Mit steigender Tendenz werden weltweit jährlich mehr als 200 Mio. operative Eingriffe durchgeführt – aufgrund des demografischen Wandels mit steigender Häufigkeit von Komorbiditäten und dadurch erhöhtem Risiko für perioperative Komplikationen. Dem steigenden Komplikationsrisiko wirken Fortschritte in der medizinischen Behandlung wie z. B. die präoperative Risikostratifizierung und risikoadaptierte Präkonditionierung, schonendere chirurgische Verfahren, individualisierte Anästhesieverfahren sowie eine qualitätsindikatorbasierte perioperative Intensivüberwachung und -therapie teilweise entgegen. Eine der am schwersten wiegenden Komplikationen im Rahmen von nichtherzchirurgischen Operationen ist das Auftreten einer akuten perioperativen myokardialen Ischämie – ein Problemfeld, welches seit seiner Erstbeschreibung im Rahmen einer Fallserie in den 1930er-Jahren [1] seit nunmehr knapp 100 Jahren wissenschaftlich untersucht wird. Obwohl eine Myokardischämie damals oft nur im Rahmen von Obduktionen oder anhand eines Elektrokardiogramms diagnostiziert werden konnte, war es bereits in den Anfängen evident, dass 1.) eine perioperative Myokardischämie mit einer hohen Sterblichkeit einherging, 2.) die Ischämie nicht immer mit einer typischen Brustschmerzsymptomatik auffällig werden musste und 3.) als „typisch“ erachtete EKG-Veränderungen auch bei anderen Pathologien, wie z. B. einer Lungenarterienembolie, zu beobachten waren. Eine frühzeitige und korrekte Diagnosestellung konnte schwierig und herausfordernd sein. Seit den 1970er-Jahren und im Zuge verbesserter Methoden zur Quantifizierung der Kreatinkinase-MB, endgültig aber mit der Einführung der Messung des kardialen Troponins erlebt die Herzinfarktbiomarkerforschung einen regelrechten „Boom“ [2]. Gleichzeitig ist die Myokardischämie nach anatomischen (partielle vs. komplette Gefäßokklusion), ätiologischen (okklusiv vs. nichtokklusiv), elektrokardiographischen (STEMI vs. NSTEMI), symptomatik- und biomarkerassoziierten Gesichtspunkten fortlaufend auf unterschiedliche und immer wieder neue Art und Weise definiert und kategorisiert worden. Die aktuelle „universelle Definition des akuten Myokardinfarkts“ [3], die 5 ätiologische Typen und weitere Subtypen unterscheidet, deren gemeinsame Pathophysiologie in einer myokardialen Ischämie besteht, trägt dieser Entwicklung Rechnung. Allerdings ist mit neuen Begriffen wie MINOCA („myocardial infarction with nonobstructive coronary arteries“) [3, 4] und MINS („myocardial injury after noncardiac surgery“, isolierter Troponinanstieg binnen 30 Tagen nach einem nichtherzchirurgischen Eingriff und Ausschluss einer nichtischämischen Ätiologie) [5] eine Begriffsvielfalt entstanden, die in Bezug auf ihre klinische Bedeutung und prognostische wie therapeutische Relevanz Verwirrung stiften könnte. Insofern sind eine frühzeitige spezifische Diagnostik relevanter ischämischer Ereignisse und ihre korrekte Klassifizierung nicht zwingend einfacher geworden, insbesondere wenn bei Patienten postoperativ durch Beatmung oder kognitive Defizite eine differenzierte Erhebung von Symptomen schwierig oder unmöglich ist [6]. Gleichzeitig gilt es, die mit diesen „neuen“ Entitäten assoziierte Sterblichkeit, die in diesem Rahmen mögliche und notwendige präoperative Risikostratifizierung und geeignete Präventions- und Behandlungsstrategien zu charakterisieren.

In diesem Heft fassen Bein et al. die aktuelle Evidenz bezüglich des perioperativen Myokardinfarkts und perioperativer Myokardschäden (MINS) zusammen. Die akuten Myokardschäden, welche als eigene Entität anzusehen sind, umfassen subklinische Ereignisse auf zellulärer Ebene, die jedoch nicht mit einer ST-Strecken-Veränderung oder typischen klinischen Symptomatik einhergehen. Dennoch sind das 30-Tage-Sterberisiko und das Risiko für schwere vaskuläre Komplikationen hierbei bis zu 2 Jahre nach einem nichtherzchirurgischem Eingriff erhöht.

Den pathophysiologischen Mechanismus von MINS – in Abgrenzung zu einem klassischen „Supply-demand“-Missverhältnis zwischen dem koronaren Blutfluss und dem metabolischen Bedarf aufgrund einer im Rahmen perioperativer hämodynamischer Fluktuationen blutflusslimitierenden (relativen) Stenose oder mikrovaskulären Perfusionsstörung – gilt es, in Zukunft genauer zu definieren.

Auf einer gemeinsamen zellulären „Endstrecke“ könnten chirurgisch-operativ sowie anästhesiologisch getriggerte Stressoren und postoperative Stressreaktionen wie beispielsweise inflammatorische Stimuli auf humoraler oder Rezeptorebene am Kardiomyozyten wirksam werden. Es gibt viele Ansatzpunkte zur Prävention solcher postoperativer Stressreaktionen, jedoch ist ihr Stellenwert gegenwärtig nicht geklärt. Erlaubt die Diagnose eines MINS aktuell eine Stratifizierung des Sterblichkeits- und Komplikationsrisikos eines Patienten, so werden jüngst auch Behandlungsmaßnahmen (bspw. NOAK, ASS, Statine) nahegelegt, die bei Patienten mit MINS zur Risikoreduktion erwogen werden könnten [7].

Mit der Vielfalt an unterschiedlichen Ausprägungen einer myokardialen Ischämie im Sinne eines symptomatischen Infarkts oder einer isolierten Troponinerhöhung, die durch Einführung hochsensitiver Assays noch häufiger diagnostiziert wird, entstehen weiterhin Fragen, wie derartige letalitäts- und morbiditätsrelevante Diagnosen im DRG-System korrekt abgebildet, eine aufwands- und sachgerechte Vergütung sichergestellt und monetär getriggerte Fehlanreize bei der Codierung, Diagnostik und Behandlung vermieden werden können. Die hierzu noch teilweise ausstehenden Antworten spielen eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, adäquate Ressourcen für entsprechende Präventionsstrategien, die Detektion von Risikopatienten oder die von Bein et al. vorgeschlagene „postoperative Hämodynamikvisite“ bereitstellen zu können. Der Nachweis, welche Maßnahmen am besten geeignet sind, um das Outcome von Patienten mit MINS oder einem Risiko für MINS zu verbessern, steht aus.

Die Übersichtsarbeit von Bein et al. ist eine kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Evidenz zur perioperativen Myokardischämie und sensibilisiert für die Notwendigkeit einer optimierten Diagnostik und die Entwicklung effektiver Präventions- und Therapiestrategien in der Zukunft.