. Dieses wiederum inhibiert das Regenerationspotenzial des kornealen Epithels. Die Reduktion bzw. der Verlust der Tränensekretion gepaart mit dem verschlechterten Regenerationspotenzial der Epithelzellen kann in schwersten Fällen der Erkrankung zu persistierenden Epitheldefekten, Ulzera bis hin zur Perforation der Hornhaut führen. Die NK weist eine Prävalenz von 5 oder weniger Betroffenen pro 10.000 auf und wird als seltene/Orphan-Erkrankung (ORPHA137596) eingestuft. Ein grundlegendes Verständnis der Pathogenese und Epidemiologie der NK unterstützt eine frühzeitige Diagnose und damit die Einleitung einer spezifischen Therapie.
Abstract
Neurotrophic keratopathy (NK) is a degenerative corneal disease that is based on an impairment of the corneal innervation. The damage to the sensory innervation, which is delivered through the 1st branch of the trigeminal nerve (ophthalmic nerve), can occur throughout the entire length of the nerve from the nucleus in the brainstem, e.g. caused by brain tumors, to the terminal nerve fibers in the cornea, caused for example by refractive corneal surgery (e. g. LASIK). Due to the loss of the sensory innervation, a reduced lacrimation and a reduction in the secretion of trophic factors occur. This in turn inhibits the regeneration potential of the corneal epithelium. In the most severe cases of the disease, the reduction or loss of lacrimation, together with the impaired regeneration potential of the epithelial cells, can lead to persistent epithelial defects, ulcers and corneal perforation. The NK has a prevalence of 5 or fewer individuals per 10,000 and is classified as a rare, i. e. orphan disease (ORPHA137596). A fundamental understanding of the pathogenesis and epidemiology of NK supports the early diagnosis and therefore the initiation of a specific treatment.
Korneale Nerven sind verantwortlich für die Wahrnehmung von Schmerz, Temperatur und Berührung des Auges [1,2,3]. Sie spielen weiterhin eine wichtige Rolle in der Produktion und Sekretion der Tränenflüssigkeit, der Wundheilung der Augenoberfläche und des Lidschlagreflexes. Eine Beeinträchtigung der kornealen Innervation kann zu der degenerativen Erkrankung der neurotrophen Keratopathie (NK) führen [4,5,6]. Die Auslöser der Schädigungen sind vielfältig und finden sich entlang des gesamten Verlaufs des N. trigeminus, dem Hauptast der sensiblen Hornhautinnervation. Beispielsweise können Tumoren im Hirnstamm die 3 sensiblen Kerne des N. trigeminus (Nucleus mesencephalicus nervi trigemini, Nucleus pontinus nervi trigemini und Nucleus spinalis nervi trigemini) beeinträchtigen, oder die Nerven können durch refraktive Chirurgie direkt in der Kornea geschädigt werden [7, 8]. Die gestörte Innervation führt zu einer Reduzierung der Tränensekretion, die in Verbindung mit der ebenfalls gestörten epithelialen Heilungsfähigkeit der Kornea in schwersten Fällen zu einer Hornhautperforation bis hin zum Verlust des Auges führen kann. Bedingt durch die Komplexität der Erkrankung und die Problematik einer eindeutigen Diagnose gibt es bis heute kaum zufriedenstellende therapeutische Ansätze.
Anatomie und Physiologie der kornealen Nerven
Die Kornea ist das am dichtesten innervierte Gewebe des Körpers. Die Dichte der terminalen Nervenfaserenden ist 300- bis 600-fach höher als bei der Haut [9], 20- bis 40-fach höher als in der Zahnwurzel [10] und 100-fach höher als in der Bindehaut [11, 12]. Die hauptsächlich sensible Innervation der Kornea erfolgt durch die sensiblen Anteile des ersten Asts (V1, N. ophthalmicus) des 5. Hirnnervs, des N. trigeminus (Abb. 1). Dieser ophthalmische Ast verfügt zusätzlich über 2 Reflexbögen, die zum einen die motorische Regulation des Lidschlusses und zum anderen die autonome Regulation der Meibom- und Tränendrüse steuern [13, 14]. Ein kleiner Teil der inferioren Kornea wird zusätzlich durch Anteile des Ramus maxillaris des N. trigeminus versorgt [15].
Ein Anteil von ungefähr 1,5 % der Neurone des Ganglion trigeminale (200 bis 450 Neurone je nach Spezies) versorgen die Kornea [17]. Der nasoziliare Ast des N. ophthalmicus dringt durch die Fissura orbitalis superior in die Orbita ein und stellt den Hauptnerv dar, der die Augenoberfläche sensibel versorgt [18]. Zusätzlich treten 2 bis 3 lange Ziliarnerven und ein weiterer Ast direkt zum Ganglion ciliare über, aus dem 6 kurze Ziliarnerven entspringen und zusammen mit den langen Ziliarnerven des N. ophthalmicus am hinteren Augenpol im Bereich des N. opticus in den subarachnoidalen Raum eintreten, weiter nach anterior ziehen, die Iris und den Ziliarkörper versorgen und im perikornealen (limbalen) Plexus ein ringförmiges Netzwerk bilden (perikornealer Nervenplexus). Der limbale Plexus hat daher sowohl sensible als auch vegetative Nerven mit vorrangig vasomotorischer Funktion [19].
Aus dem limbalen Plexus ziehen in einer Serie von langen, radiär orientierten Faserbündeln sensorische und vegetative Nerven in das mittlere Drittel des kornealen Stromas. Die Fasern verlieren – zur Erhaltung der kornealen Transparenz – ihre Myelinschicht ca. 1–2 mm innerhalb des kornealen Limbus (Abb. 2). Diese Bündel verlaufen weiter anterior radial in Richtung Hornhautzentrum. Aus ihnen entspringen weitere Äste, die das anteriore und mittlere Stroma versorgen [20, 21]. Das posteriore Stroma enthält kaum bis keine Nervenfasen, auch wenn eine spärliche Innervation des kornealen Endothels nachgewiesen wurde. Trotzdem kann eine Störung der Innervation des Endothels zu einem kontinuierlichen Endothelzellverlust führen – sowohl zentral als auch peripher [22,23,24].
Die radial im vorderen Stroma verlaufenden Nervenfasern biegen im 90°-Winkel ab und durchdringen die Bowman-Lamelle hauptsächlich in der mittleren Peripherie und im Zentrum der Kornea [25]. Hier verzweigen sich die Nerven weiter, um nach einer erneuten 90°-Wende parallel zur Hornhautoberfläche direkt zwischen Bowman-Lamelle und den basalen Epithelzellen zu laufen und den subbasalen Nervenplexus zu bilden ([26]; Abb. 3). Die Nerven des subbasalen Plexus sind dünner als die stromalen Nerven und formen ein wirbelartiges Muster 1–2,5 mm inferonasal des kornealen Apex. Einige Fasern zweigen aus diesem Plexus ab, verlaufen intraepithelial und enden schließlich zwischen den oberflächlichen Epithelzellen [25, 27]. Die Anzahl der Nervenfaserbündel des subbasalen Nervenplexus in der humanen Kornea liegt bei ca. 5400 bis 7200. Da jedes Faserbündel viele nervale Seitenäste erzeugt und jedes dieser Bündel wiederum aus ca. 3 bis 7 individuellen Axonen besteht, kann die Gesamtanzahl der Axone des subbasalen Nervenplexus auf ca. 19.000 bis 44.000 geschätzt werden [28]. Da aus jedem Axon des Plexus ca. 10 bis 20 Nervenenden entstehen, wird die Anzahl der freien intraepithelialen Nervenenden wiederum auf ca. 315.000 bis 630.000 geschätzt [18].
Die Innervation der Kornea ist funktionell heterogen. Es wurden sowohl polymodale Nozizeptoren, Mechanorezeptoren als auch Kälterezeptoren gefunden, wobei 70 % der gesamten Nerven polymodale Rezeptoren, 20 % Mechano- und 10 % Kälterezeptoren sind [29]. Jede Klasse der Neurone ruft qualitativ unterschiedliche Empfindungen hervor und trägt so zu Tränensekretion und Lidschlussreflex bei [30, 31]. Während die Aktivierung der polymodalen Nozizeptoren durch mechanische, thermische oder chemische Stimuli eine Hyperalgesie, brennenden Schmerz oder eine neurogenen Entzündung hervorrufen kann, lösen die Mechanorezeptoren einen akuten Stichschmerz aus. Beide Rezeptoren lösen nach Aktivierung den Lidschlussreflex und eine vermehrte Tränensekretion aus [32]. Die Wahrnehmung der Abkühlung und Austrocknung der Augenoberfläche wird durch die Kälterezeptoren vermittelt, die so die Tränenbasalsekretion und den Lidschluss modulieren [31, 33].
Die kornealen terminalen Nervenendigungen sezernieren eine Vielzahl von Neuromediatoren (z. B. Substanz P [SP] und Calcitonin Gene-Related Peptide [CGRP]), welche die Homöostase der Epithelzellen erhalten, die Zellproliferation und Migration fördern und damit einen positiven Effekt auf die Wundheilung haben [34]. Auf der anderen Seite sezernieren die Epithelzellen und die limbalen epithelialen Stammzellen verschiedene neurotrophe Faktoren, die wiederum die Regeneration der kornealen Nerven fördern [35, 36]. Hierzu zählen insbesondere der „nerve growth factor“ (NGF), der „brain derived neurotrophic factor“ (BDNF), „ciliary neurotrophic factor“ (CNTF), Neurotrophin 3, 4/5 und der „epidermal growth factor“ (EGF) [37]. NGF ist ein Molekül, das in der gesunden Kornea vorhanden ist und wichtig für die Entwicklung und die Erhaltung der kornealen Nerven sowie der Epithelzellen ist. In der Kaninchenkornea fördert NGF die Differenzierung und Proliferation der Epithelzellen [38]. Weiterhin induziert NGF die Expression von Acetylcholin (Ach) im zentralen Nervensystem und von Substanz P im peripheren Nervensystem. Durch die Modulation der neuronalen Funktionen spielt es eine wichtige Rolle im Gleichgewicht zwischen sensorischer und sympathischer Innervation [39]. NGF sowie die zugehörigen Rezeptoren TrkA und p57NTR werden von den Epithelzellen, Endothelzellen, Keratozyten und Neuronen der Hornhaut exprimiert [40, 41]. NGF beeinflusst über perivaskuläre Nerven auch den Blutfluss im Limbus und kann in den Prozess der Hornhautneovaskularisierung eingebunden sein [42]. Es stellt einen zentralen Faktor für die Integrität der Kornea dar, vermittelt durch dessen Einfluss auf die verschiedenen Zelltypen und auf die kornealen Nerven.
Definition der neurotrophen Keratopathie
Die Definition der NK hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht geändert. Eine aktuelle Definition von Rabiolo und Woodward aus dem Jahr 2017 [43] lautet: Die „neurotrophe Keratopathie (NK) ist eine degenerative Hornhauterkrankung charakterisiert durch eine Reduktion oder das Fehlen der Hornhautsensibilität. Bei NK ist die korneale Innervation durch den N. trigeminus beeinträchtigt.“ Die neueste Definition stammt von Dua et al. [73] und beschreibt die NK wie folgt: „Die neurotrophe Keratopathie ist eine Erkrankung, die mit Veränderungen der Hornhautnerven einhergeht und dadurch zu einer Beeinträchtigung der sensorischen und trophischen Funktion mit konsekutivem Zusammenbruch des Hornhautepithels führt und so die Gesundheit und Integrität des Tränenfilms, des Epithels und des Stromas beeinträchtigt.“ Alle Definitionen der NK beschreiben diese als eine „degenerative Erkrankung“ und die „beeinträchtigte korneale Innervation“ als die zugrunde liegende und elementare Pathologie.
Prävalenz
Aufgrund der vielfältigen lokalen und systemischen Ursachen einer NK wird die Grunderkrankung klinisch leicht übersehen. Es verwundert daher nicht, dass die NK bislang als seltene/Orphan-Erkrankung (ORPHA137596) mit einer Prävalenz von 5 oder weniger Betroffenen pro 10.000 eingestuft wird [44]. Eine aktuelle Studie zur NK aus Frankreich fand in einer Population von 305.351 Patienten, 354 Augen bei 335 Patienten von einer NK betroffen, was einer Inzidenz von 5,79/10.000 entspricht [45]. In einer weiteren aktuellen Untersuchung fanden wir die Diagnose einer NK im eigenen Patientengut (Klinikschwerpunkt Hornhauterkrankungen) unter 49 Patienten mit Notfallkeratoplastik, 189 Augen mit Amnionmembrantransplantation und 36 Anwendern von Eigenserumaugentropfen in 35 %, 23 % und 19 % der Fälle [46].
Es liegen jedoch nur wenige Daten aus der Literatur über die tatsächliche Prävalenz der NK vor, sodass bislang lediglich eine Abschätzung der Prävalenz auf der Basis epidemiologischer Daten von NK-assoziierten Erkrankungen vorgenommen werden kann [47]. Beispielsweise hat eine Herpes-Virus-assoziierte Keratitis eine Inzidenz von 1,22/10.000 und eine operationsbedingte Nervenschädigung eine Inzidenz von 0,02/10.000. Da etwa 6 % dieser Patienten eine NK entwickeln, resultiert hieraus eine Prävalenz von 149/100.000 [48]. Bei der Herpes-zoster-Keratitis liegt der NK-Anteil bei 12,8 % (Prävalenz 26/100.000) [49]. Nach der Herpes-Keratitis ist die zweithäufigste Ursache der NK ein neurochirurgischer Eingriff bei Trigeminusneuralgie. Die hierbei durchgeführte chirurgische Ablation des Ganglion trigeminale führt bei 2,8 % (Prävalenz 1,5/10.000) der Patienten zu einer Schädigung des N. trigeminus. Hieraus resultiert eine Prävalenz der NK nach neurochirurgischem Eingriff von 0,02/10.000 [50]. Es liegen jedoch kaum bis keine epidemiologische Daten für die Vielzahl an weiteren NK auslösenden Erkrankungen vor, wie z. B. Diabetes, multiple Sklerose, chemische Verätzungen der Augenoberfläche, intrakranielle Raumforderungen im Bereich des N. trigeminus und das Tragen von Kontaktlinsen.
Herpes-Keratitis und neurochirurgischer Eingriff bei Trigeminusneuralgie sind die häufigsten Ursachen der NK
Eine NK kann mit Symptomen des trockenen Auges assoziiert sein, so z. B. bei neuropathisch trockenem Auge nach keratorefraktiver Laserchirurgie. Die Inzidenz des neuropathischen trockenen Auges nach Laserchirurgie liegt bei 2–5 % bei kaukasischen Patienten und bei 28 % bei asiatischen Patienten [51, 52]. Zusammenfassend liegen also aufgrund der vielfältigen Ursachen und schweren Diagnose bis heute keine klaren Daten zur Prävalenz der Erkrankung vor.
Pathophysiologie und Pathogenese
Die NK kann durch mehrere unterschiedliche Pathomechanismen entstehen. Diese reichen von der Austrocknung des kornealen Epithels aufgrund einer verminderten Tränensekretion durch Störungen des 5. und der parasympathischen Anteile des 7. Hirnnervs über die verminderte Hornhautsensibilität durch direkte Schädigung der kornealen Nerven beispielsweise durch neurochirurgische Eingriffe oder maligne Neoplasien entlang des 5. Hirnnervs, refraktive Chirurgie der Kornea oder andere direkte Beeinträchtigungen des N. trigeminus. Diese Schädigung kann zu einem reduzierten Lidschlussreflex, einem Verlust der Sekretion trophischer Faktoren bis hin zu einem abnormalen Epithelzellmetabolismus führen. Der Mangel an trophischen Faktoren kann einen veränderten Zellmetabolismus und in der Folge eine gestörte Regenerationsfähigkeit des Hornhautepithels auslösen, was schlussendlich in einer erhöhten Gefahr von Infektionen und exazerbierten Mikrotraumata resultiert [2, 18, 43, 53]. In den meisten Fällen ist eine Kombination all dieser Faktoren die wahrscheinliche Grundlage der NK.
In Tiermodellen zeigte sich, das eine Verletzung des N. trigeminus zu einem Epithelzellödem, dem Verlust der Mikrovilli auf der Zelloberfläche, einer beschleunigten Desquamation, gefolgt von einer Ausdünnung der Epithelzellschichtdicke bis hin zum vollständigen Epithelverlust führen kann [1, 54]. Eine Reduktion der Zellproliferation begünstigt zusätzlich die Entstehung von Erosionen und Ulzera und beeinträchtigt gleichzeitig die Wundheilung [9]. In einem weiteren Tiermodell der NK, das durch die Amputation des Ganglion trigeminale in Albino-Kaninchen generiert wurde, konnte eine Verlangsamung der Wundheilung, eine Reduzierung der Desmosomen und eine exzessive Exfoliation der Epithelzellen gezeigt werden, was schlussendlich zu der Bildung persistierender Epitheldefekte führte [55]. Ein direkter Zusammenhang einer Trigeminusschädigung und einer NK gilt somit als belegt. Es zeigte sich in weiteren Studien, dass der Ort der Trigeminusschädigung eine wichtige Rolle spielt. Dhillon et al. zeigten in einer Studie mit 21 Patienten, dass eine partielle Schädigung des Ganglions oder eine Schädigung der präganglionären Fasern zu einer Hornhauthypoästhesie/Anästhesie mit nur einer geringen trophischen Änderung der Kornea und einem intakten subbasalen Nervenplexus einhergehen kann und sich lediglich als Keratitis punctata manifestiert. Eine vollständige Schädigung des Ganglions oder partielle Schädigungen der postganglionären Fasern hingegen resultieren in einer schwereren Verlaufsform der NK [56].
Die Reduktion der Tränensekretion, die auf vielen unterschiedlichen Ursachen basieren kann (z. B. Autoimmunerkrankungen wie das Sjörgren-Syndrom, Schädigung des N. trigeminus etc.), zusammen mit dem einhergehenden Verlust der Epithelzellviabilität kann zu einer verminderten Ausschüttung neurotropher Faktoren, besonders von NGF, auf der Augenoberfläche führen. Da NGF sowohl essenziell für das Überleben der kornealen Neurone ist [39, 57] wie auch für die Funktion der Epithelzellen, resultiert eine Verringerung der Expression in einer gestörten Nerven- und Hornhautfunktion [34, 58, 59]. Weiterhin kommt es als Folge einer reduzierten Zellteilung der limbalen Stammzellen zu einer Verlangsamung oder Störung der zentripetalen Migration der Zellen aus dem Limbus. Dies kann zu einer Zellüberalterung insbesondere im Hornhautzentrum führen.
Es besteht ein direkter Zusammenhang einer Trigeminusschädigung und einer NK
Die Fähigkeit, den Tränenfilm auf der Oberfläche zu halten, nimmt mit dem Zellalter ab. Dies ist teilweise bedingt durch die Reduktion der membranständigen Muzine, die von den Epithelzellen selbst sezerniert werden (MUC1, MUC4 und MUC16) [60]. Dies in Kombination mit dem in Qualität und Quantität veränderten Tränenfilm reduziert die Schutzwirkung des Tränenfilms vor Scherkräften und anderen äußeren Einflüssen auf die Augenoberfläche. Die zentral auftretende Epitheliopathie bei beginnender NK sowie die häufig nachfolgenden zentralen Ulzera lassen sich hierdurch erklären [44].
Die Auslöser dieser Pathomechanismen sind ebenso vielfältig und resultieren in einer Schädigung des 5. Hirnnervs oder dessen ophthalmologischen Astes. Die häufigsten Ursachen einer schweren NK sind Herpes-Infektionen, chemisch- und/oder thermische Verätzungen, Kontaktlinsenschäden, augenärztliche und neurochirurgische Eingriffe, aber auch genetische Ursachen, ebenso wie Systemerkrankungen oder einige Medikamente (Tab. 1).
Infektionen
Eine der häufigsten Ursachen der NK stellen Infektionen dar. Der Verlust von Mechanosensibilität bei und nach Herpes-simplex- oder Varicella-zoster-Keratitis ist eine verbreitete Komplikation [66, 67]. Vermutlich beinhaltet jede Form der mikrobiellen Keratitis eine zumindest partielle und temporäre korneale Neuropathie. Eine wiederkehrende Herpes-Infektion kann zu persistierenden Epitheldefekten führen, begleitet von einer reduzierten Tränenfilmaufrisszeit („break up time“ [BUT]), einer verringerten Tränensekretion (Schirmer-Test) und einer reduzierten kornealen Empfindlichkeit. Diese tritt oft nicht nur im betroffenen, sondern auch im von der Infektion primär nicht betroffenen Auge auf [68,69,70]. Studien mit konfokaler In-vivo-Mikroskopie (IVCM) zeigten bei Patienten mit Herpes zoster eine signifikante Reduzierung in der Gesamtlänge, der Gesamtanzahl und den Verzweigungen der Hornhautnerven und Nervenstämme in beiden Augen im Vergleich zu gesunden Kontrollen. Hamrah et al. (2010) zeigten eine signifikante Abnahme der Nervendichte von 2258,4 ± 989,0 bei der gesunden Kontrollgruppe auf 448,9 ± 409,3 bei den direkt betroffenen Herpes simplex keratitis (HSK)-Augen und 992,7 ± 465,0 bei den kontralateralen, nicht HSK-infizierten Augen. In einer weiteren Studie von Hamrah et al. (2013) zeigten sich ähnliche signifikante Werte der Gesamtnervenlänge: 16.916,9 ± 7408,2 μm/mm2 bei Kontrollen, 4462,9 ± 2682,4 μm/mm2 bei HSK-Augen und 7888,4 ± 3306,4 μm/mm2 bei den kontralateralen Augen. Die Gesamtanzahl der Nerven war ebenfalls in beiden Augen reduziert von 13,1 ± 3,8 in den gesunden Kontrollen auf 5,4 ± 2,8 bei den HSK-Augen und 8,3 ± 2,9 bei den kontralateralen Augen. Weiterhin war eine positive Korrelation der Abnahme der Nervenzellzahl und -verzweigung mit der Abnahme der kornealen Empfindlichkeit nachweisbar [6, 66]. Diese Befunde wurden in Tierversuchen mit Kaninchen bestätigt, wo es durch eine unilaterale trigeminale Axotomie zu einem bilateralen Verlust der kornealen Nerven und einer Infiltration von Immunzellen kam [71, 72]. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass eine Schädigung des zentralen Nervenverlaufs des N. trigeminus in einer bilateralen Schädigung der kornealen Nerven und damit in einer bilateralen Ausprägung der NK resultieren kann.
Hornhautdystrophien
Hornhautdystrophien können ebenfalls Ursache einer Hornhautsensibilitätsstörung sein. Bei Dystrophien mit Beteiligungen des Epithels wie bei der granulären und gittrigen Dystrophie ist dies aufgrund der bei diesen Erkrankungen oft beobachteten subepithelialen Vernarbung nicht verwunderlich [73]. Aber auch die am häufigsten vorkommende Dystrophie – die Fuchs-Endotheldystrophie (FED) kann – neben der primär verdickten Descemet-Membran, den Guttae sowie einem Hornhautödem – eine NK entwickeln. So konnten klinisch eine signifikante Abnahme der Nervendichte des subbasalen Nervenplexus als auch eine Sensibilitätsminderung in schweren Fällen der Erkrankung gezeigt werden [74, 75]. Mittels IVCM wurden bei 30 Patienten mit FED sowohl die Gesamtlänge, die Gesamtzahl, die Anzahl der Nervenäste und der Nervenverzweigungen ausgewertet. Diese Studie zeigte eine signifikante Korrelation zwischen der Reduktion der subbasalen Nerven und dem Stadium der FED, einer Visusminderung und einer ansteigenden zentralen Hornhautdicke [74]. Ein ähnlicher Befund wurde bei Patienten im Frühstadium der Erkrankung gefunden [76]. Bei 46 % bzw. 40 % wurde eine Reduktion der Nervenzahl bzw. Hauptnervenstämme detektiert, die zusätzlich mit dem Endothelzellverlust korrelierte.
Beeinträchtigungen des zentralen Nervensystems
Ein Trigeminusschaden kann entlang des gesamten Nervenverlaufes stattfinden, ausgehend von den 3 Kernen im Hirnstamm bis hin zu den terminalen Nervenfasern in der Kornea. Zerebrovaskuläre Insulte des Hirnstammes können ebenso eine NK verursachen wie ein Apoplex, ein Aneurysma und degenerative Erkrankungen des ZNS (zentrales Nervensystem; wie z. B. Morbus Alzheimer oder Morbus Parkinson) oder Neoplasien entlang des Nervenverlaufs und chirurgische Eingriffe besonders im Bereich des Hirnstammes [9, 77, 78]. Alle genannten Ursachen führen schlussendlich zu einer Schädigung des N. trigeminus, die in vielen Fällen eine NK auslöst.
Genetische Ursachen
Genetische Ursachen der NK, die typischerweise mit einer Hornhautsensibilitätsstörung einhergehen, sind eher selten. Hier ist v. a. das Riley-Day-Syndrom (hereditäre sensibel-autonome Neuropathie Typ III), eine autosomal-rezessiv vererbten Erkrankung, zu nennen, bei der es durch die Funktionsstörung des N. sympathicus zu einer Verminderung der Tränensekretion kommen kann. Das Möbius-Syndrom, das gekennzeichnet ist durch die Lähmung der mimischen Gesichtsmuskulatur, das Goldenhar-Gorlin-Syndrom (Fehlbildung der Augen [bis hin zum vollständigem Fehlen des Auges] und der Ohrmuschel sowie Wachstumsstörungen des Gesichtes) und die familiäre korneale Hypästhesie stellen weitere mögliche genetische Ursachen der NK dar.
Systemerkrankungen
Diabetes mellitus, multiple Sklerose oder Morbus Hansen (Lepra) können die sensorischen Nervenfasern der Hornhaut direkt schädigen [79, 80]. Bei Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes mellitus wurde eine positive Korrelation zwischen Zeitpunkt und Schwere einer diabetischen Retinopathie (DRP) und einer NK nachgewiesen. Es zeigten sich jedoch keine Unterschiede in der Reduktion der kornealen Innervation zwischen Patienten mit nichtproliferativer und proliferativer diabetischer Retinopathie. Patienten ohne eine DRP wiesen einen geringeren Effekt auf die kornealen Nerven auf als Patienten mit DRP [81]. Eine Studie von Sekhar et al. von 1994 zeigte eine Veränderung der kornealen Nerven bei Lepra [82]. Hier fanden sich bei 11 % der Fälle (19 von 178 Augen) perlschnurartige Veränderungen der Hornhautnerven. Eine korneale Hypoästhesie fand sich sogar bei 29 % (50 von 178 Augen) der Augen. Beide Arbeiten konnten einen Zusammenhang der systemischen Erkrankung mit einer Veränderung der kornealen Innervation und damit einer möglichen NK zeigen.
Augenoperationen
Eine direkte Schädigung des subbasalen Nervenplexus kann bei verschiedenen Eingriffen erfolgen wie der Hornhauttransplantation, der radiären Keratotomie, der photorefraktiven Keratektomie (PRK) und der Laser-in-situ-Keratomileusis (LASIK) [83]. Nach einem LASIK-Eingriff kann es zu einem Nervenfaserverlust von fast 90 % kommen. Die Nervenfaserdichte ist auch 3 Jahre postoperativ nicht vergleichbar mit der unbehandelten Seite [5, 84, 85].
Nach einem LASIK-Eingriff kann es zu einem Nervenfaserverlust von fast 90 % kommen
Auch bei neueren Verfahren wie der Small Incision Lenticule Extraction (SMILE)-Operation kommt es zur Schädigung der kornealen Nerven. Initial liegt eine ähnliche Reduktion der Nervenfaserlänge und -dichte wie bei der LASIK vor. Nach 4 Wochen kommt es jedoch – zumindest im Kaninchenmodell – nach zu einer verbesserten Nervenregeneration. Nach SMILE-Operation zeigte sich eine durchschnittliche Anzahl von subbasalen Nerven in der zentralen Kornea von 0,67 gegenüber 0,17 im Vergleich zu 1,17 bzw. 1,50 in der LASIK-Kontrollgruppe [86]. Ähnliche Befunde wie bei den LASIK-Patienten zeigten sich bei Patienten nach perforierender Keratoplastik. Hier waren auch 12 Jahre nach dem Eingriff bei 48 % der Transplantate noch keine subbasalen Nerven nachweisbar. In anderen Fällen zeigte sich ein ungerichtetes Einwachsen der Nerven in die Kornea, sodass die Nervenenden nicht mehr bis zu der Epithelzellschicht ziehen, sondern funktionslos im Stroma verbleiben. Die Entwicklung oder eine Verschlechterung einer vorliegenden NK kann die Folge sein [87,88,89,90].
Medikamente
Konservierungsmittel, wie z. B. Benzalkoniumchlorid (BAK), das in Augentropfen verwendet wird, haben einen negativen Einfluss auf die Integrität der Augenoberfläche und der kornealen Nerven. BAK löst konzentrationsabhängig proinflammatorische und proapoptotische Effekte aus und kann chronisch entzündliche Veränderungen sowie ein trockenes Auge verursachen [91, 92]. Neben der nachgewiesenen direkten Neurotoxizität und den damit ausgelösten Nervenschädigungen von BAK [93, 94] zeigte sich auch eine starke Beeinträchtigung der Wundheilung der Kornea in Tiermodellen, sogar unterhalb der in den meisten Augentropfen verwendet Konzentration von 0,01 % [95, 96]. Zusätzlich konnte für die Wirkstoffe, wie z. B. die β‑Blocker Timolol und Betaxolol, ein negativer Effekt auf die korneale Nervenzahl und -dichte nachgewiesen werden ([97]; Tab. 2).
Schlussfolgerung
Zusammenfassend führt der Verlust oder die Verringerung der kornealen Hornhautinnervation und damit der kornealen Sensitivität zu einer Beeinträchtigung des Hornhautepithels, woraus sich schlussendlich eine NK entwickeln kann.
Neben der direkten Schädigung des N. trigeminus ist die Beeinträchtigung der Tränensekretion ein weiterer wichtiger Faktor. Diese führt zu einem instabilen Tränenfilm sowie zu einer veränderten Zusammensetzung des Tränenfilms in Hinblick auf Wachstumsfaktoren, Zytokine und antimikrobielle Peptide. Die Verringerung der Faktoren im Tränenfilm hat negative Auswirkung auf die Epithelzellhomöostase und damit auf die Beschaffenheit der Epithelzellschicht.
Die Schädigung der Nerven führt seinerseits zu einer Reduktion von trophischen Neuromediatoren, die ebenfalls für die Epithelzellhomöostase wichtig sind. Es kommt zu einer gestörten Zellteilung der limbalen Stammzellen, mit nachfolgend verlangsamter zentripetaler Migration der ausdifferenzierten Epithelzellen. Dies resultiert in einer Überalterung der zentralen Epithelzellen, die schneller zugrunde gehen und weniger gut den Tränenfilm halten können. Zusätzlich kommt es zu einem Verlust der Zell-Zell-Kontakte, wie den „tight junctions“ und der Zonulae occludens, was das Risiko einer bakteriellen Anhaftung und damit einer Infektion verstärkt. Diese Tränenfilmveränderungen zusammen mit dem veränderten Epithelzellstoffwechsel und der reduzierten Zellteilung in Kombination führen schlussendlich zur Entwicklung eines zentralen Epitheldefektes.
Die gestörte Tränensekretion, inflammatorische Zytokine und die auftretenden Epitheldefekte machen das darunterliegende Stroma angreifbar für Metalloproteasen, was wiederum zur progredienten Ulzeration führen kann [98].
Fazit für die Praxis
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Die neurotrophe Keratopathie ist eine degenerative Hornhauterkrankung, die auf der Beeinträchtigung der kornealen Nervenversorgung bzw. einer Schädigung des N. trigeminus beruht.
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Die Ursachen der Schädigung des 5. Hirnnervs sind sehr unterschiedlich, angefangen von kraniellen neurochirurgischen und augenärztlichen Operationen (perforierende Keratoplastik), entzündlichen Erkrankungen, Infektionen (Herpes simplex, Herpes zoster) bis hin zu systemischen Erkrankungen wie Diabetes.
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Die Schädigung der Hornhautnerven hat negative Auswirkungen auf die Regenerationsfähigkeit des Epithels sowie auf die Tränensekretion.
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In schwersten Fällen kann sich aus der gestörten Epithelzellregeneration und Proliferation ein persistierender Epitheldefekt, ein Ulkus bis hin zu einer Perforation entwickeln.
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Bei einer NK sollte die Regeneration der Hornhautsensibilität daher ein Therapieziel sein.
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Interessenkonflikt
S. Mertsch und J. Alder geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. H.S. Dua und G. Geerling geben Tätigkeiten als Berater und Vortragende für Dompé Farmaceutici an. G. Geerling hat Mittel für die Durchführung eines selbst initiierten Forschungsprojektes von Dompé Farmaceutici erhalten.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Mertsch, S., Alder, J., Dua, H.S. et al. Pathogenese und Epidemiologie der neurotrophen Keratopathie. Ophthalmologe 116, 109–119 (2019). https://doi.org/10.1007/s00347-018-0823-9
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00347-018-0823-9