Gesundheitspolitik hat viele Aspekte. So verlässt sich die Bevölkerung auf „ihr“ lokales Krankenhaus. Die Klinik vor der Haustür vermittelt die beruhigende Wirkung, in jeder Notlage unmittelbar medizinische Hilfe zu erhalten. Für Bürgerinitiativen und viele Kommunalpolitiker Grund genug, sich den Erhalt dieser lokalen Krankenhäuser auf die Fahnen zu schreiben. Dabei wissen viele Bürger nicht, dass gerade bei vital bedrohlichen Notfällen mehr als das Krankenhaus „um die Ecke“ erforderlich ist. Um Leben zu retten, braucht es nach heutigem Wissensstand u. a. Stroke-Units, „cardiac arrest centers“ und überregionale Traumazentren.

Bei vital bedrohlichen Notfällen ist mehr als das Krankenhaus „um die Ecke“ erforderlich

Um nach der ersten lokalen Versorgung den zeitverzögernden postprimären Weitertransport von kritisch kranken oder verletzten Patienten in solche überregionalen Zentren zu vermeiden, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im April 2018 auf Basis des Krankenhausstrukturgesetzes eine Neustrukturierung der stationären Notfallversorgung beschlossen. Demnach bestehen zukünftig strukturelle und qualitative Voraussetzungen, die Krankenhäuser nach einer Übergangsfrist von maximal 5 Jahren erfüllen müssen, um für die Versorgung von Notfällen noch Sondervergütungen von den Krankenkassen erhalten zu können. Diese Voraussetzungen sind in folgende 3 Stufen gestaffelt: Basisnotfallversorgung, erweiterte Notfallversorgung und umfassende Notfallversorgung.

Mit diesem Beschluss soll ein höherer Mindeststandard für die Versorgung von Notfallpatienten sichergestellt werden als bisher. Etwa ein Drittel der Kliniken in Deutschland werden diese Voraussetzungen nicht erfüllen können. Dies scheint zunächst ein relevanter Anteil zu sein, doch gemäß der „Folgeabschätzung einer gestuften Notfallversorgung“ des IGES Instituts hat dieses Drittel auch jetzt schon nur zu einem sehr geringen Anteil Notfälle aufgenommen.

In dieser Ausgabe von Der Anästhesist erläutern Brokmann et al. die Grundlagen des G‑BA-Beschlusses und setzen sich kritisch mit den befürchteten Auswirkungen sowohl auf die Krankenhäuser als auch auf den Rettungsdienst auseinander.

Die Schnittstelle Notfallaufnahme muss in der Notfallversorgung zur Nahtstelle werden

Der G‑BA-Beschluss hat eines deutlich gemacht: Die Politik hat die Wichtigkeit einer zentralen Anlaufstelle für Notfälle in der Klinik erkannt. Sie hat auch erkannt, dass es an dieser Schnittstelle einer Professionalisierung bedarf. Dies wurde dadurch verdeutlicht, dass zur Qualifikation der „Notfallpflege“ für Gesundheits- und Krankenpfleger sowie für die Ärzte die Zusatzweiterbildung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ gefordert wird, die zum Beschlusszeitpunkt des G‑BA vom Ärztetag noch nicht einmal verabschiedet war.

Die Schnittstelle Notfallaufnahme muss in der Notfallversorgung zur Nahtstelle werden. Dies setzt eine medizinische Professionalisierung voraus. Durch die Festlegung von Strukturmerkmalen sind erstmalig auch Qualitätsanforderungen in der Notfallversorgung gefordert, die es zwar in den einzelnen Fachgebieten schon gab, aber für die Notfallaufnahme als eine eigenständige Organisationsstruktur neu ist. Daraus ergeben sich einmalige Chancen für die Zukunft:

  • Die Landesärztekammern könnten mit einem bundesweiten Schulterschluss eine gemeinsame Ausgestaltung der Zusatzweiterbildung gestalten.

  • Die Sozialministerien der Länder können mit den Strukturvorgaben die Notfallversorgung in den Ländern neu gestalten und ein flächendeckendes Versorgungsnetz etablieren.

  • Der G‑BA-Beschluss, das Gutachten des Sachverständigenrats und der feste Entschluss des Bundesgesundheitsministers legen nahe, dass Sektorengrenzen (ambulant/stationär) in der Notfallversorgung aufgelöst sowie gemeinsame interdisziplinäre „integrierte Notfallzentren“, mit einer eigenen Budgetierung, gegründet werden sollen.

Auch bezüglich der Akquirierung von Personal für diesen kritischen Bereich ergeben sich plötzlich neue Chancen: Eine sektorenübergreifende Notfall- und Akutmedizin, die die prähospitale und frühe innerklinische Versorgung der Notfallpatienten reibungslos gewährleistet, erscheint sinnvoll und eine Trennung des Personals auf diese beiden Bereiche längst nicht mehr adäquat.

Vor dem Hintergrund zunehmender Forderungen zur Qualifikation des prähospital tätigen ärztlichen und nichtärztlichen Personals (z. B. im Bereich der Atemwegssicherung) ist der Einsatz von Notfallsanitätern und Notärzten in diesen interdisziplinären Notfallaufnahmen eine gute Option. Er trägt dazu bei, den Horizont im Hinblick auf die vielfältigen notfallmedizinischen Krankheitsbilder, deren Einschätzung und Weiterversorgung ebenso zu erweitern wie die Routine im Zusammenhang mit prähospital seltenen Skills (z. B. der nichtinvasiven Ventilation, NIV) zu erhalten.

Die Neustrukturierung ist somit ein wichtiger erster Schritt für eine sektorenübergreifende Versorgung der Notfallpatienten in Deutschland. In weiteren Schritten jedoch sollte überdacht werden, wie der Einsatz der „neuen“ Fachpflegekräfte für Notfallpflege im Rettungsdienst und gleichzeitig der Notfallsanitäter in den zentralen interdisziplinären Notfallaufnahmen erfolgen kann und Notärzte für den prähospitalen Einsatz aus dem Bereich der klinischen Akutmedizin rekrutiert werden können.