Einleitung

Weltweit bleibt der Erreger der Tuberkulose (TB), Mycobacterium tuberculosis (Mtb), die tödlichste Mikrobe [1]. Im Jahr 2018 starben 1,5 Mio. Menschen und 10 Mio. Menschen erkrankten neu. Man schätzt, dass weltweit ca. 1,7 Mrd. Menschen mit dem Mtb-Erreger infiziert sind, von denen im Laufe ihres Lebens etwa 10 % erkranken [2]. Die TB soll nach Vorstellungen der WHO bis 2035 deutlich zurückgedrängt werden: Im Vergleich zu 2015 wird angestrebt, die Mortalität um 95 % und die Morbidität um 90 % zu verringern [1, 3, 4]. Allgemein wird akzeptiert, dass dies nur gelingen kann, wenn die derzeit verfügbaren Möglichkeiten weltweit vollständig genutzt werden und gleichzeitig bessere Interventionsmaßnahmen, also bessere Medikamente, Diagnostika und Impfstoffe, entwickelt werden. Die Befürchtung, dass das Ziel der WHO nicht erreicht werden kann, besteht insbesondere auch deshalb, weil die Situation durch zwei Faktoren erschwert wird: Erstens sind Koinfektionen von HIV (humanes Immundefizienzvirus) und Mtb immer noch zu hoch; zweitens nehmen multiresistente („multi-drug-resistant“, MDR) und extensiv resistente („extensively drug-resistant“, XDR) TB-Fälle erschreckend zu [1]. Obwohl mit Bacille Calmette-Guérin (BCG) ein Impfstoff zur Verfügung steht, ist dessen Wirksamkeit ungenügend. Im Folgenden werden neue Impfstoffkandidaten gegen TB beschrieben, die sich derzeit in klinischer Überprüfung befinden.

Immunpathologie der TB

Am häufigsten wird die TB aerogen übertragen (Abb. 1). Patienten mit offener TB leiden unter schweren Hustenanfällen und Auswurf [2]. Dabei entstehen Aerosole mit Tröpfchenkernen von <5 µm Durchmesser, die Mtb enthalten. Personen in der Umgebung atmen Tröpfchen mit Mtb-Keimen ein, die auf diese Weise in die Alveolarräume der Lunge gelangen. Dort werden sie von professionellen Phagozyten, in erster Linie Makrophagen und Granulozyten im Alveolarraum, sowie dendritischen Zellen, die im Alveolarepithel eingebettet sind, aufgenommen [2, 5]. Die dendritischen Zellen transportieren die Erreger in die drainierenden Lymphknoten in der Lunge und die Alveolarmakrophagen verschleppen sie in das Lungengewebe. Dort vermehren sich die Mtb-Erreger und bilden einen Entzündungsherd. In den Lymphknoten stimulieren die dendritischen Zellen eine erworbene antigenspezifische Immunantwort, d. h., sie aktivieren T‑Lymphozyten und B‑Lymphozyten. T‑Lymphozyten rezirkulieren und gelangen so in die Lunge, wo sie am Ort der bakteriellen Ablagerung die Bildung eines soliden Granuloms induzieren [5,6,7]. B‑Lymphozyten verwandeln sich in Plasmazellen, die Mtb-spezifische Antikörper produzieren. Die T‑Zell-Antwort basiert in erster Linie auf spezifischen CD4-T-Lymphozyten vom T‑Helfer-1-Typ (TH-1). Wahrscheinlich werden auch spezifische TH-17-Zellen gebildet, die an der frühen Entzündung mitwirken. Zusätzlich entwickeln sich auch spezifische CD8-T-Zellen. Diese wie auch die TH-1-Lymphozyten produzieren die typischen Typ-I-Zytokine, d. h. Tumor-Nekrose-Faktor (TNF), Interferon‑γ (IFN-γ) und Interleukin‑2 (IL-2). Neben diesen Markerzytokinen werden bei der TB weitere Zytokine gebildet. Die CD8-T-Zellen sind auch zytolytisch, d. h., sie sind außerdem in der Lage, infizierte Makrophagen und auch Mtb direkt abzutöten.

Abb. 1
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Übersicht über die Immunantwort gegen Tuberkulose. Weitere Erklärungen siehe Text

Die entstandenen soliden Granulome mauern die Mtb-Keime ein und verhindern so die klinische Erkrankung (Abb. 1). In diesen Granulomen wandelt sich Mtb von einem metabolisch und replikativ aktiven Keim in einen dormanten Keim, der seine Lebensaktivitäten auf ein Minimum herunterfährt [6, 7]. Es entwickelt sich eine latente TB-Infektion (LTBI). Bei ca. 90 % der etwa 1,7 Mrd. LTBI-Fälle weltweit bleibt dieses Stadium lebenslang bestehen, d. h., die Personen erkranken nie [2, 8]. Bei ca. 10 % der Personen mit LTBI entwickelt sich im Laufe ihres Lebens eine aktive TB-Erkrankung. Bei knapp der Hälfte dieser Fälle bricht die TB innerhalb der ersten zwei Jahre aus. Bei den übrigen erst zu einem späteren Zeitpunkt.

Gerade den erst nach Jahren einsetzenden TB-Erkrankungen geht häufig eine Immunschwäche voraus. Diese kann (i) durch eine Koinfektion, (ii) durch eine Komorbidität und (iii) durch eine allgemeine Erschöpfung der Immunantwort angestoßen werden. Die wichtigste Koinfektion ist die Infektion mit HIV (humanes Immundefizienzvirus) und die TB ist die häufigste Todesursache von Patienten mit Aids (Acquired Immunodeficiency Syndrome; [1, 9]). Eine schwerwiegende Komorbidität für TB ist Diabetes mellitus [1, 9]. Die Schwächung bzw. Erschöpfung der Immunantwort wird durch verschiedene noch immer nicht ganz verstandene Mechanismen ausgelöst [10, 11]. Beteiligt sind myeloide Suppressorzellen („myeloid derived suppressor cells“) und regulatorische T‑Lymphozyten, welche inhibitorische Zytokine wie Interleukin-10 (IL-10) und TGF‑β (Transforming Growth Factor, transformierender Wachstumsfaktor) produzieren. Zusätzlich spielen auch direkte Zell-Zell-Interaktionen eine Rolle, an denen inhibitorische Oberflächenmoleküle, wie PD-1/PDL‑1 und CTLA-4/B7-Rezeptorpaare, beteiligt sind. Diese Interaktionen werden heute als Checkpoint Control bezeichnet und die Aufhebung ihrer inhibitorischen Wirkung wird bei der Krebstherapie erfolgreich genutzt [12].

Dem Krankheitsausbruch liegt auf Organebene die Umwandlung des soliden Granuloms in ein nekrotisches Granulom, das schließlich verkäst, zugrunde [6, 7]. In diesen Granulomen „wachen“ die Mtb-Keime wieder auf, werden stoffwechselaktiv und vermehren sich. Wenn das verkäsende Granulom in den Alveolarraum aufbricht, gelangen die Bakterien in die Umgebung – der TB-Patient ist ansteckend. Gelangen Mtb-Bakterien in den Blutstrom, können andere Organe infiziert werden, in denen sich dann ebenfalls Gewebeschäden entwickeln. Wir wissen heute, dass die drei Granulomformen bei der TB ein Kontinuum bilden und dass bei der Erkrankung alle Ausprägungen parallel vorkommen [6, 7]. Damit liegen auch die Mtb-Erreger bei der aktiven TB in unterschiedlichen Stadien vor. Dies ist ein Grund für die lange Behandlungsdauer von 6 Monaten. Während nämlich im soliden Granulom die Mtb-Keime dormant sind und daher sehr schlecht auf antibiotische Behandlung ansprechen, sind sie in den verkästen Granulomen aktiv und damit auch suszeptibel gegen TB-Medikamente [6, 7]. Weiterhin weisen neuere Untersuchungen darauf hin, dass der aktiven TB eine subklinische TB vorausgeht [13, 14]. Bei dieser Form der TB werden wahrscheinlich die Entzündungsreaktionen, welche von nekrotischen und verkästen Granulomen ausgehen, langsam stärker, wobei dieser Prozess im Laufe von 6 bis 12 Monaten in eine aktive TB mündet.

BCG – der einzige lizenzierte TB-Impfstoff

Der bis heute einzige lizenzierte TB-Impfstoff, Bacille Calmette-Guérin (BCG), stammt vom Erreger der Rindertuberkulose, Mycobacterium bovis, ab [15]. Er wurde von den französischen Biomedizinern Albert Calmette und Camille Guérin zwischen 1906 und 1919 durch serielle Passage auf sterilen Kartoffelscheiben, die mit Ochsengalle getränkt waren, attenuiert [15]. Bereits 1908 konnten die Wissenschaftler feststellen, dass die 30. Passage in Tierexperimenten sicher war und Schutz vermittelte. 1919 wurde die 230. Passage in Kühen (dem natürlichen Wirt des ursprünglichen Erregers M. bovis) getestet. Auch dieses Experiment zeigte, dass der Impfstoff sicher und wirksam war. 1921 wurde daher erstmalig ein Neugeborenes, das in einer Familie mit einer TB-Patientin aufwuchs, geimpft. Das Kind blieb gesund. 1927 ergab eine retrospektive Analyse von über 20.000 geimpften Säuglingen, dass die Todesrate unter den geimpften Kleinkindern deutlich geringer war als in nichtgeimpften Neugeborenen (obwohl dies keine klinische Studie nach unseren heutigen Maßstäben darstellt; [15]). In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde die BCG-Impfung weltweit immer häufiger eingesetzt. Generell wird der BCG-Impfstoff intradermal verabreicht. Dieser Applikationsweg wird auch für die neuen TB-Impfstoffe bevorzugt genutzt, obwohl auch alternative Wege, insbesondere per Aerosol, diskutiert werden. Heute ist der BCG-Impfstoff Teil des EPI (Expanded Program for Immunization) für Kleinkinder mit einer Impfdecke von >80 % in Ländern, in denen die BCG-Impfung empfohlen wird. Circa 100 Mio. Kinder werden jährlich mit BCG geimpft und mit mehr als 4 Mrd. Dosen ist die BCG-Impfung die am häufigsten durchgeführte Impfung weltweit. Metaanalysen zur Impfeffektivität zeigen, dass der BCG-Impfstoff in Kleinkindern einen moderaten Schutz gegen TB bietet; gegen die häufigste Form der TB, die Lungenerkrankung, schützt der Impfstoff jedoch insbesondere Jugendliche und Erwachsene nicht verlässlich [16,17,18]. Daher wird allgemein akzeptiert, dass bessere TB-Impfstoffe dringend benötigt werden, um die weltweite Bedrohung der TB einzudämmen und sie sogar zu eliminieren.

Schutz von Infektion durch Zweitimpfung mit BCG

Im Jahr 2018 wurde eine klinische Studie zur Prävention der Mtb-Infektion mit BCG abgeschlossen [19, 20]. Getestet wurde neben BCG ein neuer Impfstoff (der adjuvantierte Proteinimpfstoff H4:IC31). Die Studienteilnehmer waren weder mit Mtb noch mit HIV infiziert. Sie waren in ihrer Kindheit bereits mit BCG geimpft worden; erhielten also eine Zweitimmunisierung mit BCG. Als klinischer Endpunkt diente die Konversion im immunologischen Gamma-Interferon-Test (IGRA) als Zeichen für eine Infektion mit Mtb. Der IGRA ermittelt die Mtb-spezifische IFN-γ-Produktion durch T‑Lymphozyten nach Restimulierung mit Mtb-spezifischen Antigenen, die BCG fehlen. Diese Studie ergab eine ca. 45 % niedrigere IGRA-Konversion nach Zweitimmunisierung mit BCG gegenüber Kontrollen. Keine Wirkung wurde für den H4:IC31-Impfstoff festgestellt, dessen Weiterentwicklung daher eingestellt werden soll [19, 20].

Grundsätzlich bietet diese klinische Studie aber Hinweise auf einen Schutz gegen Infektion durch eine Zweitimmunisierung mit BCG. Der Befund, dass anfangs kein Schutz gegen Infektion gegenüber den Kontrollen festzustellen war, sondern erst nach einem längeren Zeitraum, deutet darauf hin, dass die Infektion anfangs nicht verhindert wurde. Vielmehr liegt nahe, dass die Zweitimmunisierung T‑Zellen aktivierte, die den Erreger während der frühen Infektion eliminieren, also eine transiente Infektion zulassen, aber die stabile Infektion verhindern. Theoretisch ist auch möglich, dass die Zweitimmunisierung das angeborene Immunsystem so trainierte, dass Makrophagen T‑zell-unabhängig die Mtb-Erreger eliminierten. Ein Trainingseffekt aufgrund epigenetischer Veränderungen durch BCG wurde in Experimentalmodellen beschrieben und als Erklärung für die Verringerung der generellen Morbidität und Mortalität durch BCG in Ländern mit niedrigstem Einkommen herangezogen [21].

Übersicht über das Portfolio an TB-Impfstoffkandidaten

Die oben beschriebenen Mechanismen bilden die Blaupause für die Entwicklung neuer Impfstoffkandidaten [19, 22, 23]. In erster Linie wird angestrebt, eine stärkere T‑Zell-Immunität durch die Impfung zu stimulieren, die von einer Antikörperantwort unterstützt wird. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Stimulation von CD4-TH-1-Zellen, begleitet von einer zusätzlichen kontrollierten Bildung von CD4-TH-17-Zellen und CD8-T-Zellen [5, 22]. Daneben soll auch die spezifische Antikörperproduktion angeregt werden [24]. Eine „verbesserte“ Immunantwort kann durch geeignete Adjuvanzien, virale Träger, abgetötete Mykobakterien oder Lebendimpfstoffe erreicht werden (Tab. 1).

Tab. 1 TB-Impfstoffkandidaten in klinischer Überprüfunga

In der klinischen Überprüfung befinden sich:

  • adjuvantierte Fusionsproteine, die aus zwei oder mehreren Mtb-Antigenen bestehen und mit einem potenten Adjuvans zur T‑Zell-Aktivierung formuliert werden. Da Mtb in der dormanten Phase andere Antigene exprimiert als in der aktiven Phase, versucht man in die Impfstoffkandidaten Antigene der unterschiedlichen Stadien zu integrieren [22]. Man spricht dann von einem „Multistadienimpfstoff“ (Multi Stage Vaccine).

    Hierzu gehören M72:AS01, H56:IC31 und ID93:GLA-SE (Tab. 1, Tab. 2 und Tab. 3; [25,26,27]).

  • virale Vektoren, die ein Antigen von Mtb exprimieren. Als Vektoren dienen replikationsunfähige Influenzaviren, modifizierte Vaccinia-Ankara-Viren (MVA) und humane oder Schimpansenadenoviren. Hierzu zählen TB-FLU-04L, MVA85A, Ad5Ag85A und ChAdOx.185A (Tab. 1 und Tab. 2; [28,29,30,31,32]).

  • Totimpfstoffe, die aus atypischen Mykobakterien oder teilgereinigten Mtb-Bestandteilen bestehen. Hierzu zählen Mycobacterium vaccae (Vaccae), Mycobacterium obuense (Dar-901) und Mycobacterium indicus pranii (MIP; Tab. 1) sowie der Impfstoff RUTI, der aus teilgereinigten Mtb-Bestandteilen aufgebaut ist (Tab. 4; [33,34,35,36]).

  • Lebendimpfstoffe besitzen weitgehend alle Antigene des Mtb-Erregers. Untersucht werden verbesserte BCG-Impfstoffe, die durch genetische Modifikation eine verstärkte Immunantwort auslösen oder Deletionsmutanten von Mtb, die die Immunantwort gegen TB imitieren, ohne Schäden hervorzurufen. Hierzu zählen der rekombinante BCG-Impfstamm VPM1002 und der attenuierte Mtb-Impfstamm MTBVAC (Tab. 1; [37,38,39,40,41]).

Tab. 2 Antigene in TB-Impfstoffkandidaten
Tab. 3 Adjuvanzien in TB-Impfstoffkandidaten
Tab. 4 Therapeutische Impfstoffe

Die Diagnose einer Mtb-Infektion mithilfe von IGRA stellt einen wesentlichen Teil der TB-Kontrolle dar. Impfstoffe, welche Antigene der verwendeten IGRA enthalten, würden daher ein falsch-positives Resultat hervorrufen. Dies stände möglicherweise einer Einführung solcher Impfstoffe im Wege. Es sei denn, es werden neue IGRA entwickelt, die auf diese Antigene verzichten. Dies gilt für den Lebendimpfstoff MTBVAC, den adjuvantierten Proteinimpfstoff H56:IC31 und den viralen Vektor TB-FLU-04L.

Präventivimpfstoffe werden entweder präexpositionell, also vor der Mtb-Infektion oder postexpositionell, also nach der Infektion verabreicht (Abb. 2). Die Präexpositionsimpfung ist insbesondere für Kleinkinder vorgesehen, während die Postexpositionsimpfung in erster Linie für Heranwachsende und Erwachsene geeignet ist, da diese in endemischen Gebieten häufig bereits infiziert sind und damit als LTBI-Fälle einzustufen sind. Ein Impfstoff zur Erstimmunisierung von Neugeborenen soll den BCG-Impfstoff ersetzen. Die meisten Impfstoffe sind zur Zweitimmunisierung vorgesehen und sollen die Erstimmunisierung mit BCG verbessern. Impfstoffe zur Erstimmunisierung werden auch für Zweitimmunisierungen erwogen. Längerfristig wird die Erstimmunisierung mit einem neuen Impfstoffkandidaten, gefolgt von der Zweitimmunisierung mit einem heterologen Kandidaten, angedacht.

Abb. 2
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Unterschiedliche derzeit untersuchte Impfschemata und klinische Endpunkte. Weitere Erklärungen siehe Text

Die Impfung von Neugeborenen hat zum Ziel, die Infektion und/oder die aktive Erkrankung zu verhindern (Abb. 2). Dies ist auch das Ziel der Zweitimmunisierung von Heranwachsenden und Erwachsenen, die noch nicht mit Mtb infiziert sind. Da die meisten Personen in endemischen Gebieten bereits infiziert sind, kann bei diesen die Infektion nicht verhindert werden. Der Schwerpunkt liegt daher auf der Prävention der Krankheit.

Schließlich wird die Prävention einer Rekurrenz (Schutz vor Wiedererkrankung) in klinischen Studien überprüft. In endemischen Gebieten erkranken ca. 10 % aller Tuberkulosepatienten trotz apparenter Heilung nach medikamentöser Behandlung innerhalb von 12 Monaten erneut [43]. Es wird geschätzt, dass dies bei >60 % auf Relaps (Erkrankungsrückfall) und bei <40 % auf erneute Infektion zurückzuführen ist. Neuere Daten weisen auf eine schützende Nische für Mtb im Knochenmark hin, die als Ausgangspunkt eines Erkrankungsrückfalls infrage kommt [44, 45]. Die Reinfektion erfolgt mit einem neuen Mtb-Stamm. Zwar ist Schutz vor einer Wiedererkrankung nicht das Hauptanliegen einer TB-Impfung, die hohe Erkrankungsrate innerhalb eines überschaubaren Zeitraums ermöglicht allerdings eine rasche Impfstoffprüfung an relativ geringen Probandenzahlen. Die häufige Reinfektion nach erfolgreicher TB-Behandlung kann als Anzeichen gedeutet werden, dass zumindest bei den betroffenen Individuen die Mtb-Infektion keinen zufriedenstellenden Schutz hervorruft. Es wird deshalb allgemein die Meinung vertreten, dass ein erfolgreicher neuer Impfstoff eine quantitativ stärkere oder qualitativ andere protektive Immunantwort hervorrufen muss.

Obwohl der Schwerpunkt der TB-Impfstoffentwicklung weiterhin auf der Prävention liegt, werden auch therapeutische Impfstoffe entwickelt, die eine Chemotherapie unterstützen sollen. Dies ist besonders für die Behandlung der multiresistenten TB wichtig [42]. In erster Linie sind dies Totimpfstoffe, obwohl auch andere Impfstoffe, die primär zur Prävention entwickelt werden, dafür in Betracht gezogen werden (Tab. 4).

Klinische Studien mit adjuvantierten Proteinimpfstoffen

Der am weitesten fortgeschrittene adjuvantierte Proteinimpfstoff ist M72:AS01 [27]. Er wurde kürzlich auf Schutz gegen Erkrankung in gesunden HIV-negativen Erwachsenen, die zu Beginn der Studie bereits eine LTBI hatten, untersucht. Als klinischer Endpunkt diente der Nachweis von Mtb im Sputum als Indikator einer Lungen-TB. Die Auswertung nach zweijährigem Studienverlauf ergab einen ca. 50 %igen Schutz durch M72:AS01 gegenüber Kontrollen, also nichtgeimpften Studienteilnehmern. Eine Vergleichskontrolle mit BCG fehlte in dieser Studie.

Die adjuvantierten Proteinimpfstoffe ID93:GLA-SE und H56:IC31 werden auf Prävention von Infektion und Erkrankung sowie auf Prävention der Rekurrenz getestet [22]. Der Impfstoff ID93 besteht aus einem tetravalenten Fusionsprotein, dass zwei Virulenzfaktoren (Rv3619, Rv3620) sowie ein Mitglied der Prolin-Prolin-Glutamin-(PPE-)Proteinfamilie (Rv2608) und ein Dormanzantigen (Rv1813) umfasst (Tab. 2). Das eingesetzte Adjuvans stellt eine Öl-in-Wasser-Emulsion dar, in die ein Agonist für den Toll-like-Rezeptor (TLR) 4 eingebettet ist (Tab. 3). Der Impfstoff H56:IC31 umfasst ein trivalentes Fusionsprotein und ein Adjuvans aus kationischen Peptiden und einem TLR-9-Agonisten. Beide Impfstoffe haben ihre Sicherheit und Immunogenität in Erwachsenen in klinischen Phase-I-Studien belegt und sollen auf Schutz vor Infektion und/oder Erkrankung nach Zweitimmunisierung geprüft werden.

Klinische Studien mit viralen Vektoren

Impfstoffe mit viralen Vektoren, die ein oder mehrere Antigene von Mtb exprimieren, sind humane oder Schimpansenadenoviren, das MVA oder ein replikationsdefizientes H1N1-Grippevirus (Tab. 1; [28,29,30,31,32]). Der MVA-Impfstoffträger exprimiert das Antigen (Ag) 85A. Die Ag85-Familie umfasst drei Mitglieder, die Ag85A, Ag85B und Ag85C genannt werden (Tab. 2). Der erste neue TB-Impfstoff, der auf Schutz vor Erkrankung getestet wurde, war der virale Impfstoffträger MVA, der ein einzelnes Antigen exprimierte (Ag85A). Dieser Impfstoff enttäuschte aber, da er nachweislich keinen Schutz hervorrief [46].

Nachdem MVA Ag85A keinen Schutz zeigte, werden nun andere Darreichungsformen für diesen Kandidaten geprüft: (i) eine Aerosolimpfung; (ii) eine intradermale Erstimmunisierung gefolgt von einer Aerosolimpfung sowie eine Zweitimmunisierung, die auf eine Schimpansenadenoviruserstimmunisierung folgt (ChAdOx1.85A → MVA85A; [28, 29]). Ein humanes replikationsdefizientes Adenovirus 5, das ebenfalls Ag85A exprimiert, befindet sich ebenfalls in klinischer Testung (Ad5Ag85A; [31]). Wenig ist über den influenzavirusbasierten Impfstoff bekannt. Hierbei handelt es sich um ein replikationsdefizientes H1N1-Influenzavirus, das neben Ag85A auch den Virulenzfaktor ESAT‑6 exprimiert [30]. ESAT‑6 ist ein prominentes Virulenzgen von Mtb, das in BCG nicht vorkommt (Tab. 2).

Klinische Studien mit Impfstoffen aus abgetöteten Mykobakterien

Drei Impfstoffkandidaten aus abgetöteten atypischen Mykobakterien befinden sich in der klinischen Testung (Tab. 1). Die Informationen dazu sind jedoch spärlich oder widersprüchlich. Dies ist erstens Mycobacterium vaccae (kurz Vaccae), das bereits 2017 eine Phase-III-Studie in China abgeschlossen haben soll [36]. Allerdings sind bislang keine Daten öffentlich verfügbar.

Ein weiterer Kandidat ist Mycobacterium indicus pranii (MIP; auch unter dem Kürzel Mw geführt). In einer Post-hoc-Analyse von Daten aus einer Leprapräventionsstudie wurde das Auftreten einer TB-Erkrankung in der Studienpopulation ausgewertet [34, 47, 48]. Die Analyse ergab einen gewissen Schutz gegen TB-Erkrankung. Der MIP-Impfstoff befindet sich derzeit zusammen mit VPM1002 in einer vergleichenden Phase-III-Studie (s. unten).

Der dritte Impfstoff ist Mycobacterium obuense (ursprünglich SRL-172 genannt), der in der sogenannten Dar-Dar-Studie auf Schutz gegen TB in HIV-positiven Erwachsenen einen mäßigen Schutz gegen TB-Erkrankung erzielte [49]. Ursprünglich war dieser Impfstamm als Mycobacterium vaccae typisiert; er wurde aus verschiedenen Gründen nicht weiterentwickelt. Schließlich wurden die Anzuchtbedingungen für den Impfstoff geändert. Der nun als Dar-901 bezeichnete Impfstoff befindet sich derzeit in klinischen Studien [35].

Klinische Studien mit Lebendimpfstoffen

Lebendimpfstoffe in der klinischen Untersuchung sind derzeit der BCG-basierte rekombinante Impfstoff VPM1002 und der gendeletierte Mtb-basierte Impfstoff MTBVAC (Tab. 1).

Beim Impfstoff VPM1002 wurde das Gen, das die Urease C codiert, durch das heterologe Gen für Listeriolysin aus Listeria monocytogenes ersetzt [50]. Auf diese Weise wurde in präklinischen Studien ein äußerst effektiver und sicherer Impfstoff gewonnen. In zwei Phase-I-Studien, eine in Deutschland und eine in Südafrika, erwies sich der Impfstoff für junge Erwachsene als sicher und immunogen [38]. Auch in Kleinkindern konnte er seine Sicherheit und Immunogenität in einer Phase-IIa-Studie belegen [39]. Eine Phase-II-Studie mit HIV-exponierten und nichtexponierten Kleinkindern ist abgeschlossen, aber noch nicht entblindet. VPM1002 befindet sich derzeit in einer Phase-III-Studie auf Schutz gegen Rekurrenz.

Im Sommer 2019 hat der Indian Council of Medical Research eine multizentrische Phase-III-Studie begonnen, in der der Schutz von Haushaltskontakten von TB-Patienten durch eine Impfung mit VPM1002 oder MIP parallel überprüft wird. Im Jahr 2019 soll weiterhin eine Phase-III-Studie mit VPM1002 auf Schutz vor Infektion in HIV-exponierten und nichtexponierten Kleinkindern in Subsahara-Afrika beginnen. Weil bei Neugeborenen mit Immunsuppression einschließlich HIV-Infektion eine BCG-Impfung von der WHO als kontraindiziert eingestuft wird, wird die BCG-Impfung von HIV-exponierten Kindern auch nicht befürwortet [51]. Da der Impfstoff VPM1002 in präklinischen Studien [50] deutlich sicherer als BCG ist, soll in dieser Studie auch die Sicherheit des neuen Lebendimpfstoffs bei HIV-Exposition bestimmt werden.

Beim Impfstoff MTBVAC wurden in Mtb zwei Gene, die sich als zentrale Schaltstellen für die Expression zahlreicher Virulenzgene darstellen, deletiert [37, 41]. Dies sind phoP, ein Transkriptionsfaktor für Virulenzfaktoren von Mtb und fadD26, das an der Synthese eines Lipids von Mtb mitwirkt. Dieser Impfstoff erwies sich in einer Phase-I-Studie in Erwachsenen als sicher [41] und wird in einer Phase-II-Studie in Kleinkindern in Subsahara-Afrika auf Sicherheit und Immunogenität getestet werden.

Ausblick

Nach langer Zeit des Stillstands hat die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen gegen Tuberkulose Fahrt aufgenommen. Auf der Basis neuer Erkenntnisse in Genetik, Mikrobiologie und Immunologie wurden neue Impfkonzepte entwickelt, experimentell überprüft und in präklinischen und klinischen Studien getestet. Unterstützt wird diese Vorgehensweise durch generell akzeptierte Richtlinien, die über die unterschiedlichen Entwicklungsphasen festlegen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um den Impfstoff in der folgenden Stufe weiterzuentwickeln [52].

Auf diese Weise konnten im letzten Jahrzehnt etwa ein Dutzend Impfstoffe in klinische Studien überführt werden, von denen einige bereits auf Sicherheit und Wirksamkeit getestet werden oder diese Meilensteine bereits überwunden haben. Es ist unwahrscheinlich, dass ein einziger Impfstoff sämtliche Herausforderungen meistern wird. Eher ist wahrscheinlich, dass unterschiedliche Impfstoffe zur Präexpositionsimpfung von Neugeborenen auf Schutz vor Infektion und Erkrankung und zur Postexpositionsimpfung von Erwachsenen mit LTBI auf Schutz vor Erkrankung benötigt werden. Neben diesen beiden Gruppen werden auch die Impfung von Erwachsenen ohne LTBI auf Schutz vor Infektion und Erkrankung sowie die Impfung auf Schutz vor Rekurrenz bei medikamentös geheilten TB-Patienten weiterverfolgt. Selbst wenn ein Impfstoff für eine bestimmte Anwendung in den nächsten Jahren zugelassen werden sollte, bedeutet dies nicht den Abschluss von Forschung und Entwicklung neuer Impfstoffe gegen TB. Abgeschlossene Impfstudien können zusätzlich Hinweise darauf ergeben, warum bestimmte Personenkreise geschützt sind und andere nicht. Darauf aufbauend können gezielt Impfstoffe der nächsten Generation entwickelt werden [53].