Zusammenfassung
Der Beitrag zeigt, daß sich Michel Foucaults weit ausgreifende Diskurs- und Machtgeschichte des Politischen systematisch an das von Georges Dumézil rekonstruierte indoeuropäische System der Machtrepräsentation anschließt, das als die „Ideologie der drei Funktionen“ bekannt geworden ist. Foucault bezieht sich allerdings explizit in seinen Arbeiten ausschließlich auf die erste Funktion des Schemas, die man zusammenfassend als die Funktion der Souveränität bezeichnen kann. Seine Rekonstruktion einer Gegen-Ge-schichte, die nicht länger den Glanz Jupiters bzw. der souveränen Funktion verstärkt und insofern als eine anti-römische Geschichte anzusprechen wäre, erfolgt aus der Perspektive der zweiten Funktion: Sie läßt den Krieg als Matrix aller Herrschaftsverhältnisse sichtbar werden. Wird die „binäre Struktur“ wie in dem von Foucault untersuchten politisch-historischen Diskurs nach dem Modell des Krieges gedacht, ist sie also, anders als Foucault glaubt, keineswegs unvereinbar mit dem Schema der Trifunktionalität, das dem Thema der Gefahr des Kriegers ausdrücklich Rechnung trägt. Der anti-monarchische historisch-politische Diskurs bekämpft die Souveränität nur, um sich nach dem Sieg an ihre Stelle zu setzen. Anders verhält es sich mit dem von Foucault ignorierten Dauerkonflikt zwischen Volk und Patriziern, der die Geschichte Roms nach der Vertreibung der Könige kennzeichnet. Die fortgesetzte Bestreitung eines souveränen Imperiums vermeidet die Alternative von freiwilliger Unterwerfung oder kriegerischer Eroberung und setzt einen un-abschließbaren Prozeß der Gründung politischer Freiheit (constitutio libertatis) in Gang.
Abstract
The essay shows that Michel Foucault’s history of the political, its changing forms of discourse and power, is closely linked to the system of indo-european power-representation which Georges Dumézil has reconstructed and which has become famous as the „ideology of the three functions“. However, in his texts Foucault refers more or less exclusively to the first level of this system which comprises the (juridical and magic) functions of sovereignty. Foucault’s reconstruction of a „counter-history“ that no longer intensifies the glory of kings and gods is written from the perspective of the second function. For the counter-history, which presents itself as an anti-Roman history, the battle has not ended even when the sovereign state claims to have replaced the state of war with the peaceful realm of law and order. If the „binary structure“ of society is conceptualized according to the model of war and battle it is not at all, as Foucault thinks, incompatible with the system of trifunctionality which explicitly takes into account the danger emerging from the function of the warrior. The historico-political discourse Foucault reconstructs only fights sovereign power in order to take over its place. Yet, there exists another type of „binary structure“ within Roman society, the conflict between patricians and the people (plebeians) which characterizes roman history after the expulsion of the kings and which forbids it to reduce this history to a Jupiterian history as Foucault does. The continuous civil challenging of a sovereign Imperium exerted by kings or consuls avoids the alternative of free subjugation or military conquest and thus fosters the unter-minable process of a constitutio libertatis.
Literature
Michel Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France (1975–76), Frankfurt a.M. 2001, 50.
„Seit 1938, als er selbst einen zweiten Aufsatz über die indoiranischen Gesellschaftsklassen veröffentlichte, hat E. Benveniste meine Forschung ständig unterstützt und seine eigene nach dem Krieg auf Italien ausgedehnt“. Georges Dumézil, Mythos und Epos. Die Ideologie der drei Funktionen in den Epen der indoeuropäischen Völker, Frankfurt a.M., New York 1989, 18. Vgl. auch die zusammenfassende Darstellung der „Dreiteilung der Funktionen“ in: Emil Benveniste, Indoeuropäische Institutionen. Wortschatz, Geschichte, Funktionen, Frankfurt a.M., New York 1993, 218-230.
Vgl. programmatisch: Georges Duby, Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus, Frankfurt a.M. 1985. Vgl. dazu: Jacques Le Goff, „Les trois fonctions indo-européennes. L’historien et l’Europe féodale“, Annales ESC 34 (1979), 1187-1215.
Georges Duby, „Die mittelalterlichen Gesellschaften. Ein Überblick“, in: ders., Wirklichkeit und höfischer Traum. Zur Kultur des Mittelalters, Frankfurt a.M. 1990, 19.
Marshall Sahlins, „Der Fremde als König oder Dumézil unter den Fidschi-Insulanern“, in: ders., Inseln der Geschichte, Berlin 1992, 79–103.
Vgl. Bernhard Lang, Jahwe der biblische Gott. Ein Porträt, München 2002, 17ff.
Vgl. Didier Eribon, Faut-il brûler Dumézil? Mythologie, science et politique, Paris 1993.
In dem später von ihm gekürzten Vorwort zu Wahnsinn und Gesellschaft bedankt sich Foucault — noch bevor er Hyppolite und Canguilhem nennt — an erster Stelle bei Dumézil für die Unterstützung seines Vorhabens: „Und Georges Dumézil als Erster, ohne den diese Arbeit nicht unternommen worden wäre — weder unternommen im Verlauf der schwedischen Nacht noch vollendet an der großen beharrlichen Sonne der polnischen Freiheit“. Michel Foucault, Schriften in vier Wanden. Dits et Écrits. Bd I (1954–1969), Frankfurt a.M. 2001, 233. Zur einzigen systematischen Auseinandersetzung Foucaults mit einem Text Dumézils vgl. meine Ausführungen in Abschnitt IL Im Verlaufe der dokumentierten Diskussion, die sich an seine Rio-Vorträge anschließt, erläutert Foucault sein Konzept von „Diskurs als Ritual, als Praxis, als Strategie innerhalb der sozialen Praktiken“ unter Hinweis auf Duméz
Michel Foucault, Die Wahrheit und die juristischen Formen, Frankfurt a.M. 2002, 140ff., hier: 141.
Vgl. Georges Dumézil, L’idéologie tripartie des Indo-Européens, Brüssel 1958, 12–28.
Georges Dumézil, „Jupiter“, in: ders., Archaic Roman Religion, Baltimore, London 1970, 179.
Sophokles, König Ödipus, Stuttgart 1989, 60 (1368).
Michel Foucault, Was ist Kritik?, Berlin 1992, 35.
So charakterisiert Dumézil die Wirkung des in höchster Not von Romulus im Krieg gegen die Sabiner angerufenen „Jupiter Stator“, der den fliehenden Römern die verlorene Standhaftigkeit im Kampf zurückgibt. Georges Dumézil, Jupiter, Mars, Quirinus. Essai sur la conception indo-européenne de la Société et sur les origines de Rome, Paris 1941, 81.
„Indra [der vedische Kriegsgott, FB.] ist im Grund allein“. Georges Dumézil, Aspekte der Kriegerfunktion bei den Indogermanen, Darmstadt 1964, 8–11, hier: 8.
Vgl. zu einer aus der Perspektive der zweiten Funktion und ihrer politisch verheerenden Effekte formulierten Machttheorie: Elias Canetti, Masse und Macht, Frankfurt a.M. 1990.
Georges Dumézil, Naissance de Rome. Jupiter, Mars, Quirinus II, Paris 1944, 79.
Vgl. Foucaults Analyse von Piatons Politikos. Im Verlauf des Dialogs wird zwar die Identifizierung des Politikers mit dem Hirten versuchsweise vorgenommen, aber nur, um abschließend verworfen zu werden: „Das Pastorat ist in seinen Ansprüchen zu gering, um einem König angemessen sein zu können. […] Der König ist kein Pastor“. Die „wirkliche Geschichte des Pastorats, als Ausgangspunkt eines spezifischen Typus der Macht über die Menschen […] beginnt erst mit dem Christentum“. Michel Foucault, Geschiebte der Gouvernement alitât I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesungen am Collège de France 1977-1978, Frankfurt a.M. 2004, 201–217, hier: 216f.
Vgl. dazu im Anschluß an Foucault: Joseph Vogl, „Staatsbegehren. Zur Epoche der Policey“, DVjs 74 (2000), 600–626.
Vgl. Michel Foucault, „Omnes et singulatim. Zu einer Kritik der politischen Vernunft“, in: Joseph Vogl (Hrsg.), Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen, Frankfurt a.M. 1994, 86ff.
Michel Foucault, Geschichte der Gouvernementalität IL Die Geburt der Biopolitik. Vorlesungen am Collège de France 1978–1979, Frankfurt a.M. 2004, 121–124, hier: 124.
Georges Dumézil, Horace et les Cur aces, Paris 1942. Foucault sieht in der Studie Dumézils eine wissenschaftsgeschichtliche Pionierleistung: „Ich glaube, dass dies die erste strukturale Analyse einer indoeuropäischen Legende ist“.
Michel Foucault, „Zur Geschichte zurückkehren“, in: ders., Schriften in vier Bänden. Dits et Écrits. Bd II (1970–1975), Frankfurt a.M. 2002, 331–347, hier: 337.
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Louis Althusser, „Die Einsamkeit Machiavellis“, in: ders., Machiavelli — Montesquieu — Rousseau. Zur politischen Philosophie der Neuzeit, Hamburg 1987, 24f.
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James George Frazer, Der goldene Zweig. Das Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker, Reinbek 2004 [1922], 386–413.
Vgl. dazu auch: Karl-Heinz Kohl, „Der sakrale Königsmord. Zur Geschichte der Kulturanthropologie“, Faideuma 45 (1999), 63–82.
Alfred Jarry, König Ubu, Stuttgart 1996, 65f.
Michel Foucault, Die Anormalen. Vorlesungen am Collège de France (1974-1975), Frankfurt a.M. 2003, 28. Als den großen Theoretiker grotesker bzw. infamer Souveränität kann man Elias Canetti bezeichnen. In einem Essay, der die entsprechenden Überlegungen von Masse und Macht pointiert zusammenfaßt, schreibt er: „[…] die eigentliche Absicht des wahren Machthabers ist so grotesk wie unglaublich: er will der Einzige sein. Er will alle überleben, damit keiner ihn überlebt. Um jeden Preis will er dem Tod entgehen, und so soll niemand, überhaupt niemand da sein, der ihm den Tod geben könnte. Solange Menschen da sind, wer immer sie seien, wird er sich nie sicher fühlen“.
Elias Canetti, „Macht und Überleben“, in: ders., Das Gewissen der Worte, Frankfurt a.M. 1989, 25–41, hier: 35.
Judith Butler, „Unbegrenzte Haft“, in: dies., Gefährdetes Leben. Politische Essays, Frankfurt a.M. 2005, 71f.
Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität. Nachdruck der 2. Aufl. von 1934, Berlin 1985, 12.
Vgl. dazu: Friedrich Balke, „Unbestimmte Rechtsbegriffe. Über das Verhältnis von öffentlichem Recht, Gewalt und Einbildungskraft am Beispiel Carl Schmitts“, in: Klaus R. Scherpe, Thomas Weitin (Hrsg.), Eskalationen. Die Gewalt von Kultur, Recht und Politik, Tübingen, Basel 2003, 77–91
sowie Friedrich Balke, „Restating Sovereignty“, in: Cornelia Epping-Jäger, Thorsten Hahn, Erhard Schüttpelz (Hrsg.), Freund, Feind und Verrat. Das politische Feld der Medien, Köln 2004, 13–37.
Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.M. 1981, 274.
Francesco Petrarca, Invective against a Detractor of Italy I Invectiva contra eum qui maledixit Italie, in: ders., Invectives, Cambridge MA, London 2003, 364–475, hier: 375-377.
Jacques Rancière, Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, Frankfurt a.M. 2002, 23.
Georges Dumézil, „Civitas Romana“, in: ders., L’Héritage indo-européen à Rome, Paris 1949, 183–234, hier: 214.
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Michel Foucault, „Man muss die Gesellschaft verteidigen“, in: ders., Schriften in vier Bänden. Dits et Écrits. Bd III (1976-1979), Frankfurt a.M. 2003, 165–173, hier: 169.
Plausible Argumente gegen Foucaults Einschätzung der Stellung Machiavellis zu Geschichte und Geschichtsschreibung finden sich bei Ursula Link-Heer, die zeigt, daß Machiavelli die Geschichte keineswegs als einen Schatz von Exempla betrachtete, sondern durch eine Art redescription vorliegender historischer Darstellungen (in seinem Fall der des Livius) zur Formulierung von „Regeln“ gelangen will, „die die Reproduktionsbedingungen von Herrschaft formulieren“. Vgl. Ursula Link-Heer, „Italienische Historiographie zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit“, in: Hans-Ulrich Gumbrecht (Hrsg.), La littérature historiographique des origines à 1500 (Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters), Heidelberg 1987, 1067–1129, hier: 1102.
J. G. A Pocock, The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton, Oxford 2003, 199f.
Für den Vertragscharakter des römischen Gesetzes ist es von Bedeutung, daß es „sich nicht darum handelt, die in Streit geratenen Parteien in dem Sinne zu vereinigen, daß der Unterschied zwischen Patriziat und Plebejertum schlechthin aufgehoben wurde“. Hannah Arendt, Was ist Politik? Fragmente aus dem Nachlaß, München 2003, 108, 110.
Christian Meier, „Caesars Bürgerkrieg“, in: ders., Entstehung des Begriffs ‚Demokratie‘. Vier Prolegomena zu einer historischen Theorie, Frankfurt a.M. 1981, 122.
Niccolö Machiavelli, Discorsi. Staat und Politik, Frankfurt a.M. 2000, 27f.
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Balke, F. Die Maske des Kriegers Foucault, Dumézil und das Problem der Souveränität. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 80, 128–170 (2006). https://doi.org/10.1007/BF03374699
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