1 Seifert allein in Heidelberg

Am 7. November 1935 bestieg Herbert Seifert,Footnote 1 Privatdozent an der Technischen Hochschule Dresden, um 8.59 Uhr den Zug am dortigen Hauptbahnhof.Footnote 2 Um 22.23 Uhr erreichte er nach fünfmaligem Umsteigen Heidelberg. Damit war die Topologie in der Neckarstadt definitiv angekommen. Zwei Tage zuvor hatte Seifert die telegraphische Aufforderung erreicht, er habe sich nach Heidelberg zu begeben. William Threlfall,Footnote 3 Freund und Koautor von Seifert, notierte im Tagebuch: „H. wird vom Reichserziehungsminister zur Vertretung eines Lehrstuhls für Mathematik nach Heidelberg kommandiert, …“ (TB IX, Di, 5. XI 35) – „kommandiert“ war durchaus wörtlich gemeint. Vertreten wurde, wie Threlfall am 9.11.35 notierte, der vakant gewordene Lehrstuhl von Heinrich Liebmann, der im Sommer 1935 unter dem Druck des rassistisch motivierten studentischen Boykotts seiner Lehrveranstaltungen um seine vorzeitige Emeritierung gebeten hatte, wobei er gesundheitliche Gründe geltend machte. Auch Arthur Rosenthal, Inhaber des zweiten Lehrstuhls für Mathematik, war Ziel eines Boykotts; er schied wie Liebmann im Sommer 1935 aus.

Seifert, der bei seiner Ankunft in Heidelberg 28 Jahre alt war, hatte mit einer Reihe von Arbeiten im Bereich der Topologie, teilweise in Zusammenarbeit mit W. Threlfall entstanden, ab 1930 eine führende Stellung unter den jungen deutschen Mathematikern errungen. Es seien hier nur seine Dresdner Dissertation „Konstruktion geschlossener dreidimensionaler Räume“ (1931) mit dem heute so genannten Satz von Seifert- van Kampen und seine Leipziger Dissertation „Topologie dreidimensionaler gefaserter Räume“ (1933), die die Theorie der Seifert-gefaserten Mannigfaltigkeit im dreidimensionalen Fall enthält sowie natürlich das „Lehrbuch der Topologie“ (1934), das bis heute ein Klassiker geblieben ist, genannt. Im Jahr des Erscheinens des Lehrbuchs hatte sich Seifert in Dresden habilitiert mit einer Arbeit über Verschlingungsinvarianten; gute Kontakte hatten dort Seifert und Threlfall zu B. L. van der Waerden (1903–1996) an der Universität Leipzig, wo Seifert zeitweise mit einem Reisestipendium studierte und später als Vertreter einer Assistentenstelle bei van der Waerden tätig gewesen ist; im Wintersemester 1934/35 sowie im Sommersemester 1935 vertrat Seifert in Leipzig die durch den Tod von Leon Lichtenstein (1878–1933) vakante Professur für angewandte Mathematik.

In Heidelberg angekommen übernahm Seifert die bereits unter N.N. angekündigten Vorlesungen über analytische und über darstellende Geometrie; in letzterer hatte er in Dresden als Hilfsassistent Erfahrungen gesammelt. Zudem leitete er zusammen mit Max Müller (1901–1968), dem einzigen verbliebenen Dozenten in der Mathematik, das mathematische Oberseminar. Seiferts definitive Ernennung zog sich bis 1.7.1937 hin, bedingt durch den Widerstand nationalsozialistischer Kreise der Universität einschließlich von Rektor Wilhelm Groh (1890–1964) (vgl. Brief an Dekan H. Vogt vom 18.2.1937 [UAH PA 8615]Footnote 4), denen Seiferts unpolitische Haltung ein Dorn im Auge war, sowie durch seine Erkrankung an Kinderlähmung (1936).

Ludwig Wesch, Professor der technischen Physik und SS-Obersturmführer, verfasste geheime Berichte an den Sicherheitsdienst (SD) über seine Kollegen. Über Seifert schrieb er am 1. April 1937: „In wissenschaftlicher Hinsicht gehört Seifert zu dem besseren Nachwuchs. Da im Augenblick der Nachwuchs auf dem Gebiet der Mathematik sehr gering ist, bleibt der Naturw. – Math. Fakultät eine andere Wahl nur schwer erspart, sie wurde jedoch durch die Berufung von Prof. Wegner, Darmstadt, als o. Prof. bedeutend verbessert.“ (UAH Rep. 38–7) Deutlicher noch wurde er dann am 17. Oktober 1938: „Das politische Gesamturteil ist absolut negativ. Die weltanschauliche Einstellung ist liberal, zum Teil demokratisch, wobei seine Verbindung zu ebensolchen Mathematikerkreisen massgebend ist. Charakterlich: Absolut unkameradschaftlich sowohl gegenüber seinen engsten Kollegen. Er ist ausgesprochen egoistisch und deswegen wenig hilfsbereit. Dazu kommt seine Willensschwäche, die von seinem Freund Threlfall besonders ausgenutzt wird. Wissenschaftlich hat er einige ausgezeichnete Arbeiten geliefert, seine Vorlesungen hält er ohne besonderes Interesse.“ (UAH Rep. 38–7) G. Kowalewski, Lehrinstuhlinhaber und Rektor in Dresden, Mitglied der NSDAP, hatte eine Stellungnahme pro Seifert abgeben (vgl. UAH PA 8615), in der u.a. schrieb: „Seifert entstammt einer mittleren Beamtenfamilie, in der nationale Gesinnung Tradition ist.“ Er mutmaßte sogar, Seifert sei Kandidat der Partei und Mitglied des Nationalsozialistischen Lehrerbundes. Letzteres war in der Tat der Fall, wurde aber bei der politischen Überprüfung Seifert nach dem Krieg nicht als belastend eingestuft. Am 22. Juni 1937 schwor Seifert in Heidelberg in Anwesenheit von Rektor Ernst Krieck (1882–1947): „Ich gelobe. Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein, meine Dienstobliegenheiten gewissenhaft und uneigennützig erfüllen.“

Umso mehr bemühte man sich um eine politisch genehme Besetzung des zweiten Lehrstuhls, nachdem die Berufung von Eberhard Hopf gescheitert war, der einen Ruf nach München vorzog. Zuerst verpflichtete man Werner Weber aus Göttingen als Vertreter, der aber nicht überzeugen konnte. Schließlich berief man zum 1.4.1937 Udo Wegner aus Darmstadt, der für Seifert (und Threlfall) zum Anathema werden sollte. Die Spannungen mit Wegner und anderen Kollegen belasteten sicherlich die Vorkriegszeit Seiferts in Heidelberg. „Seifert in Hdlbg. nicht auf Rosen gebettet“ stellte Threlfall am 29.6.1938 im Tagebuch fest.

Im Sommersemester 1936 bot Seifert eine „Einführung in die Topologie“ an, die allerdings nur sieben Hörer fand, daneben darstellende Geometrie II und analytische Geometrie. Bemerkenswert in Hinblick auf Seiferts Tätigkeit während des Krieges ist, dass er im Wintersemester 1936/37 und im nachfolgenden Sommersemester „Einführung in die Aerodynamik“ las, für das Wintersemester 1939 kündigte er „Perspektive und Photogrammetrie“ an. Topologie lehrte er nur noch einmal vor dem Krieg in Heidelberg, nämlich im Sommersemester 1939. Daneben hielt er Standardvorlesungen wie Differential- und Integralrechnung, analytische und synthetische Geometrie, auch eine Einführung in die Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Threlfall,Footnote 5 bis dato Privatdozent in Dresden, wurde 1935 als ao. Professor nach Halle berufen, 1937 folgte er Carl Ludwig Siegel auf dessen Lehrstuhl an der Universität Frankfurt a. M. Sein kantiger, wohl auch launiger Charakter, der vor Provokationen und harten, ja sarkastischen Urteilen nicht zurückschreckte – und sicher manchen Zeitgenossen verschreckte – wird im Entwurf einer Besprechung des Lehrbuchs „Topologie“ von Alexandroff und Hopf (1935) – in gewisser Weise die Konkurrenz zum Lehrbuch von Seifert und Threlfall (1934) – deutlich, den Threlfall an H. Hopf am 31. März 1936 sandte:

„Wenn die Zeit gekommen sein wird, wo in der deutschen Mathematik in der Hauptsache nur noch von ganzen Zahlen und von höchstens drei Dimensionen die Rede sein darf, so werden die wenigen alsdann in Dachstuben ihre Muße und ihren Geist genießenden Mathematiker, denen aus der Blütezeit mathematisch-physikalischer Forschung die Leidenschaft zu wissenschaftlichen Untersuchungen großer Zusammenhänge geblieben ist, es dankbar empfinden, daß die Disziplin der Topologie zuvor noch auf so würdige Weise in einem großen Querschnitt dargestellt worden ist. […] Zur Darstellung ist bezeichnend, daß das ganze Buch keine Matrix enthält, es wird rein begrifflich und independent gearbeitet und nicht gerechnet. Darin macht sich wohl der Einfluß von E. Noether geltend. Gleichzeitig zeigt sich dabei, wie nichtig die Gesundheitsatteste sind, die unzulängliche Idealisten heute dieser oder jener mathematischen Theorie oder Methode auf den Weg geben möchten.“ (Bibliothek ETH-Hochschularchiv Hs 621: 1427) Abgerundet wird das Ganze dann mit einem Kepler-Zitat aus dessen „Astronomia nova“ (1609), beginnend mit „Durissima est hodie conditio scribendis libros mathematicos“. Dieses sollte später zu Auseinandersetzungen mit W. Blaschke führen, da Seifert und Threlfall es ihrem Buch über Morse-Theorie voranstellen wollten. Blaschke als Herausgeber der Hamburger Einzelschriften, in denen das Buch erschien, wollte das Zitat nicht drucken, wohl weil er darin eine versteckte Kritik am Regime sah. Ob Threlfall ernsthaft annahm, er könne den zitierten Besprechungstext in Deutschland noch veröffentlichen, bleibt offen.

Seine Neigung zu krassen UrteilenFootnote 6 wäre Threlfall 1942 fast zum Verhängnis geworden, als gegen ihn aufgrund einer Anzeige seiner Frankfurter Zimmerwirtin von der Gestapo wegen defätistischer Reden ermittelt wurde.

Im Sommer 1936 besuchten Threlfall und Seifert den Internationalen Mathematikerkongress in Oslo, an diesem hatten sie schon 1932 in Zürich, wo Heinz Hopf, ein wichtiger Kollege und Korrespondezpartner von Seifert und Threlfall, wirkte, teilgenommen und dort ihre Arbeiten zu gefaserten Räumen vorgestellt. 1936 war die Teilnahme an einem internationalen Kongress für deutsche Mathematiker, die nicht zur offiziellen Delegation gehörten, nicht einfach wegen der restriktiven Devisenbestimmungen des Deutschen Reichs. Nicht so für H und W, denn Threlfall verfügte über ein Guthaben in England – sein Vater war ja Engländer gewesen; Seifert erhielt zudem einen Zuschuss von seiner Universität über 200 RM. In Oslo erkrankten Threlfall und Seifert an Kinderlähmung, letzterer schwer. Threlfall notierte am 22.8.1936: „Uns haben in ihrem Neide die Götter geschlagen. Möchten Sie doch mit W vorlieb nehmen!“ (TB XI, 27) Von dieser Erkrankung behielt Seifert lebenslang eine Gehbehinderung zurück, dennoch blieb er ein begeisterter Bergwanderer. Seifert konnte seine Lehre erst gegen Ende 1936 wieder aufnehmen.

Im Jahr 1938 sorgte Seifert dann für eine Art Skandal. In einem Brief ans zuständige Reichsministerium vom 15.3.1938 (UAH PA 8615) beantragte er die Aufhebung seiner Residenzpflicht in Heidelberg, um nach Frankfurt ziehen zu können, wohin Threlfall gerade berufen worden war. Seine Begründung lautete: In Heidelberg gäbe es fast keine Mathematikstudenten mehr, so dass er seine „besten und produktivsten“ Jahre ohne die Möglichkeit, Schüler heranziehen zu können, verbringen müsse. Zudem sei die Nähe Threlfalls sinnvoll, denn dieser gäbe seinen (Seiferts) Ergebnissen die „sorgfältige und verständliche Formulierung“. Rektor Krieg schrieb ans Karlsruher Ministerium: „Die Begründung des Gesuches empfinde ich als eine Ungehörigkeit“. Für das Wintersemester 1938 erhielt Seifert dann einen zweistündigen Lehrauftrag „Analysis im Großen“ an der Universität Frankfurt, ihm wurde gestattet, einen Tag der Woche in Frankfurt zu verbringen. In diese Zeit fallen auch Bemühungen von Seifert und Threlfall um eine Zusammenberufung an einer Universität (Erlangen); vgl. Kranz [22].

Abb. 1
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Ausweis Nr. 357 für Dr. William Threlfall, ordentlicher ProfessorFootnote

Alle Fotos stammen soweit nicht anders vermerkt aus dem Nachlass von H. Seifert. Der Verfasser dankt Hans Romberg (Stutensee) für die Überlassung von Teilen des Seifertschen Nachlasses.

Mit Kriegsbeginn änderte sich die Lage für Seifert drastisch. Adolf Busemann, den Seifert und Threlfall aus Dresdner Zeiten kannten und der schon einige Zeit an der Luftfahrtforschungsanstalt in Braunschweig tätig war, bot offensichtlich Seifert an, dort die Abteilung „Theoretische Gasdynamik“ zu leiten. Dabei ging es hauptsächlich um Probleme des Überschallflugs, bei diesen wiederum spielten hypergeometrische Differentialgleichungen eine wichtige Rolle, denen sich Seifert in den folgenden Jahren widmen sollte. Am Sa 23.9.1939 15h schrieb Threlfall von Dresden aus an Seifert: „Nach meiner Ansicht ist nur eine Frage wichtig: ob man weiter leben will oder nicht. Will man, so ist der Weg eindeutig vorgezeichnet; dir der Busemannsche Unterstand! Ich könnte die Arbeit in Braunschweig nicht leisten. Ich, leichter erregbar und erschüttert als du, halte mich zur Zeit noch passiv und verzweifelt. In Ruhe weiter zu arbeiten, scheint mir ein unerfüllbarer Wunschtraum. – Wenn heute Offiziere der alten Armee es für das höchste Glück halten zu fallen, wenn die Sterblichkeit in bürgerlichen Kreisen in den letzten Wochen so groß ist, daß das hiesige Krematorium den Antrag nicht bewältigen kann und für die nächsten 10 Tage keine Sterbefälle annimmt, so kann ich das verstehen.“ (TB XV, 405 – Transkription von Ph. Ullmann [Frankfurt a. M.]Footnote 8) Am 16.10.1939 fuhr Seifert von Bautzen aus, wo seine Eltern lebten, nach Braunschweig; das Wintersemester 1939/40 wurde verschoben und durch das erste Trimester 1940 ersetzt. Nach Heidelberg kehrte Seifert, von kurzen Besuchen abgesehen, erst wieder im Herbst 1945 zurück, die Zeit bis dorthin verbrachte er zuerst in Braunschweig und dann ab August 1944 am neugegründeten Reichsforschungsinstitut für Mathematik in Oberwolfach – Walke.

Über Seiferts Tätigkeit in Braunschweig, wohin später auch Threlfall (teil-)beurlaubt wurde, ist naturgemäß wenig bekannt; in Oberwolfach bestand seine offizielle Aufgabe in der Erarbeitung eines Lehrbuchs zu partiellen Differentialgleichungen; hierzu hatte Seifert schon 1943 einen Antrag auf Forschungsförderung gestellt (Antrags-ID: 140106 – BArch Berlin, R26 III/16; BArch Berlin, R26 III/21; Bericht des RFR 1. Januar–30. Juni 1943). Ergebnisse dieser Beschäftigung waren die Publikationen „Die hypergeometrischen Differentialgleichungen der Gasdynamik“, nach dem Krieg erschienen im Band 120 der Mathematischen Annalen (Seifert [33], fertig gestellt wurde der Artikel aber schon 1943), der Konstantin Carathéodory („Cara“) als Festschrift zum 70. Geburtstag gewidmet war, und „Zur asymptotischen Integration von Differentialgleichungen“ [32].

Das Kriegsende erlebten Seifert und Threlfall in Oberwolfach, wo sie sich seit September 1944 als Mitarbeiter des Reichsinstituts aufhielten. In den letzten Tagen vor Einmarsch der Alliierten (am 21.4.1945 kamen „berittene Marokkaner“, wie Threlfall notierte) hatten sich die jüngeren Mitglieder des Instituts in umliegenden Höfen in Sicherheit gebracht, u.a., um nicht noch in den letzten Kriegstagen in den Volkssturm eingezogen zu werden, Seifert kam auf die Holzlege, einen recht abseits gelegenen Hof. Threlfall als Ältester blieb im Institut, um dieses zu übergeben, da sich Direktor Süß in seiner Eigenschaft als Rektor der Universität nach Freiburg begeben hatte. Am Reichsinstitut normalisierte sich die Lage schnell, schon am 28.4. begann Seifert eine Serie von Vorträgen über „Differentialgleichungen mit vorgegebener Gruppe“. Seifert und Threlfall blieben dem später so genannten Mathematischen Forschungsinstitut und seinem Leiter, Wilhelm Süß, auch weiterhin verbunden. Im April 1949 organisierte man dort eine erste Tagung über Topologie; Threlfall, der mit Seifert an der Tagung teilnahm, starb im Schlafsaal des Lorenzenhofs in der Nacht vom 3. auf den 4. April unbemerkt von den anderen Anwesenden an einem Hirnschlag.

Abb. 2
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Die letzte Seite im Tagebuch in Threlfalls Handschrift; Die Notiz zu seinem Tod wurde vermutlich der Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung entnommen; sie entstammt einem Nachruf der Universität, für den Seifert die Vorlage verfasste

Text der Notiz: Aus der Universität

Am 4. April starb kurz vor der Vollendung seines 61. Lebensjahres der ordentliche Professor für Mathematik Dr. William Threlfall. Der Verstorbene wirkte seit 1946 an der Universität Heidelberg. Seine wissenschaftlichen Untersuchungen, die Probleme aus der Topologie und der Analysis im Großen gewidmet sind, haben ihm in aller Welt ein hohes Ansehen verschafft. Zahlreiche Ehrungen wurden ihm zuteil. W. Threlfall war Mitglied der Heidelberger Akademie sowie mehrerer in- und ausländischen Gesellschaften. Ein bedeutender Wissenschaftler und ein Mensch von wahrhaft europäischer Gesinnung wurde abberufen.

Threlfall war wohl eine schillernde Persönlichkeit, vermutlich fragten sich nicht wenige Kollegen, wie denn seine eigenen Beiträge zum gemeinsamen Werk mit Seifert einzustufen seien. Bemerkenswert ist das Urteil von Heinz Hopf, der am 15. Mai 1935 an P. Alexandroff schrieb: „Threlfall war ein paar Tage hier [in Zürich; K.V.]. Es war mir etwas peinlich, daß er nicht zusammen mit Seifert nach Moskau eingeladen worden ist, und ich wußte dafür keine Erklärung. Seine Mitwirkung an Seifert – Threlfall kann man doch sicher als eine erstklassige Leistung für die Topologie betrachten; ferner ist er unter den deutschen Mathematikern einer derjenigen, die am meisten dafür tun, die Verbindung zwischen der deutschen und der ausländischen Mathematik zu fördern (er wird in Genf vortragen); drittens ist er persönlich ein ungewöhnlich anständiger und sauberer Mann, und er wird uns (Anja und mir) bei jedem Besuch sympathischer.“ (ETH-Bibliothek Hochschularchiv Hs 160: 112) Seifert folgte übrigens der Einladung zum Moskauer Topologenkongress nicht. Am 30. Oktober 1936 berichtete Hopf nach Moskau: „Threlfall blieb bis Montag (er gestand mir übrigens: wenn er nach Moskau eingeladen gewesen wäre, so wären beide, Thr. und S., bestimmt gekommen, …“

Um seinen Fortbestand nach dem Krieg zu sichern, beteiligte sich das Mathematische Forschungsinstitut auch an den FIAT (Field Information Agency Technical) Reviews of German Science, in denen über die Forschung in Deutschland während des Krieges in Mathematik, Naturwissenschaft und Technik berichtet wurde. W. Süß und „sein“ Institut gaben den Band über „Reine Mathematik“ heraus, zu dem Seifert und Threlfall den Beitrag über „Topologie“ verfassten (Seifert/Threlfall [38]). Darin wird deutlich, dass die Forschung auf diesem Gebiet in Deutschland weitgehend auf dem Stand von etwa 1935 stehengeblieben war; neuere Entwicklungen (etwa die Kategorien- und die Kohomologietheorie, ganz allgemein die Strukturorientierung) in den USA, Frankreich und der Schweiz wurden – bedingt nicht zuletzt durch Unzugänglichkeit der Literatur – nicht mehr rezipiert. Insofern bestand nach dem Krieg großer Nachholbedarf gerade für die junge Generation von Topologen.

Abb. 3
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Die Beschriftung stammt von H. Seifert. Das Foto wurde am Neckarufer aufgenommen

Noch aus der Zeit in Dresden verblieben Seifert und Threlfall zwei Schüler: Willy Walter Hantzsche (1912–1944) und Hilmar Wendt (1913–2002). Beide wurden von Threlfall 1937 in Halle promoviert, Wendt mit einer Arbeit mit dem schönen Titel „Die gordische Auflösung von Knoten“, Hantzsche bearbeitete die „Einlagerung von Mannigfaltigkeiten in euklidische Räume“; in beiden Fällen war Seifert Zweitgutachter. Beide folgten Seifert und Threlfall nach Braunschweig, wo Hantzsche mit seiner Frau 1944 bei einem Luftangriff ums Leben kam. Noch im Jahr zuvor hatte er sich in Frankfurt a.M. bei Threlfall mit einer Arbeit zur Berechnung kompressibler Unterschallströmungen habilitiert. Wendt, der sich 1943 in Braunschweig mit einer Abhandlung zur Gasdynamik habilitiert hatte, wurde 1947 apl. Professor in Heidelberg, ging aber schon 1948 an die TH Dresden, im selben Jahr noch nach Bonn-Poppelsdorf. Wie viele Einträge im Tagebuch zeigen, war das Verhältnis von Seifert und Threlfall zu ihren beiden Schülern recht eng.

2 Vereint in Heidelberg

Nachdem Heidelberg besetzt worden war, wurde U. Wegner verhaftet und suspendiert; er hatte als Prorektor die Universität übergeben, Rektor Schmitthenner, seines Zeichens auch Badischer Kultusminister, hatte das Weite gesucht – ähnlich wie Ph. Lenard und der bereits genannte L. Wesch. Da Max Müller 1938 nach Tübingen berufen worden war, verblieb in der Mathematik neben Seifert nur noch Hans Maaß (1911–1998) als Dozent; 1948 wurde er ao. Professor und schließlich 1958 o. Professor in Heidelberg. Im Mai 1946 gelang es Seifert, die vakante Professur Wegners mit W. Threlfall zu besetzen und somit den lange gehegten Wunsch nach Zusammenwirken an einer Stätte endlich zu verwirklichen. Dies geschah nicht ohne Kritik, waren doch viele, auch junge Mathematiker auf Stellensuche. Konstantin Carathéodory (1873–1950) schrieb einen Brief an Seifert, in dem er unter u.a. die Berufung des arbeitslosen Emmanuel Sperner anregte. Seifert antwortete darauf:

„Ihr Brief vom 1.12.[1945] versetzt mich in Bestürzung und Sorge. Es ist Ihnen bekannt, wie sachlich gerechtfertigt und wie überdies erwünscht die Zusammenberufung mit T. ist, und Sie haben seiner Zeit durch Ihre Unterschrift unter unser Zusammenberufungsgesuch neben Hilbert die Gründe, die dafür sprechen, anerkannt.“ (UAF C 89/5).Footnote 9

Trotz Berufung blieb die Lage brisant, denn Wegner war nur suspendiert.Footnote 10 Auch A. Rosenthal, der mittlerweile in den USA lebte, hätte Interesse an seiner alten Stelle anmelden können. Das Spruchkammerverfahren gegen Wegner führte nicht weiter: Am 25.III.1948 musste Threlfall offensichtlich missvergnügt notieren: „Wegner ist Mitläufer geworden u. wird mehr denn je Sturmläufer auf seinen alten Posten werden.“ (TB XXII, 1478). Wie stark die Abneigung gegen Wegner war, verdeutlicht folgende Notiz im Tagebuch: „Max Müller aus Tübingen zu Besuch, er ist Wegner freundlich gesinnt und versöhnlich. Solche Schwachheiten bringen die asozialen Elem. hoch.“ (TB XXI, 1480)

Trotz des für Wegner durchaus günstigen Ausgangs des Spruchkammerverfahrens gelang es Seifert auch noch nach Threlfalls Tod, einen Kandidaten seiner Wünsche zu berufen und damit Wegners Rückkehr zu vermeiden. Nachdem A. Süss den an ihn ergangenen Ruf abgelehnt hatte, wurde 1952 Friedrich Karl Schmidt (1901–1977) berufen. Schmidt war auch dem Springer-Verlages als Berater verbunden; mit ihm kam Martin Kneser (1928–2004) als Assistent nach Heidelberg, der sich 1953 habilitierte und bis 1958 als Privatdozent in Heidelberg wirkte. Nach dem Krieg wurde übrigens der in Heidelberg lebende Ferdinand Springer (1881–1965) des Öfteren von Threllfall und Seifert zu Kolloquiumsvorträgen, z.B. von Saunders MacLane (22.11.1948), eingeladen. MacLane (1909–2005) war fortan häufig Gast in Heidelberg. Ein Schritt zum Ausbau der Mathematik wurde 1957 mit der Berufung von Gottfried Köthe (1905–1989) vollzogen, der den neu eingerichteten Lehrstuhl für angewandte Mathematik am ebenfalls neu entstandenen Institut für angewandte Mathematik erhielt; diese Stelle ging eigentlich schon auf die Berufungsverhandlungen mit Threlfall zurück. Köthe wechselte 1965 an die Universität Frankfurt. 1958 wurde die angewandte Mathematik weiter verstärkt durch die Berufung von Klaus Krickeberg (*1929), der die Gebiete Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik vertrat.

Abb. 4
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Beschriftung von H. Seifert. Das Foto wurde vermutlich im Hof des Friedrichsbaus, Hauptstraße 47–51, aufgenommen, in dem das Mathematische Institut bis 1955 untergebracht war

Inhaltlich waren Seifert und Threlfall nach dem Kriege hauptsächlich in der Knotentheorie aktiv; zu diesem Themenfeld entstanden mehrere Artikel (Threlfall [41], Seifert [35], Seifert [34], Seifert/Threlfall [39]). In diesem Gebiet schrieb auch Horst Schubert (1919–2001) seine Dissertation „Die eindeutige Zerlegbarkeit eines Knotens in Primknoten“ (1948), die Doktorprüfung bestand er mit „ausgezeichnet“ (27.10.1948). Der aus Chemnitz stammende Schubert war schon in Frankfurt im Zuge eines Fronturlaubs im Wintersemester 1941/42 Student bei Threlfall gewesen; er konnte aber sein Studium kriegsbedingt nicht fortführen.Footnote 11 Schubert habilitierte sich 1952 in Heidelberg (Habilitationsschrift „Knoten und Vollringe“) und wurde ein wichtiger Ansprechpartner für die nachrückende junge Generation von Topologen, mit denen er eine Art Arbeitsgruppe moderne Topologie bildete. Er veranstaltete zusammen mit Seifert und Habicht in den 50er Jahren das Oberseminar über Topologie (erstmals im Wintersemester 1949/50). Seine pianistischen Fähigkeiten waren bei gesellschaftlichen Anlässen wie Institutsfeiern geschätzt. Nachdem er 1958 in Heidelberg zum apl. Professor ernannt worden war und eine Vertretung in Tübingen (nach Emeritierung von Kamke) übernommen hatte, wechselte er 1959 als Ordinarius an die Universität Kiel, danach war er in Düsseldorf tätig. Schubert war es auch, der das erste Lehrbuch der Kategorientheorie (1970) in deutscher Sprache veröffentlichte, ein Gebiet, das für die junge Generation von Topologen wichtig werden sollte. Schuberts Buch vorangegangen waren u.a. die Lecture Notes Bände von Brinkmann und Puppe sowie von Dold zu diesem neuen Gebiet. Bekannt geblieben ist Schuberts Lehrbuch der Topologie, über Jahrzehnte hinweg ein vielbenutztes Lehrbuch.

Auch die gemeinsame Arbeit von Martin Kneser und Dieter Puppe (1930–2005) aus dem Jahre 1953 hatte Knoten zum Thema.

Im Juli 1948 reiste wie von Hopf erwähnt Threlfall zu einem Kongress in Genf, wohin ihn G. de Rham, zu dem schon lange Kontakte bestanden, eingeladen hatte. Threlfall trug über Knotentheorie vor („New and old results on knots“); auf der Rückfahrt hielt er sich längere Zeit in Zürich bei Heinz Hopf (1894–1981) auf. Hopf und seine Schule in Zürich (u.a. B. Eckmann, E. Stiefel) spielten eine wichtige Rolle in der frühen Nachkriegszeit als Vermittler der neuen Forschungsergebnisse und -ansätze, die sich außerhalb Deutschlands entwickelt hatten. Dabei war auch wichtig, dass Schweizer Mathematiker sofort nach dem Krieg frei reisen konnten und man dort somit Zugang zur aktuellen Literatur hatte.

Neben Hopf war Marston Morse (1892–1977) der wichtigste Mathematiker, mit dem Seifert und Threlfall langjährig Kontakt hatten. Deren Buch von 1937 war die erste lehrbuchartige Einführung in die Theorie von Morse in deutscher Sprache; auch später vergab Seifert immer wieder Themen, die mit der Morse-Theorie zusammenhingen (vgl. Dissertationen von M. Klingmann (1965) und A. Riede (1966)). 1948 wurde Seifert von Morse nach Princeton eingeladen, wo er das Wintersemester 1948/49 verbrachte; er war damit einer der ersten deutschen Mathematiker, die nach dem Krieg in die USA reisten.

Abb. 5
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Marston Morse mit Familie (1950)

Die Verhältnisse in Princeton hatte zuvor schon der praktisch denkende Threlfall eruiert. In Zürich notierte er am 20.VII.49:

„Habicht erzählt von Princeton: 170 $ im Monat gebraucht, in Baraken gewohnt, selbst gekocht. Baraken mit Bad u. Küche gehören zum Institute. Frühstück u. Lunch im Inst. Frühst. 60 cts, Lunch 1 $.“ (TB XXII, 1518)

Nach dem Tod Threlfalls heiratete Seifert im Sommer 1949 in Frankfurt a. M. die Schriftstellerin Katharina Korn (1909–1997), geschiedene Franz und promovierte Philosophin (Dissertation über die Stoa). Ihre Ehe blieb kinderlos. Katharina Franz war schon zuvor im Tagebuch erschienen. Am Montag, den 11.X.48 hielt der aufmerksame Beobachter Threlfall fest: „Franz war mit einer Dame im Konzert.“ Er ergänzte dann: „Frau Franz besucht W. am 12.X. 1430 im Institut. Bringt zwei Chrysanthemen. Kündigt Besuch von Herrn Franz an.“ (TB XXII, 1567)

Abb. 6
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Beschriftung von H. Seifert. Das Foto wurde im Sommer 1973 im Garten des Wohnhauses des Ehepaars Seifert Unter der Schanz 2 aufgenommen. Anlass war ein Besuch von S. MacLane, der vermutlich der Fotograf dieser Aufnahme war

Die Lehre nahm in der Nachkriegszeit allmählich wieder an Fahrt auf. Nachdem in den Fächern Medizin und Theologie schon im Wintersemester 1945/46 wieder Veranstaltungen angeboten worden waren, begann die Mathematik wie alle anderen Fächer im Sommersemester 1946 mit dem Lehrbetrieb, getragen von Seifert und Threlfall als Professoren, dem Privatdozenten H. Maaß, dem Lehrbeauftragten Hermann Fischer für Elementarmathematik und Assistent Hans-Joachim Kanold (1914–2012), der später ebenfalls Privatdozent wurde und hauptsächlich Themen der angewandten Mathematik anbot. Seifert und Threlfall hielten meist Standardvorlesungen wie Differential- und Integralrechnung, analytische Geometrie, Differentialgleichungen und Differentialgeometrie, daneben wurde ein mathematisches Seminar angeboten. Seifert las auch über Darstellende Geometrie (Sommersemester 49), Kosmologie (Wintersemester 1947/48 und Sommersemester 1948) und Relativitätstheorie (Wintersemester 1950/51), Im Wintersemester 1948/49 bot Threlfall eine zweistündige Vorlesung über Raumformen an, im Wintersemester 1949/50 las W. Habicht über topologische Räume, im nachfolgenden Sommersemester über Topologie und im Wintersemester 1950/51 über Flächentopologie. Erst im Sommersemester 1951 und im nachfolgenden Wintersemester las Seifert selbst wieder über Topologie, in nachfolgenden Semestern auch über kontinuierliche Gruppen und Lie’sche Gruppen. Ein Seminar über Topologie wurde öfters angeboten mit Seifert, Maaß, Habicht und Schubert als Dozenten.

Am 4.II. 49 notierte Threlfall: „15–17h Vorl. Proj. Geom., 17–19h 2. Obersem. über Kategorie.“ Dieses damals in Deutschland neue Gebiet war also nach MacLanes Vortrag in Heidelberg angekommen.

3 Eine neue Generation

Am 1.9.1947 taucht erstmals im Tagebuch ein Name auf, der für die weitere Entwicklung der Heidelberger Topologie sehr wichtig werden sollte:

„Albrecht Dold (5. VIII. 28) Nussbach b. Triberg (empfohlen von Schwester Maria Manfreda) wird VII. 48 sein Abitur machen u. sich um Immatr. bewerben.“ (XXI, 1415)

Am 21.V. 48 schließlich notierte er:

„Hermann Bährle zus. mit Dold zur Im. im WS 47/48 vorgesehen.“ (XXII, 1491)

Schwester Manfreda kannte Threlfall vermutlich aus dem Schwarzwald, wo er sich im Zuge von Beschaffungsfahrten – gerne Hamsterfahrten genannt – viel bewegt hatte. (Egon) Albrecht DoldFootnote 12 (1928–2011) erhielt einen der wenigen Studienplätze, die zur Verfügung standen; bis Anfang der 50er Jahre gab es in allen Fakultäten der Universität Heidelberg einen Numerus clausus, der „unbedingt einzuhalten“ sei, wie das Vorlesungsverzeichnis stets warnte. Nach Ablegen des Abiturs an der Oberrealschule in Triberg Juni/Juli 1948 begann Dold sein Studium im Wintersemester 1948/49; „WS 47/48“ war offensichtlich ein Schreibfehler von Threlfall.

Die Wege von Seifert/Threlfall und Dold hätten sich schon früher kreuzen können, denn letzterer diente vom 13.1.1944 bis zum 30.3.1945 in Rust als Luftwaffenhelfer; dorthin, genauer gesagt in das Schloß des Barons Böcklin von Böcklinshofen, verbrachten Seifert und Threlfall ihre Habe im Zuge ihres Umzugs von Braunschweig nach Oberwolfach. Diese ging allerdings durch Plünderung weitgehend verloren. Die Kriegsgefangenschaft blieb Dold erspart, politische Überprüfung in Folge der Jugendamnestie ebenfalls.

Abb. 7
figure 7

Beschriftung von H. Seifert. Anlass für das Foto war ein Ausflug des Mathematischen Instituts 1958

Dold erwarb 1952 das Diplom, er promovierte 1954 bei Seifert mit einer Arbeit über fasernweise Homotopieäquivalenz [12]. Von 1953 bis 1956, dann wieder von 1958 bis 1960 hatte Dold eine Assistentenstelle inne, Anfang 1956 weilte er mit einem Stipendium der französischen Regierung drei Monate in Strasbourg, wo er mit René Thom zusammenarbeitete, mit dem zusammen er auch Arbeiten veröffentlichte. Diese wurden hoch geschätzt, am 9.11.1957 berichtete H. Hopf an seinen Freund Pawel Alexandroff (ETH-Bibliothek Hochschularchiv Hs 160: 133):

„Unter diesen neuen Dingen in der Topologie gibt es ja, – neben manchem, was ich wirklich nicht interessant finde (ich glaube nicht daran, daß das Neuere immer das Bessere ist) – wirklich Imponierendes. Zum Beispiel: Serres Sätze über die Homotopiegruppen der Sphären; Milnors Entdeckung, daß die S7 mehrere differenzierbare Strukturen besitzt; der Satz von Thom-Dold, daß die Homologiegruppen eines Raumes mit den Homotopiegruppen der symmetrischen unendlich-hohen Potenz dieses Raumes zusammenfallen; die Operationen von Steenrod; and so on and so forth. Ich lasse mich über solche neuen Dinge gern von meinem früheren Schüler und jetzigen Kollegen Eckmann informieren, der sehr klug und sehr nett ist und mit dem ich sehr befreundet bin.“

Dolds Habilitation erfolgte 1958 in Heidelberg mit der Schrift „Homologie symmetrischer Produkte und anderer Funktoren von Komplexen“, nachdem er zuvor zwei Jahre am Institute for Advanced Study in Princeton als Assistent bei H. Whitney gearbeitet hatte. Am Samstag, den 25.7.1958 hielt Dold um 12 Uhr c.t. seine Antrittsvorlesung über „Umlaufzahl und Fixpunktsätze“.

Von 1960 bis 1962 war Dold in den USA erst als Assistant, dann als Associate Professor an der Columbia University tätig, danach war er ein Jahr als ordentlicher Professor an der Universität Zürich beschäftigt. 1963 wurde A. Dold nach Heidelberg auf ein neu eingerichtetes Ordinariat für reine Mathematik berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1996 blieb. Im Schreiben vom 7.12.1962 (UAH PA 11674), das der Dekan der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät wie üblich ans Stuttgarter Ministerium sandte, in dem der Berufungsvorschlag – eine Einerliste übrigens – begründet wurde und das inhaltlich gesehen wohl von H. Seifert stammte, werden als Arbeitsgebiete von Dold grob algebraische Topologie und homologische Algebra aufgeführt: „Dold ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Vertreter dieser in rascher Entwicklung begriffenen Gebiete.“ Im Einzelnen werden genannt: Theorie der Faserräume, charakteristische Klassen, Cobordismustheorie, Kohomologieoperatoren, symmetrische Produkte, semisimpliziale Komplexe, zusammen mit D. Puppe Homologie nicht-additiver Funktoren und derivierte Funktoren. Beiliegend findet sich die Publkationsliste von Dold mit 16 Titeln, darunter einige mit Koautoren (R. Thom, R. K. Lashof, H. Whitney und D. Puppe); zur Theorie der Faserräume rechnet übrigens die sehr bekannte Arbeit „Partitions of unity in the theory of fibrations“ [13]. Weiter heißt es im Brief ans Ministerium: „Als akademischer Lehrer wird Herr Dold wegen seines klaren und lebendigen Vortrages und wegen seines engen Kontaktes mit den Studenten hochgeschätzt. Er ist aufgeschlossen für die Probleme seiner Kollegen und sehr anregend. Als Mensch ist er liebenswürdig und hilfsbereit.“ Als Mathematiker, die ihn am meisten beeinflusst hatten, nannte Dold selbst S. Eilenberg und R. Thom.

Am 1.3.1965 heiratete Dold in Amsterdam die Niederländerin Ivonne Samplonius (1937–2014), Mitarbeiterin des Elsevier-Verlags. Yvonne Dold-Samplonius wurde eine bekannte Spezialistin für die Geschichte der islamischen Mathematik insbesondere in Bezug auf deren Verwendung in Architektur und Astronomie (Promotion „Book of Assumptions by Aqatun“ (1977) in Amsterdam bei E. Bruins). Ihre Ehe blieb kinderlos.

Albrecht Dold absolvierte ungewöhnlich viele Auslandsaufenthalte, auch lange Reisen – u.a. mit seiner Ehefrau in islamische Länder – gehörten zu seinen bevorzugten Beschäftigungen. Bekannt waren zudem die Kochkünste der Dolds, ausgeübt in ihrem Haus in Neckargemünd im Türkenlouisweg. Wie es sich für eine gute Küche gehört, waren die Messer scharf, was manchem Helfer zum Verhängnis wurde.

Abb. 8
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Albrecht Dold, Yvonne Dold-Samplonius und Dieter Puppe (21. Januar 1975) (Privatbesitz Clemens Puppe)

Dold zog zahlreiche Studierende und Doktoranden aus dem Ausland nach Heidelberg; er war ein enthusiastischer Vortragender. In den 60iger Jahren promovierten Volker Puppe (* 1938), jüngerer Bruder von D. Puppe, und Friedrich Ulmer bei Dold, in den Jahren danach hatte er eine große Zahl von Doktoranden. Dold hat mehrere Rufe abgelehnt u.a. einen an das Berliner Wissenschaftskolleg (1984); er war Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung und Vizepräsident der Internationalen Mathematiker-Vereinigung.

Große Resonanz fand die Reihe der „Lecture Notes in Mathematics“, die Dold 1964 zusammen mit Beno Eckmann (ETH Zürich) gründete und über Jahrzehnte hinweg herausgab. Unter ihrer Ägide erschienen rund 1000 Bände; die Bände boten die seinerzeit dringend benötigte Möglichkeit, rasch und unkompliziert zu veröffentlichen. Weite Verbreitung fanden auch Dolds „Lectures on Algebraic Topology“, die 1972 in der Reihe Grundlehren der mathematischen Wissenschaften des Springer-Verlags erschienen und 2004 in der Reihe „Classics in Mathematics“ neu aufgelegt wurden. Das Lehrbuch behandelt vor allem die singuläre Homologie- und Kohomologie mit besonderer Beachtung von Produkten und Mannigfaltigkeiten, wie im Vorwort zu lesen.

Kurze Zeit nachdem Dold das Studium begonnen hatte, kam (Siegmund) Dieter PuppeFootnote 13 zum Sommersemester 51 von Göttingen, wo er das Studium 1948 begonnen hatte, nach Heidelberg. Puppe wurde 1930 in Łódź geboren, er selbst berichtet nüchtern in einem Lebenslauf: „Im Jahre 1944 mussten wir Lodz infolge der Kriegsereignisse verlassen.“ (UAH PA 11943). Das in Łódź begonnene Gymnasium setzte er in Rawitsch, Zeulenroda, Greiz und Hildesheim fort, wo er 1948 das Abitur ablegte. Seine Familie lebte nach dem Krieg in Bad Salzdetfurt, später dann in Bremen.

Puppe schloss sich in Heidelberg der Topologie-Gruppe an, schon 1952 erschien eine erste Publikation „Minkowskische Einheiten und Verschlingungszahlen von Knoten“ in der Mathematischen Zeitschrift. Diese beruhte auf seiner Diplomarbeit bei Seifert im Jahr 1951. Hierauf folgte die bereits genannte Arbeit mit M. Kneser ebenfalls zur Knotentheorie. A. Dold und D. Puppe schlossen schon bald Freundschaft und begannen auch zusammen zu publizieren, erstmals wie bereits erwähnt 1958 zu nicht-additiven Funktoren. Neben der Kategorientheorie widmete sich D. Puppe der Homotopietheorie, schon in seiner Dissertation „Zur Homotopie von Abbildungen eines Polyeders“ (1954), dann in der Abhandlung „Homotopiemengen und ihre induzierten Abbildungen I und II“ (1958), deren bekanntestes Ergebnis wohl die Puppe(-Barratt)-Folge ist. Während in den Arbeiten zur Knotentheorie der Bezug zu Seiferts Forschungen noch deutlich ist, verschwand dieser nun weitgehend; die junge Generation ging fortan eigene Wege in Richtung Strukturmathematik.

Puppe erwarb bereits 1952 das Diplom in Mathematik, 1954 folgten das Staatsexamen mit den Fächern Mathematik, Physik und Philosophie – die Aussichten für den wissenschaftlichen Nachwuchs auf eine Universitätsstelle waren in den 50iger Jahren durchaus ungünstig – und die Promotion. 1957 erfolgte die Habilitation mit der Schrift „Homotopie und Homologie in Abelschen Gruppen und Monoidkomplexen“ und der Antrittsvorlesung „Die Gesamtkrümmung geschlossener Kurven, Flächen und Hyperflächen“, gehalten am Samstag, den 29. Juni 1957, um 12 Uhr c.t. im Großen Hörsaal des rund zwei Jahre zuvor bezogenen neuen Mathematischen Instituts im Neuenheimer Feld; es schloss sich ein zehnmonatiger Aufenthalt in Princeton an, zu dem Ehefrau Inge und die zehnmonatige Tochter Christine mitkamen. 1955 hatte Puppe die aus Brünn (heute: Brno) stammende Inge Bayer (1930–2018) geheiratet; aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor – neben der bereits genannten Tochter Sohn Clemens. Eine Konstante in Puppes Leben war die Liebe zur Musik, schon im bereits zitierten Lebenslauf betonte er, dass er seit seinem 10. Lebensjahr Klavier spiele und „mit Unterbrechungen“ Unterricht darin nehme. In einer Laudatio zum 60. Geburtstag – vermutlich war A. Dold der Verfasser – hieß es: „Dieter Puppe und seine Familie sind sehr musikalisch. Er ist sportlich und schätzt einen guten Tropfen.“ (UAH PA 11943).

Abb. 9
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Dieter Puppe und Albrecht Dold Anfang der 50iger Jahre (Privatbesitz Clemens Puppe)

Von Dezember 1951 an hatte Puppe eine Assistentenstelle inne, 1959 erhielt er die durch den Weggang von Schubert freigewordenen Diätendozentur, aber schon 1960 wechselte er an die Universität des Saarlandes, zuerst als ao. Professor. 1961 erfolgte die Ernennung zum o. Professor im Rahmen einer Rufabwehr. In Saarbrücken war übrigens U. Wegner Puppes Kollege, ersterer vertrat von 1956 bis 1963 dort die technische Mechanik, gehörte somit einer anderen Fakultät an als Puppe. Nach eigenem Bekunden wusste Puppe nichts über Wegners Vergangenheit in Heidelberg; offensichtlich redete Seifert darüber nicht mit seinen Schülern. 1968 wechselte D. Puppe als Nachfolger von F. K. Schmidt als o. Professor und Direktor des Mathematischen Instituts nach Heidelberg, wo er bis zur Emeritierung zum Ende des Wintersemesters 95/96 wirkte. Im Berufungsvorschlag, den Dekan K. Krickeberg (*1929) ans Stuttgarter Ministerium sandte (15.12.1966), heißt es: „Er ist freundlich und umgänglich, ist sehr um das Wohl der Studenten besorgt und an allgemeinen Universitätsfragen interessiert. Er ist sicher ein großer Gewinn für unsere Fakultät und Universität.“ (UAH PA 11943). Die Ausführungen, mit denen D. Puppe seinen Weggang aus Saarbrücken gegenüber dem dortigen Rektor, dem späteren Bundesinnenminister W. Maihofer begründete, klingen fast prophetisch: „Ich möchte mithelfen, dort einen Schwerpunkt auf dem Gebiet der Topologie zu bilden. Schon seit längerem vertrete ich die Ansicht, daß es sinnvoll ist, solche Schwerpunkte auch auf Teilgebieten klassischer Disziplinen zu bilden. Jetzt habe ich die Gelegenheit, diese Idee in die Praxis umzusetzen.“ (UAH PA 11943, Brief vom 15.12.1967)

Die Lehre war D. Puppe stets ein wichtiges Anliegen, seine Veranstaltungen waren vorbildlich geplant und vorbereitet. Anfängervorlesungen, nicht unbedingt allseits beliebt, widmete er viel Engagement. Seine Notizen, fast schon richtige Ausarbeitungen, stellte er seinen Hörerinnen und Hörern in Fotokopie zu Verfügung. Dabei widmete er seine Aufmerksamkeit durchaus auch den Kandidatinnen und Kandidaten des Lehramts, wovon u.a. eine beachtliche Zahl von Staatsexamensarbeiten und -prüfungen zeugt. Er dachte strategisch – wie schon das obige Zitat über das in Heidelberg aufzubauende Zentrum zeigt – und machte sich Gedanken über den Fortbestand des Faches: Der beste Garant für den Fortbestand der Mathematik sind gute Mathematikerlehrerinnen und – lehrer. Ende der 1970er Jahre hielt er Vorlesungen für die angehenden Wirtschaftswissenschaftler aus der Überlegung heraus, dass derartige Serviceveranstaltungen mit zur Absicherung des Faches beitragen könnten.

Schon in Saarbrücken gelang es D. Puppe, zahlreiche Schüler zu gewinnen, die oft auch Koautoren wurden: Hans-Bernd Brinkmann, mit dem er zwei Lecture Notes Bände zur Kategorientheorie veröffentlichte [2, 3], sowie Klaus Heiner Kamps und Tammo tom Dieck, Mitarbeiter am Lecture Notes Band über Homotopietheorie [11] – von Puppe mit einem gewissen Schmunzeln kurz DKP genannt: Die politische Anspielung war durchaus gewollt, da kein Verdacht auf Sympathisantentum bestehen konnte. Die darin verwirklichte Idee, wie die Homotopietheorie ohne Rückgriff auf die Homologietheorie aufzubauen sei, hatte Puppe im Jahr zuvor bei der DMV bereits skizziert; vgl. Puppe [25]. Tom Dieck habilitierte sich 1969 in Heidelberg, wo er zwei Semester als Wissenschaftlicher Rat und Professor tätig war, bevor er nach Saarbrücken berufen wurde, um später nach Göttingen zu wechseln. Kamps ging ebenso wie H. B. Brinkmann nach einem kurzen Zwischenspiel in Heidelberg mit W. Bos nach Konstanz, wo er sich habilitierte. Später war er an der Fernuniversität Hagen tätig.

Neben den Genannten promovierten R. Fritsch, mit dem Puppe ebenfalls eine gemeinsame Arbeit publizierte (Fritsch/Puppe [19]), und W. End bei Puppe in Saarbrücken.

In seiner Saarbrücker Zeit erhielt D. Puppe Rufe aus Köln und an die Universität Zürich. In einem Brief vom 15.6.1965 an van der Waerden erläuterte es seine Gründe, den letztgenannten Ruf nicht anzunehmen – i.w. weil es gelungen war, seinen Wunschkandidaten H. König nach Saarbrücken zu berufen. Das eher moderate Gehaltsangebot aus Zürich war laut Puppe dabei aber nicht ausschlaggebend, denn die Lebenshaltungskosten seien ja in Zürich niedriger als in Saarbrücken (ETH-Bibliothek Hochschularchiv Hs 652: 7244).

Nach dem Wechsel brachen 1968 unruhige Zeiten an in Heidelberg. D. Puppe vertrat in den Auseinandersetzungen konservative Positionen und wurde deshalb mit dem Bund Freiheit der Wissenschaft in Verbindung gebracht. Als solcher wurde er vielfach seitens radikaler Kräfte in der Studentenschaft angegriffen, gar angefeindet. Er blieb stets bemüht, die Auseinandersetzungen zu versachlichen und den Dialog zu suchen. Besuchte D. Puppe die Mensa, so sammelte er alle dort erhältlichen Flugblätter ein, um sie zu lesen. Bei der großen Zahl solcher Pamphlete war dies eine beachtliche Mühe. Über mehrere Jahre hinweg war D. Puppe Mitglied des Verwaltungsrates der Universität, damals ein sehr einflussreiches Gremium, das über die Verteilung der Gelder entschied, und Vertreter der Universitäten Baden-Württembergs im Beirat der ZVS sowie Mitglied der Sachverständigenkommission für die Kapazitätsberechnung.

Das „Zentralblatt für Mathematik und ihre Grenzgebiete“, dessen Redaktion D. Puppe lange Zeit angehörte, ein Projekt der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, war ihm ein wichtiges Anliegen; seine Erhaltung angesichts der harten Konkurrenz seitens der Mathematical Reviews beschäftigte ihn; vgl. Puppe [26].

Ein weiteres Interessengebiet Puppes war die Geschichte der Mathematik. 1978 veranstaltete er ein Seminar zur Geschichte der Topologie, das beachtliches Interesse fand. In der Nachfolge entstand die Publikation Puppe-Henn 1990. Zusammen mit Hubert Meiwes erarbeitete Puppe die Darstellung der Geschichte der Mathematik an der Universität Heidelberg für den Übersichtsatikel „Fachverband – Institut – Staat. Streiflichter auf das Verhältnis von Mathematik zu Gesellschaft und Politik in Deutschland seit 1890 unter besonderer Berücksichtigung der Zeit des Nationalsozialismus“ in Fischer et al. [18]. In Zusammenarbeit mit Hans-Werner Henn entstand der Artikel zur Geschichte der algebraischen Topologie im Sammelband „Ein Jahrhundert Mathematik“, der anlässlich der 100 Jahrfeier der DMV erschien. Schließlich setzte Puppe sich für die Einrichtung eines Lehrauftrags zu diesem Gebiet am Mathematischen Institut ein, 1996 kam es zu einer Habilitation im Fach Geschichte der Mathematik (K. Volkert). Er verfasste Nachrufe für Mathematiker der Heidelberger Universität (F. K. Schmidt, H. Seifert); über seinen Lehrer schrieb er einen längeren Beitrag [27] in der von I. James herausgegebenen „History of Topology“.

Zum Kreis um Seifert und Threlfall gehörte nach dem Krieg auch der gebürtige Schweizer Walter Habicht (1915–1998), der 1948 nach Heidelberg als (bezahlter) Dozent – hierin Nachfolger von H. Wendt – kam und sich dort Anfang 1949 habilitierte. 1958 wurde er nach Saarbrücken berufen, wenig später dann nach Basel. Habicht veranstaltete, teilweise zusammen mit Seifert, Mittel- und Oberseminare über Topologie und hielt auch Vorlesungen zu diesem Gebiet (z. B. im WS 1950/51 über Flächentopologie), sein eigentliches Arbeitsgebiet lag allerdings eher in der Algebra. In einem Brief aus Heidelberg vom 5. Januar 1949 an H. Hopf äußerte sich W. Threlfall lobend über den Neuzugang: „Von Habichts Art zu reden und zu lehren bin ich sehr eingenommen. Ich kann mir denken, dass Fremde auf den ersten Blick den Glanz und die Flüssigkeit der Rede vermissen. Dafür entwickelt er die Gedanken langsam und klar aus sich heraus. Bisher sind auch die Studenten besonders mit der eingehenden und liebevollen Art, mit der er sie im einzelnen behandelt, sehr zufrieden.“ (Bibliothek ETH-Hochschularchiv Hs 621: 1440).

Ein weiterer Schüler aus der Zeit von Seifert und Threlfall war Werner Bos (1924–1973), der ab 1946 in Heidelberg studierte, wo er nach 1948 das Diplom erwarb und 1949 das Staatsexamen ablegte. Bos ging in den Schuldienst, promovierte aber noch als Referendar 1951 bei Seifert (Kritische Sehnen auf Riemannschen Elementarraumstücken). Er blieb bis 1961 im Schuldienst am Lessinggymnasium in seiner Heimatstadt Mannheim, hielt in Heidelberg als Lehrbeauftragter Vorlesungen u.a. über darstellende Geometrie, von deren Wert vor allem für zukünftige Lehrer er überzeugt war. 1962 wechselte er als Rat an die das Institut für angewandte Mathematik der Heidelberger Universität, wo er sich 1965 habilitierte („Über die Verbindbarkeit von verdickbaren (n-1)-Zellen in topologischen n-Mannigfaltigkeiten“), 1969 wurde er nach Konstanz berufen, wo er wesentlich den Aufbau der Mathematik in der neugegründeten Universität prägte. Bos hat neben fachwissenschaftlichen Arbeiten im Grenzbereich Topologie-Geometrie (vgl. Verzeichnis bei Brinkmann/Fritsch/Kamps/Wolf [4]) auch zur Schulmathematik publiziert; der Zusammenhalt von Schule und Universität war ihm ein wichtiges Anliegen, u.a. war er Mitglied des Schulausschusses der Universität. Alle vier Autoren des oben genannten Aufsatzes sind, wie einführend erwähnt, durch W. Bos nach Konstanz gekommen. Volker Puppe (* 1938), jüngerer Bruder von D. Puppe, der in Heidelberg Assistent war und sich dort habilitiert hatte, wechselte 1974 als Nachfolger von Bos von Heidelberg nach Konstanz.

Nach 1970

Mit der Berufung von D. Puppe wirkten drei Topologen als Ordinarien am Mathematischen Institut der Universität Heidelberg bei insgesamt sieben Stellen dieser Art am fraglichen Institut; daneben gab es allerdings noch das Institut für angewandte Mathematik. Heidelberg wurde zu einem internationalen Zentrum dieses Gebiets. Vielfach waren die Aktivitäten – angefangen von Gästen, die aus aller Welt nach Heidelberg kamen, über Studierende, Doktoranden und Habilitanden bis hin zu einer großen Zahl von Publikationen. Die späten 60er und frühen 70er Jahre brachten einen Zuwachs an Stellen, so dass neben den genannten Ordinarien (allerdings eine Bezeichnung, die in Ungnade gefallen war) auch andere Mitglieder des Lehrkörpers die Topologie vertraten. Zu nennen sind hier Werner End, Manfred Klingmann, Adolf Riede und Manfred Scheerer. Hinzu kamen Assistenten und Stipendiaten. Im Bereich der Topologie gab es nach 1968 folgende Habilitationen: Thomas Bartsch, Rudolf Beyl, Tammo tom Dieck, Werner End, Hans-Werner Henn, Johannes Huebschmann, Manfred Klingmann, Volker Puppe, Ralph Strebel, Elmar Vogt. Die Anzahl der Lehrveranstaltungen im Bereich der Topologie war beträchtlich, neben klassischen Gebieten der algebraischen und der Differentialtopologie kamen neue hinzu wie die Fixpunkttheorie, der sich Dold verstärkt zuwandte, und die stabile Homotopietheorie von D. Puppe. Veranstaltungen zur Kategorientheorie wurden ergänzt durch S. MacLane, der u.a. als Humboldt-Forschungspreisträger Gastvorlesungen in Heidelberg hielt. Gegen Ende seiner Laufbahn wandte sich D. Puppe verstärkt Anwendungen der Topologie in der Analysis zu, vor allem in Zusammenarbeit mit Mónica Clapp (Universidad Nacional Autónoma de México), die 1979 bei ihm promoviert hatte („Dualität in der Kategorie der Spektren von Ex-Räumen“). Aus ihrer Zusammenarbeit entstanden mehrere Publikationen (Clapp/Puppe [710]; Bartsch/Clapp/Puppe [1]). Damit hatte er einen Rat befolgt, den Franz Rellich dem jungen Studenten einst in Göttingen gab: gehen Sie nach Heidelberg, lernen Sie Topologie bei Seifert und wenden Sie sie auf die Analysis an. Puppe las übrigens, wie vor ihm schon Seifert gegen Ende seiner Lehrtätigkeit, nun auch über Differentialgeometrie.

Mit der Emeritierung von H. Seifert zum Ende des Sommersemesters 75 wurde die Frage nach seiner Nachfolge virulent. Ein Versuch, Friedrich Hirzebruch zu berufen, scheiterte daran, dass dieser den an ihn unico loco ergangenen Ruf ablehnte; zu den Hintergründen vgl. man Scharlau [29], 175–179. In einer zweiten Ausschreibungsrunde wendete sich das Blatt und ein Vertreter eines anderen Fachgebietes, Eberhard Freitag, kam zum Zuge. Bis zur Emeritierung 1996 blieben Dold und Puppe die Vertreter der Topologie, (vorgezogener) Nachfolger des letzteren wurde dann Joachim Cuntz, 1999 wurde Matthias Kreck nach Heidelberg berufen, der dort bis 2007 blieb.

Abb. 10
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Albrecht Dold und Dieter Puppe erkunden 1996 die Boysche Fläche in Oberwolfach (Privatbesitz Clemens Puppe)

Akademie

Seifert (1947), der übrigens auch Ehrenmitglied der DMV wurde, Threlfall (1947), Dold (1974) und Puppe (1972) waren Mitglieder der Heidelberger Akademie der Wissenschaften; hier publizierten Seifert und Threlfall Abhandlungen [40, 41]. Dold und Puppe waren Sekretare der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse, sie waren zudem Mitglied der Kommission für mathematische Logik. Auch das bereits erwähnte Zentralblatt ist ein Projekt der Akademie.